... sie sich weniger sorgfältig die Hände waschen. Rund 35000 Menschen sterben allein in den USA jährlich durch derartige Schlamperei.
Und damit nicht genug: Hausärzte verschreiben nachmittags häufiger überflüssige Antibiotika, Gastroenterologen übersehen bei einer Darmspiegelung etwa doppelt so viele verdächtige Polypen wie am Vormittag. „Ich würde jeden derartigen Termin ablehnen, der nach dem Mittagessen angesetzt wird“, schreibt Sachbuchautor Daniel Pink.
Natürlich sind Ärzte nicht die Einzigen, denen am Nachmittag vermehrt Fehler unterlaufen. So häufen sich zwischen 14 und 16 Uhr in mehreren Industrieländern die Verkehrsunfälle. Eine etwas überkorrekte Studie hat sogar den „unproduktivsten Moment“ des gesamten Tages bei britischen Arbeitern ermittelt: Er ereignet sich um exakt 14.55 Uhr. Pink bezeichnet den Nachmittag als „Bermudadreieck in unserem Tagesablauf“.
Schuld ist die Biologie. Unser Gehirn, unser gesamter Organismus, folgt einem unsichtbaren Rhythmus, einer inneren Uhr. Und die hat einen massiven Einfluss auf unser Verhalten. Glaubt man dem britischen Chrono biologen Russell Foster, schwankt „unser Leistungsvermögen im Tagesverlauf so stark wie durch eine Alkoholaufnahme bis zur gesetzlichen Promillegrenze“.
LICHT UND HORMONE STEUERN DIE UHR
Alle Menschen unterliegen einem zirkadianen Rhythmus: einem biochemischen inneren Tagesablauf. Verantwortlich dafür ist bei allen Säugetieren der Nucleus suprachiasmaticus, ein Teil des vorderen Hypothalamus, einer Art Maschinenraum unseres Gehirns. Der kleine Zellhaufen im Gehirn steuert den 24-Stunden-Rhythmus unseres Körpers im Zusammenspiel mit Hormonen und äußeren Signalen wie der Helligkeit.
Den Anfang macht kurz vor dem Aufwachen das Stresshormon Cortisol: Es aktiviert den Stoffwech sel. Im Laufe des Morgens nimmt die Cortisolproduktion ab, Serotonin übernimmt als Wachmacher. Wenn das Tageslicht schwindet, entsteht in der Zirbeldrüse aus Serotonin das schlaffördernde Melatonin. Seine Konzentration erreicht in der Mitte der Nacht den Höchstwert. Zunehmendes Tageslicht hemmt die Produktion wieder. Von diesem hormonellen Takt unabhängig steigt das Schlafbedürfnis, je länger wir wach sind. Denn Neuronen verbrauchen Energie.
Das Nachmittagstief entsteht, weil die wach machenden Signale unseres Körpers nicht im gleichen Maß steigen, wie unsere Erschöpfung zunimmt.
Die innere Uhr beeinflusst nicht nur die Konzentration, sondern auch unsere Stimmung. Scott Golder und Michael Macy, zwei Soziologen von der Cornell University in Ithaca, USA, untersuchten die Wortwahl in Millionen von Twitter-Nachrichten.
Dabei stellten sie fest: „Nach dem Aufstehen sind die Menschen guter Dinge, danach wird die Laune immer schlechter.“ Selbst Geschäftstreffen verlaufen an Vormittagen messbar positiver und konstruktiver als am Nachmittag.
Auch Lern- und Konzentrationsaufgaben erledigen wir in der Frühe deutlich besser als am Nachmittag. Forscher untersuchten zum Beispiel zwei Millionen Klausuren, die an dänischen Schulen geschrieben worden waren. Ergebnis: Die Leistungen der Schüler waren frühmorgens am besten – und wurden danach immer schlechter. Die Autoren der Studie empfehlen deshalb, Klassenarbeiten, die später am Tag geschrieben wurden, nachsichtiger zu bewerten.
