... legt den langen Forstweg-Hatscher am besten auf zwei Rädern zurück. Auf unserer Tour heißt es gleich zu Beginn kräftig in die Pedale treten. Eine bewaldete Stufe trennt das Karwendeltal von der Isar, die noch ganz jung aus dem Hinterautal plätschert. Nach dieser ersten Muskelprobe ist Genussradeln und Karwendel-Sightseeing angesagt. Die Forststraße ins Karwendeltal ist gut zu fahren, die Steigung gering, die Landschaft großartig. Westliche Karwendelspitze und Hoher Wörner, die beiden Mittenwalder Karwendelgrößen, drehen uns den Rücken zu. Die weiten Wannen einsamer Kare sammeln das Geröll, das die Wände beständig abschütteln. Im Karwendel bröckelt und bröselt es allerorten. Der Karwendelbach, so klar wie Fensterglas, würde zum morgendlichen Bade einladen, doch die Zeit drängt. Im Talschluss kommt das Karwendelhaus in Sicht. Der graue Steinbau scheint sich an die felsigen Ausläufer des Hochalm-kreuzes anzulehnen. Das gemütliche Dahin-Fahren hat nun ein Ende. Die letzten gut 400 Höhenmeter bis zur Hütte schraubt sich die Forststraße über eine steile Stufe hinauf. Auf den Wiesen böden der Hochalm schwirren Fliegen nervös um das Jungvieh. Sie spüren die Schwüle, die auch uns zu schaffen macht. Hüttenwirt Andy Ruech bestätigt die Wetterprognose, die uns zur Eile
Zwischenstopp am Karwendelhaus
Als Hermann von Barth, der bekannte Er-schließer der Nördlichen Kalkalpen, am Abend des 5. Juli 1870 an diesem Platz ankam, musste er mit dem zugigen Heuboden einer Almhütte Vorlieb nehmen. Das Karwendelhaus wurde erst 1908 eingeweiht. Barths Plan war weitaus ehrgeiziger als unser Vorhaben. Nach der Erstbesteigung der Birkkarspitze überschritt er vier weitere der brüchigen Bergspitzen. In einem einzigen Sommer stand er auf insgesamt 88 Karwendelgipfeln. Musste er sich mit bescheidenen Hirtenpfaden zufriedengeben, schlängelt sich heute ein gut angelegter Steig gleich hinter der Hütte steil und felsig zwischen Lawinenverbauungen hindurch. Das Grün der Latschen und Wiesenhänge weicht immer mehr zurück. Vor uns öffnet sich ein mit Geröll gefülltes Halbrund. Das helle Kalkgestein blendet im grellen Mittagslicht. Mühsam sucht der Fuß Halt im losen Schotter. Die reglose Luft liegt wie ein feuchtwarmes Tuch über dem Kessel des Schlauchkars. Die Herkunft des Namens wird ein anderer sein, doch der Anstieg schlaucht tatsächlich. Am Schlauchkar-sattel gewährt eine winzige Biwakhütte Unterschlupf — ein beruhigender Gedanke, sollte uns das Gewitter früher überraschen. Der Gipfelaufbau fordert noch einmal jede Aufmerksamkeit. Die Flanke ist ausgesetzt, unter den Sohlen rutscht feiner Schotter, die Hand sucht immer wieder Halt am sichernden Drahtseil.
Kurzes Gipfelerlebnis
Dann sind wir ganz oben angelangt, ganz oben im Karwendel. Und stehen mittendrin in diesem faszinierenden Gebirge, umzingelt von kahlen Gipfelhäuptern, zerfressenen Felsflanken und zernagten Kämmen. Weiße Wolkenschwaden züngeln aus dem Tal herauf, als würde Dampf aus einem Kochtopf entweichen. Sie nehmen uns die Sicht, die sonst bis zum Großvenediger und weit ins bayerisehe Flachland, bis zum Münchner Stadtrand, reicht. Für Müßiggang am Gipfel ist nicht viel Zeit. Im Westen hat sich der Horizont dunkelgrau verfärbt. Beim Abstieg durch das Schlauchlcar grollt es in der Ferne. Auf der Hüttenterrasse zerplatzen die ersten dicken Tropfen. Wir suchen Zuflucht in der holzgetäfelten Stube, die bereits seit mehr als hundert Jahren die Hüttengäste beherbergt. Wenig später peitscht Regen an die Fensterscheiben, zucken grelle Blitze. Nach einer Dreiviertelstunde ist der Spuk wieder vorbei, gerade Zeit genug für einen goldgelben Kaiserschmarrn. Durch Wolkenlücken fallen Sonnenspots auf die regennassen Berghänge des Karwendeltals. Für uns gibt es nicht mehr viel zu tun. Die Räder rollen fast von selbst zum Bahnhof in Scharnitz, und im Zug müssen wir nicht einmal mehr die Augen offen halten.
Zeitunglesen und Kaffeetrinken auf dem Weg zur Birkkarspitze, dazu umweltfreundlich – für Franziska Baumann schlagende Argumente für die Anreise per Bahn.
BIKE & HIKE IM KARWENDEL
Anspruchsvolle Tour hinauf zur Birkkarspitze (2749 m)
Auffahrt: 18 km, ca. 850 Hm, ca. 2 ½ Std.
Aufstieg: ca. 3,3 km, 980 Hm, 2 ¾ Std.
Abstieg: ca. 3,3 km, 980 Hm, 2 Std.
Abfahrt: 18 km, 850 Hm, ca. 1 Std.
Gesamt: ca. 42,6 km, 1830 Hm, 8-9 Std.
Charakter: Lange und im Gipfelbereich auch anspruchsvolle Tour. Einfach mit dem Bike auf guter Forststraße zum Karwendelhaus, die letzten 400 Höhenmeter zur Hütte sind steil. Anstrengender, teils steiler Anstieg durch das Schlauchkar, Geröll-und Felsgelände, oft bis in den Sommer hinein Altschneefelder. Am Gipfelaufbau gesicherte Felspassagen und abschüssiges Schottergelände. Gute Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich! Die Tour kann mit einer Übernachtung auf dem Karwendelhaus auf zwei Tage aufgeteilt werden.
Start/Ende: Scharnitz (964 m), erste Zugverbindung ab München um 6.32 Uhr, Züge ab Scharnitz im Zwei-Stunden-Takt bis 21.28 Uhr, am Wochenende stündlich, Fahrplan unter www.bahn.de Einkehr: Karwendelhaus (1771 m), DAV, geöffnet Anfang Juni bis Mitte Oktober, Tel. 00 43/7 20/98 35 54, www.karwendelhaus.com Information: Naturpark Infozentrum Scharnitz, Tel. 00 43/50 88 05 40, www.seefeld.com Bike-Verleih: in Scharnitz: Karwendelcamp, Oberdorf 390, Tel. 00 43/6 64/1 43 10 14, www.karwendelcamp.com; Café in der Länd, Hinterautalstr. 355 (beim Parkplatz für die Karwendeltäler), Tel. 00 43/6 64/5 53 21 94, www.seefeld.com/a-cafe-in-der-laend Karte: Alpenvereinskarte 1:25 000, Blätter 5/1 »Karwendelgebirge West« und 5/2 »Karwendelgebirge Mitte«
Tourenkarte Heftmitte: 4