... Gesellschaftsordnung ein: Er entrechtet die Frauen, erlaubt die Vielehe für François und seine Geschlechtsgenossen – und krempelt das französische Bildungssystem getreu der Lehre des Koran um.
Das fiktive Szenario aus Michel Houellebecqs 2015 veröffentlichtem Skandalroman „Unterwerfung“ ist auch im Theater ein Riesenerfolg: Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg begeistert Edgar Selge seit 2016 mit einer 160-minütigen Soloperformance. Jetzt hat die ARD den brisanten Stoff entdeckt und ihn als 90-Minüter mit Theater- und Spielfilmsequenzen inszeniert. HÖRZU sprach mit Selge über dieses Experiment und seine Meinung zu Kopftüchern, Islam und Religion:
HÖRZU: Halb Theateraufführung, halb Spielfilm: Was schätzen Sie am ARD-Film „Unterwerfung“, Herr Selge? EDGAR SELGE: Ich halte den Text für einen der aktuellsten Texte, die es im Augenblick gibt. Deswegen habe ich mich auch der mörderischen Mühe unterzogen, ihn komplett auswendig zu lernen. Offensichtlich wird jeder Theaterbesucher, egal ob eher rechts oder eher links, an einem Punkt abgeholt, wo seine Ängste und Phobien in Bezug auf Migration gerade stattfinden. Unser Film fügt der Aufführung eine weitere Ebene hinzu: Während das Theaterstück im Wesentlichen über die Sprache und über die Ironie funktioniert, schafft es der Film eher über die Psychologie und über die Bilder, eine emotionale Nähe zur Hauptfigur und zur Thematik herzustellen.
Auf der Bühne bewegen Sie sich immer in einem kreuzförmigen Kubus. Ist es 2018 ein Kreuz mit der Religion? Religion ist komplex. Das Christentum hat, angefangen bei den Kreuzzügen über die Hexenprozesse bis hin zur Inquisition, lange als Staatsreligion in den westlichen Ländern fungiert und bei jeder Form von Unterdrückung mitgemacht, bis es in unseren Ländern zu einer befreiten Religion geworden ist. Eines erfahren wir im Augenblick ganz stark: Durch die vielen Migranten, die in unser Land kommen, sehen wir Menschen, denen ihre Religion sehr viel bedeutet. Diese Menschen bringen unterschiedlichste religiöse Wurzeln zu uns, Wurzeln, die für sie die einzige Form von Heimat sind. Dadurch provozieren uns Migranten, weil Religion für uns eher eine laue Angelegenheit ist. In diesem Zusammenhang kann man Religion auch als einen Segen betrachten: Wir können das Vakuum unseres eigenen nicht vorhandenen religiösen Gefühls deutlich spüren. Daraus könnte etwas Positives, Neues entstehen.Woran glauben Sie selbst?
An die Notwendigkeit von Religion. Und daran, dass es ein Mensch ohne eine religiöse Anbindung schwer haben wird, sein eigenes Leben auf Dauer zu mögen. Ich glaube, dass der Kapitalismus unsere Lebensmüdigkeit nur zudeckt und dass es ein großes Tabu ist, über unsere Lebensmüdigkeit auch nur ansatzweise zu reden.
Was genau meinen Sie mit Lebensmüdigkeit? Und warum ist sie ein Tabu? Konsumwahn, Kauflust und das ständige Denken an unsere eigene Sicherheit machen uns wenig Lust auf das Leben. Denn die Lebenslust braucht doch Werte wie die Entwicklung und das Erlebnis von Empathie sowie die Arbeit an der Demokratie und die Freude an unterschiedlichen Positionen über das menschliche Zusammenleben. All das interessiert den Kapitalismus und den Konsumismus aber leider gar nicht. Für sie ist nur wichtig, dass die Geschäfte weiterlaufen. Diese Oberflächlichkeit führt zu Lebensüberdruss. Aber sie führt nicht dazu, dass die innere Leere unserer Gesellschaft reflektiert wird.
Wie lautet Ihre persönliche Meinung über die Kopftuchdebatte?
Ich habe mit dem Kopftuch kein Problem, und ich verstehe nicht, warum man die Kleidung, die man in seinem eigenen Kulturkreis trägt, hier nicht tragen sollte.
Gehört der Islam zu Deutschland?
Ich finde diese Frage spalterisch. Ich mag sie nicht. Die Menschen, die an den Islam glauben und sich in diesem Land integrieren wollen, gehören zu Deutschland.
Ein Schlüsselsatz in „Die Unterwerfung“ lautet: „Wer die Kinder unter Kontrolle hat, hat auch die Zukunft unter Kontrolle.“ Stimmt das?
Ja. In die Bildungspolitik fließt viel zu wenig Geld. Wir leiden unter Lehrermangel, und wir brauchen kleinere Klassen. Außerdem müsste das zahlenmäßige Verhältnis von Migrantenkindern und einheimischen Kindern so sein, dass deutsche Kinder nicht in ihren Lernmöglichkeiten behindert sind, weil sie Rücksicht nehmen müssen auf Kinder, die gar kein Deutsch sprechen. Wenn die Integration zwischen Migrantenkindern und deutschen Kindern in den Schulen gelingt, dann ist die Integration auch insgesamt im Kasten.
Wie hat die Rechtspopulistin Marine Le Pen auf „Unterwerfung“ reagiert?
Keine Ahnung! Ich weiß nur, dass es das Lieblingsbuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist, weil es die Phobien und Ängste der Bevölkerung so bildlich beschreibt.
Hinterfragt die Rolle der Religion im Jahr 2018: Edgar Selge
FOTOS: RENIER/RBB, SCHOLZ/DPA PICTURE-ALLIANCE