Lehre Nummer eins aus diesen Erkenntnissen ist klar: Wir sollten am Vormittag möglichst alles erledigen, was Konzentration oder gute Stimmung erfordert. Was wir am Morgen noch spielerisch und leicht bewältigen, lässt uns in den Stunden nach unserem Mittagessen vermutlich scheitern.
Das Tief am Nachmittag ist gefährlich. Aber ist es auch unvermeidlich? Das wollte die US-Weltraumbehörde NASA herausfinden. Sie ließ ihre Probanden Mittagsschläfchen halten. Aufmerk-samkeit und Reaktionszeit verbesserten si c h um 34 Prozent. Eine Studie an Fluglotsen und italienischen Polizisten zeigte ähnliche Resultate. Ein Mittagsschlaf steigert also unsere Fähigkeit, wach, aufmerksam und konzentriert zu sein. Und das ist noch nicht alles: Laut einer Studie der University of California in Berkeley, USA, poliert eine Siesta auch das Kurzzeitgedächtnis und das assoziative Gedächtnis auf.
Sogar langfristige Effekte sind inzwischen nachgewiesen: Wer regelmäßig Mittagsschlaf macht, verringert auf Dauer sein Herzinfarktrisiko um 37 Prozent. „Die Vorteile sind enorm“, urteilt Sachbuchautor Pink. Doch wie gelingt ein gesunder Mittagsschlaf? Und wie lässt sich der unschöne Effekt vermeiden, sich nach dem Nickerchen am Mittag über Stunden hinweg benommen und schläfrig zu fühlen?
Ganz einfach: einen starken Cappuccino trinken und sich dann zur Ruhe legen. Das Koffein braucht etwas mehr als 30 Minuten, um seine belebende Wirkung zu entfalten. Also den Wecker auf 25 Minuten stellen. Im Durchschnitt werden wir nach etwa sieben Minuten eingeschlafen sein. Die restlichen 18 Minuten genügen, um die beschriebenen Erholungseffekte zu erzielen. Denn die Schlappheit nach dem Mittagsschlaf stellt sich ab etwa 25 bis 30 Minuten ein. So lange dauert es, bis unser Gehirn das Schlafhormon Melatonin produziert.
Nicht jeder ist so frei, sich mittags eine halbe Stunde lang aufs Ohr legen zu dürfen. In manchen Berufen gelten Mittagspausen sogar als Angelegenheit für Weicheier. Dabei halten viele Chronobiologen das Mittagessen für die wichtigste Mahlzeit des Tages, weil es als wichtige Erholungspause dient.
PAUSEN ENTFALTEN HEILSAME KRAFT
Studien zeigen, dass vier Zutaten diese Pause gelingen lassen. Erstens: Man verbringt sie zumindest teilweise im Freien. Wir erholen uns dort viel besser als am Schreibtisch. Zweitens: Sie beinhaltet einen etwa fünfminütigen Spaziergang – was überraschenderweise bessere Erholungseffekte erzielt als ein Gang von 30 Minuten. Drittens: Man unterhält sich mit anderen – einsame Pausen sind weniger wirksam. Viertens: Man sollte dabei nicht über die Arbeit reden und auch möglichst nicht darüber nachdenken.
Diesen vierten Effekt entdeckte kürzlich die Psychologin Marjaana Sianoja von der Universität Tampere in Finnland. Sie behauptet: Wer es schafft, in seiner Pause eine „psychische Distanz“ zur Arbeit aufzubauen, ist insgesamt weniger ausgelaugt und arbeitet anschließend mit „größerer Tatkraft“ weiter.
Auch in der bereits erwähnten Schulstudie aus Dänemark wurde die heilsame Kraft von Pausen untersucht. Normalerweise, so schreiben die Forscher, werden die Klausurleistungen mit jeder Schulstunde schlechter. Es gab jedoch eine Ausnahme: Hatten die Schüler direkt vor der Klausur eine Pause von 20 bis 30 Minuten – die üblicherweise mit einem Schulhof aufenthalt einhergeht –, wurden die Noten sogar besser als in der Stunde davor. „Schlechte Schüler profitierten besonders von solchen Pausen“, schreiben die Forscher.
