... Pubs, wo junge Kneipenrocker vom gemütlichen Sound gelangweilt aufs Tempo drücken. Costello ist einer von ihnen, er steht auf Brinsley Schwarz und Graham Parker, ist aber wütend und verbittert genug für Songs, die „Less Than Zero“ oder „Waiting For The End Of The World“ heißen. Unfassbar ist die Qualität des Songwritings: Costello ist Anfang 20 – und in der Lage, seine coole Interpretation von Rock mit Motown-Balladen („Allison“)„Allison“), Reggae („Watching The Detectives“, nur auf der US-Version) und 60s-Beat („Red Shoes“) zusammenzubringen. DDDDDD
Elvis Costello & The Attractions
Armed Forces (1979)
Zwischen MY AIM IS TRUE und ARMED FORCES liegt THIS YEAR’S MODEL ZZZZZZ, diese Zeilen widmen wir aber dem dritten Album. Costello wird politischer, parkt seine Haltungen aber im privaten Kosmos. Alltagsrassismus, soziale Ungerechtigkeiten, Oberflächlichkeit: Er schaut mit der Lupe drauf, seziert die Gesellschaft, verpackt seine Beobachtungen in irre gute Songs. Die Musik folgt innovativen Schemata, Costello und seine Attractions zeigen, was New Wave leisten kann – nachzuhören bei „Accidents Will Happen“ und „Oliver’s Army“. Am Ende covert Costello „(What’s So Funny ’Bout) Peace, Love And Understanding“ von Nick Lowe: furios gespielt, sensationell gecroont – und inhaltlich wertvoller denn je.
Elvis Costello & The Attractions
Imperial Bedroom (1982)
Punk, New Wave – all das ist 1982 längst vorbei. Elvis Costello befindet sich in den 80er-Jahren und zeigt mit IMPERIAL BEDROOM, wozu Paranoia und Kriegsangst gut sein können.„Beyond Belief“ ist ein unfassbar guter Song, eine solche Produktion hatte man noch nie gehört, seine Stimme rückt dem Hörer auf die Pelle, die Instrumente machen im Hintergrund, was sie wollen, die Melodieführung ist so unbequem wie eingängig: An einigen Stellen ist dieses Album eine Blaupause für den postmodernen Pop, den viele Jahre später auch Radiohead spielen.„Shabby Doll“ wandelt sich in seinem Verlauf vom Folksong über Offbeat-Pop zum Showtune,„Almost Blue“ ist der defifinitive Tearjerker,„Man Out Of Time“ ein überlebensgroßes Lied über ein zeitloses Leben: „To murder my love is a crime. But will you still love a man out of time?“, schmachtet Costello in dem Song. Pop wird in solchen Momenten zur Perfektion, besser geht es nicht! ssssss
Elvis Costello with Burt Bacharach
Painted From Memory (1998)
In den 90ern hat sich Costello ein paar Mal verhoben: Klassik, Lyrik, Schnickschnack. Doch dann die künstlerische Liaison seines Lebens, ein Album mit zwölf Kompositionen von Burt Bacharach. Wir erinnern uns, Costello kommt aus den Pubs, spielte den ironisch-bitteren Typen jenseits von Punk und Wave. Und jetzt singt er diese Lieder! Das Besondere ist, dass er sie eben nicht formvollendet interpretiert. Costello singt nicht für eine Jury oder ein Gala-Publikum. Er singt für sich, und er singt aus vollem Herzen. Hier und da kratzt es, gelangt der Sänger ans Limit. Bacharach lehnt sich zurück und lächelt, denn er weiß: Seine Eleganz braucht diesen Hauch von gelebter Leidenschaft. Sonst wäre es Kitsch. So ist es große Kunst.
