... Mitleidenschaft zieht. Zur Erklärung: Um den Blutzuckerspiegel niedrig zu halten, regt das in der Bauchspeicheldrüse produzierte Hormon Insulin bei einer Zufuhr von kohlehydratreicher Nahrung die Muskelzellen dazu an, Vielfachzucker, sogenannte Polysaccharide eines bestimmten Kohlehydrat-Typs, aufzunehmen. Dort werden die Polysaccharide in Form von Glykogen, tierischer Stärke, als Energiespeicher eingelagert. Arbeitet das Pferd, greifen seine Muskeln auf diese Energiereserve zurück. Das Glykogen wird in Glukose gespalten, die wiederum als Treibstoff für die Freisetzung von Energie dient.
Und genau dieser Mechanismus ist bei PSSM-Pferden gestört. Ihre Muskelzellen speichern nicht nur zu viel Glykogen, sondern können es anschließend auch nicht verstoffwechseln, also nicht in nutzbare Energie umwandeln. Was zweierlei zur Folge hat. Erstens: Das Glykogen bleibt im Muskel. Und zweitens: Durch den Energie-Mangel können die Muskeln nicht mehr richtig arbeiten. Vielfach sterben Muskelzellen ab.
Von Zittern bis Lahmheit
Das bleibt logischerweise nicht ohne Folgen. Krankheitsschübe drohen vor allem bei einer starken Beanspruchung der Muskulatur und nach kohlehydratreichen Futterrationen. Wobei die möglichen Symptome ebenso vielfältig wie uneindeutig sind. „Das Spektrum reicht von einer leichten Belastungsschwäche und Unwilligkeit beim Arbeiten bis hin zu extremen Schmerzen – mit allem, was dazwischen liegt“, sagt Huthmann. Erhöhter Muskeltonus, mehr oder weniger stark ausgeprägtes Muskelzittern, verspannte Rückenmuskulatur, Muskelschwund trotz regelmäßigen Trainings, manchmal auch eine deutlich ausgeprägte Lahmheit, eher aber eine allgemeine Steifheit – all das kann, muss aber nicht auf PSSM hindeuten. „In sehr schweren, zum Glück seltenen Fällen führt ein PSSM-Schub zu einer absoluten Bewegungsunfähigkeit und schlimmstenfalls sogar zum Tod“, fügt Huthmann hinzu.
Schuld daran ist ein Gendefekt, den man seit geraumer Zeit vor allem bei Westenrassen wie Quarter Horses, Appaloosas und Paint Horses sowie Kaltblütern, seit einigen Jahren zunehmend aber auch bei anderen Rassen wie Warmblütern, kennt. „Es lässt sich allerdings darüber streiten, ob das Problem bei diesen anderen Rassen tatsächlich häufiger geworden ist oder ob nur die Sensibilität dafür gewachsen ist und es deshalb öfter diagnostiziert wird“, gibt die Tierärztin zu bedenken.
Zwei Typen des Defekts
Im Wesentlichen unterscheidet man zwischen zwei Varianten der Erkrankung, bei denen unterschiedliche Gene betroffen sind, dem häufigeren PSSM-Typ 1 und dem verhältnismäßig seltenen PSSM-Typ 2. Wichtig zu wissen ist, dass die Polysacchari-peicher-Myopathie autosomal-dominant vererbt wird. Will heißen: Ein Pferd, das von beiden Elterntieren ein defektes Gen geerbt hat, also ein sogenannter Doppel-Genträger ist, unterliegt einem extrem hohen Risiko, an PSSM zu erkranken. Es wird das Gen seinerseits zu 100 Prozent an seine Nachkommen weitergeben. Bei einem Pferd, das nur von einer Seite das defekte Gen erhalten hat, also ein Einzel-Genträger ist, ist das Risiko nicht ganz so hoch. Es vererbt den Defekt mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit an seine Nachkommen.
Da die Symptome vor allem bei leichterer Erkrankung denen anderer muskulärer Probleme zum Verwechseln ähneln, gestaltet sich eine hieb- und stichfeste Diagnose oft schwierig – von daher die eingangs erwähnte Dunkelziffer. „Manchmal kommt man nicht um eine Muskelbiopsie herum“, räumt Huthmann ein. Allerdings gibt es sowohl für PSSM 1 als auch inzwischen für PSSM 2 einen Gentest. Er ist vor allem für Züchter von „Risiko-Rassen“ ein wichtiges Instrument, um die Zuchttauglichkeit ihrer Tiere zu überprüfen und sie bei einem positiven Tes-rgebnis aus der Zucht zu nehmen.
PSSM ist unheilbar, ein Medikament gegen diese muskuläre Stoffwechselerkrankung ist bis dato nicht in Sicht. Dennoch stehen die Chancen, sie in den Griff zu bekommen, gar nicht schlecht. Bei einem akuten Schub gibt der Tierarzt ein Schmerzmittel.
Therapiebegleitend können Muskelrelaxantien, Physiotherapie, Bewegungstherapie und Wärme die Muskelentspannung fördern. Geduld sei die wichtigste Eigenschaft, die Besitzer von PSSM-Pferden mitbringen müssten, betont Huthmann: „Die akuten Schmerzen sind zwar nach zwei bis drei Wochen in aller Regel deutlich besser. Aber bis sich die Muskelzellen erholen, dauert es oft Monate.“
Vorsicht beim Füttern
Über die Akut-Behandlung hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, die Fütterung und Pferdehaltung entsprechend zu gestalten. „Das bedeutet zunächst einmal den weitestgehenden Verzicht auf alles, was stärkereich ist“, erklärt Dr. Huthmann: „Getreide fällt für diese Pferde komplett flach. Man sollte sie faserreich ernähren, aber auch auf eine ausreichende Versorgung mit Kalorien achten, um dem Muskelschwund entgegenzuwirken. In der Regel sprechen sie sehr gut auf Öl und Sojaeiweiß an.“
Und noch zwei Tipps hat die Tierärztin in puncto Fütterung parat. Erstens: „Vermeiden Sie es, ein PSSM-Pferd im Frühjahr auf eine fruktanreiche Weide zu stellen. Warten Sie damit lieber, bis hochständiges Gras auf der Koppel steht.“ Und zweitens? „Durch Wässern können Sie den Zuckergehalt im Heu senken.“ Mindestens genauso wichtig, um dem nächsten Schub vorzubeugen, sei es, dass sich das Pferd so viel wie möglich bewegen kann. „Solche Kandidaten sind im Offenstall am besten aufgehoben“, betont die Tierärztin und stellt klar: „Solange man keine Spitzenleistungen von ihnen verlangt, sind sie auf jeden Fall als Reit- oder Fahrpferde nutzbar.“
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Dr. Stefanie Huthmann
Die Fachtierärztin für Pferde und Mitinhaberin der Tierarztpraxis Hohne zählt Stoffwechselerkrankungen zu ihren Spezialgebieten.
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