KURZ INNEHALTEN LÄDT DIE BATTERIE
Zugegeben: Nicht in allen Berufen ist es möglich, die Mitarbeiter regelmäßig für 30 Minuten ins Grüne zu schicken. In Krankenhäusern etwa sieht die Arbeitstaktung selten längere Pausen vor. Dabei häufen sich, wie bereits beschrieben, die OP-Zwischenfälle am Nachmittag auf eine vorhersehbare Art und Weise.
Einigen Kliniken ist es mittlerweile gelungen, diesen Effekt deutlich zu reduzieren. Eine davon ist die Uniklinik an der University of Michigan, USA. Ihr Geheimnis dauert nur 180 Sekunden: Unmittelbar vor jedem Eingriff tritt das gesamte Team einen Schritt vom Operationstisch zurück. Jedes Mitglied stellt sich den anderen vor.
Dann gehen alle gemeinsam eine Checkliste durch – genau wie Piloten vor dem Start eines Flugzeugs. Hat man den richtigen Patienten vor sich liegen? Soll die neue Hüfte tatsächlich auf der linken Seite eingesetzt werden? Wurde der Patient auf mögliche Allergien gegen das Narkosemittel getestet?
Minipausen können Fehler in der Klinik nicht völlig verhindern. Doch immerhin ergab eine Auswertung von etwa 200000 Operationsprotokollen, dass der Trick mit der Checkliste die Zahl der Zwischenfälle um rund 18 Prozent verringerte. „Solche Aufmerksamkeitspausen bieten uns die Chance, unsere Batterien wieder aufzuladen“, sagt Pink.
Wir sollten wichtige Dinge möglichst am Vormittag erledigen. Aber natürlich werden wir manchmal vom Leben dazu gezwungen, auch am Nachmittag eine bedeutende Entscheidung zu treffen. Eine kurze Checkliste kann uns dafür die nötige Wachheit verleihen.
Wir treten einen Schritt zurück und fragen uns: Worum geht es in dieser Sache? Manchmal reicht ein solcher Moment der Besinnung aus, um dem tückischen Tief und seinen Folgen zu entgehen.
Ein Mensch ohne Aufmerksamkeit ist gar nicht geschickt, in der Welt zu leben.
PHILIP STANHOPE, BRIT. SCHRIFTSTELLER (1694–1773)
GESÜNDER LEBEN NACH DER INNEREN UHR
Ob Sie zu den Lerchen zählen, also den Morgenmenschen, oder den Eulen, den Nachtmenschen, oder aber dazwischen fallen, haben Sie nicht in der Hand. Berücksichtigen sollten Sie aber, was Ihr Körper Ihnen vorgibt. Das gilt insbesondere für Schlaf- und Ruhezeiten. Denn ein Leben entgegen der inneren Uhr wird mit einer Reihe von Krankheiten in Verbindung gebracht. Dazu zählen Adipositas, Verdauungsstörungen, Diabetes Typ 2, Schlafstörungen und psychische Erkrankungen.
Unabhängig davon, zu welchem Chronotyp Sie gehören – so heißen Lerchen, Eulen und Zwischenformen in der Fachsprache: Legen Sie Ihre Zahnarzttermine am besten auf den Nachmittag. Dann ist das Schmerzempfinden am geringsten, und eine örtliche Betäubung wirkt bis zu dreimal länger.
Die jährliche Grippeimpfung hingegen lassen Sie sich besser am Morgen verabreichen. Einer Studie aus dem Jahr 2016 zufolge bildeten morgens Geimpfte mehr schützende Antikörper als jene, die ihre Injektion nachmittags bekamen.
Auch bei Medikamenten beeinflusst der Zeitpunkt der Einnahme die Wirksamkeit. Als Faustregel gilt: Mittel gegen Magengeschwüre sollten Sie abends einnehmen, Cortisonpräparate hingegen morgens. In einer Studie aus dem Jahr 2019 wird die häufig ausgesprochene Empfehlung, blutdrucksenkende Mittel am frühen Morgen einzunehmen, infrage gestellt und der Abend als optimaler Zeitpunkt genannt. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, bevor Sie etwas an Ihrer Medikation ändern. RD