SPEZIALISTENPLATTEN
Elvis Costello & The Attractions
Get Happy (1980)
Die Legende geht so: Costellos Karriere in den USA nimmt Fahrt auf, er geht zusammen mit Stephen Stills auf Tour. Backstage wird gesoff en, Costello langt zu, hat ordentlich einen im Kahn und denkt, es käme gut an, wenn er ein paar saudumme Sprüche über Ray Charles raushaut, auch das N-Wort fällt. Der Backstage-Raum-Talk wird öff entlich, Costello hat ein Problem. Nun schreiben wir jedoch noch das Jahr 1980 – nicht 2019: Ray Charles stellt fest, dass Dinge, die von Besoff enen gesagt werden, nicht gedruckt werden sollten, Costello entschuldigt sich formgerecht, geht ins Studio und nimmt GET HAPPY auf: 20 Songs als Hommage an schwarzen Soul. Kurze Stücke, Hit an Hit, eine wahnsinnige Dynamik – und am Ende die Ballade „Riot Act“, sein finaler Kommentar zum Thema: „You can make me a matter of fact or a villain in a million. A slip of the tongue is gonna keep me civilian.“ mmmmm
Elvis Costello & The Attractions
Almost Blue (1981)
Wie kurz danach Kumpel Nick Lowe fühlt Costello die Notwendigkeit, ein Country-Album aufzunehmen. Der Brite singt Songs von Hank Williams und Merle Haggard sowie von Gram Parsons, den er sich als Vorbild nimmt. Costello suhlt sich in Klischees, findet aber die richtigen Wendungen, sodass dieses Album zu einem puren Luxusartikel seiner Diskografie wird: Es ist schön, es zu haben. Aber es geht auch ohne. AAAA
Elvis Costello & The Attractions
Punch The Clock (1983)
Der Vorgänger IMPERIAL BEDROOM war seiner Zeit voraus, verkaufte sich aber nicht sehr gut. Mit PUNCH THE CLOCK akzeptiert Costello den Sound der Zeit, arbeitet mit den Produzenten Clive Langer und Alan Winstanley zusammen, die Madness und Dexy’s Midnight Runners in die Charts geführt haben. Um dieses Album lieb zu haben, muss man die 80er mögen. Dann sind Songs wie „Everyday I Write A Book“ ode„oder „Pills And Soap“ Karrierehighlights – und zwar nicht trotz, sondern wegen der Backgroundsängerinnen und der superreinen Produktion. Auf ein Lied können sich alle einigen: „Shipbuilding“, Costellos großes Antikriegsstück, das Robert Wyatt sogar noch ein bisschen eindrucksvoller gesungen hat.
Elvis Costello
North (2003)
Nachtmusik, bestens geeignet für Kerzenschein und öligen Whiskey, der noch Minuten nach dem Schlucken in der Kehle zu spüren ist. Nicht so wuchtig-elegant wie die Songs mit Burt Bacharach, aber auch nicht so verkopft wie Costellos Klassikexperimente: NORTH ist im besten Sinne bildungsbürgerliche Musik zwischen Bar und Broadway.
Elvis Costello And The Roots
Wise Up Ghost (2013)
Irre Kombi, dann wiederum: Was Costello und die HipHopper eint, sind Neugier und Know-how. Also: Grenzen sprengen, wann immer das möglich ist. Häufig hat Costello versucht, Pop und Klassik zusammenzubringen – diese HipHop/Soul/Pop-Melange ist wesentlich stärker, zumal sich beide Seiten lockermachen und keine Überzeugungsarbeit leisten wollen. /////
LASST ES LIEBER BLEIBEN
Das schwächste Album seiner Popjahre ist GOODBYE CRUEL WORLD UUUUU(1984), auf dem es Costello mit dem 80er-Jahre-Sound übertreibt – was auch ein blasses Duett mit Daryl Hall beweist. Auch die 90er beginnen nicht gut: MIGHTY LIKE A ROSE (((((1990) hat ein paar prima Songs, kann sich ansonsten aber nicht zwischen Alternative Rock, Neo-Klassik und Tom-Waits-Kopien entscheiden. THE JULIET LETTERS iii(1993) ist sein erstes Klassikexperiment, aufgenommen mit dem Brodsky Quartet. