... Durchbruch – doch nun deuten erste Forschungserfolge auf eine kleine Sensation hin: Das ionisierte Gas könnte bald schon in die Krebstherapie einziehen, Tumore bekämpfen. Eine Spitzenposition in seiner Erforschung belegt das Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP) in Greifswald.
Prof. Dr. Thomas von Woedtke
Der Pharmazeut ist Forschungsschwerpunktleiter Plasmamedizin amLeibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP Greifswald)
„Wir werden nicht alle medizinischen Probleme mit Plasma lösen können“, sagt Professor Thomas von Woedtke, der die weltweit erste Professur für Plasmamedizin an der Universitätsmedizin Greifswald innehat, bescheiden: „Wir können jedoch erwarten, dass wir bestehende Therapien durch Plasma ergänzen, optimieren und erleichtern können.“
Höchstgradig energiegeladen
Aber was ist Plasma überhaupt? Fest, flüssig, gasförmig – an die drei Aggregatzustände erinnert man sich ja vielleicht noch aus dem Physikunterricht. Was aber hat es mit dem vierten Aggregatzustand auf sich? Die Erklärung erleichtert ein Eiswürfel. Der ist fest und damit im physikalischen Aggregatzustand eins. Ihm wird in Form von Wärme Energie zugeführt, bis er sich verflüssigt – und so in Aggregatzustand zwei übergeht. Kommt erneut Energie ins Spiel, entsteht Gas – Zustand drei ist erreicht. Wird jetzt weiter intensiv Energie zugeführt, werden an den Gasmolekülen Elektronen frei, es entstehen Ionen, das Gas wird leitfähig: Das ist Aggregatzustand vier – Plasma!
Kühlung macht Plasma erst nutzbar
Die Sonne, Sterne, Blitze, Nordlichter, „mehr als 99 Prozent der sichtbaren Materie des Universums befindet sich im Plasmazustand“, erläutert Professor von Woedtke, der seit zehn Jahren den Forschungsschwerpunkt Plasmamedizin am INP leitet. Sie sind, die Bei spiele lassen es schon erahnen, brandheiß und somit völlig nutzlos zur Behandlung von Menschen. Doch schon vor Jahren ist es Wissenschaftlern gelungen, den Teilchenmix aus Atomen, Ionen, Elektronen und Molekülen durch technische Tricks so herunterzukühlen, dass er für die Medizin nutzbar wurde.
Temperaturunterschiede Medizinisches Plasma ist kalt. Natürlich vorkommende Plasmen können dagegen mehrere Tausend Grad Celsius heiß sein
Medizinische Geräte Das INP Greifswald betreibt Forschung von der Idee bis zum Prototyp
Für das Haupteinsatzgebiet von Plasma, die Wundheilung, haben Wissenschaftler am INP gemeinsam mit dem aus dem INP Greifswald heraus gegründeten Start-up-Unternehmen Neoplas Tools GmbH den Plasmajet „kINPen MED“ entwickelt, einen Stift, so groß wie ein Kugelschreiber. Aus seiner Spitze strahlt kaltes Plasma punktgenau auf die Haut und merzt dort hartnäckige Krankheitserreger, sogar multiresistente Keime (MRSA) aus, gegen die kein Antibiotikum ankommt. Vor allem bei chronischen Wunden, die einfach nicht heilen wollen, wie etwa Druckgeschwüren oder offenen Beinen, ist die Entwicklung von kaltem Plasma ein Glücksfall. Beim diabetischen Fuß und vielen weiteren Erkrankungen ist das ionisierte Gas oft sogar die letzte Rettung vor der Amputation oder anderen schweren Eingriffen.
Der Stift: ein Keim-Terminator
Dass Plasma seine Berechtigung im klinischen Alltag hat, bestätigen immer mehr Anwendungserfahrungen, unter anderem auch Beobachtungen am Klinikum Altenburger Land in Thüringen. Dort wurden 61 Patienten mit entzündlichen Hautgeschwüren mit dem kINPen MED behandelt. Ihre Wunden galten als austherapiert, klassische Verfahren hatten nicht helfen können. Das Ergebnis: In den meisten Fällen heilten die mit multiresistenten Bakterien besiedelten Wunden ab. „Der Keim wurde zu 100 Prozent entfernt und kam nicht wieder – und das ohne Antibiotika“, berichtet die leitende Oberärztin Dr. Birgit Schwetlick.
Plasma hat aber nicht nur das Zeug, Keime zu töten: „Es stimuliert auch die Gewebeneubildung und unterstützt so den natürlichen Heilungsprozess“, sagt Professor von Woedtke und verweist auf weitere Vorteile: Plasma arbeite schonend, Nebenwirkungen seien nicht bekannt. Im Gegenteil: „Einige Patienten berichten sogar von einem verminderten Schmerzempfinden nach der Behandlung.“
Erste Forschungserfolge bei schwarzem Hautkrebs
Mit der Wundheilung hat Plasma aber gerade erst seinen Feldzug gegen Mikroben begonnen. Viele weitere Anwendungsbereiche sind möglich. Zum Beispiel in der Dermatologie. Dort soll Plasma die Besiedelung mit Keimen bei Akne eindämmen helfen, hartnäckige Pilze, Warzen oder Herpes sozusagen ausradieren. Auch die Zahnmedizin könnte von dem vierten Aggregatzustand profitieren. „ Infektionen in Wurzelkanälen, Parodontitis, Schleimhautentzündungen oder Pilzerkrankungen in der Mundhöhle sind denkbare Anwendungsgebiete“, erklärt Professor von Woedtke und ergänzt: „Auch bei Implantaten kann Plasma gute Dienste tun: Behandelt man die Materialien damit, gewinnen sie eine Struktur und eine Oberflächenchemie, die es Knochenzellen leichter machen, damit zu verwachsen.“ Vielversprechende Ansätze gibt es auch in der Augenheilkunde, sogar bei rein ästhetischen Eingriffen – zur Lidstraffung und Entfernung von Tränensäcken.
„Wir können erwarten, dass wir bestehende Therapien durch Plasma ergänzen, optimieren und erleichtern können.“
Prof. Thomas von Woedtke
Ein gegenwärtiger Schwerpunkt der vom Bund und vom Land Mecklenburg-Vorpommern geförderten Forschung in der Ostseestadt ist aber der Einsatz von Plasma im Kampf gegen Krebs. Die Greifswalder Wissenschaftler wollen herausfinden, ob Tumore mithilfe des ionisierten Gases ausgebremst werden können. Tumorzellen nämlich entziehen sich unserem Immunsystem oft dadurch, dass sie sich sozusagen eine Tarnkappe überstülpen und deshalb nicht abgewehrt werden. Wenn es gelänge, sie durch Plasmaanwendungen so zu schädigen, dass sie wieder für die Immunabwehr erkennbar wären, könnte das die klassischen Therapien ergänzen, sagt Dr. Sander Bekeschus, Leiter der Forschergruppe „Plasml-uedox-Effekte“ am INP, und er prophezeit: „Das wäre für uns ein Durchbruch!“ Erste vielversprechende Ergebnisse haben die Forscher bereits erzielt – und zwar bei dem aggressiven schwarzen Hautkrebs, dem sogenannten malignen Melanom.
In der Palliativtherapie kommt Plasma bereits bei Tumorpatienten mit offenen Wunden am Hals oder Kopf zum Einsatz. „Die bakterielle Besiedelung hat einen äußerst unangenehmen Geruch zur Folge“, sagt Professor von Woedtke. Das sei für die Patienten und deren Umfeld sehr schwer zu ertragen. Durch die Plasmabehandlung bilde sich die Infektion zurück und damit auch der Geruch. „Die Patienten sind zwar nicht geheilt, aber sie können in dieser ohnehin belastenden Lebenssituation wieder am sozialen Leben teilnehmen.“
FOTOS: LEIBNIZ-INSTITUT FÜR PLASMAFORSCHUNG UND TECHNOLOGIE (2), GETTY IMAGES (3) [M], GLAWE/INP GREIFSWALD E. V.
FOTOS: WÜSTENECK/SAUER/DPA PICTURE ALLIANCE (3)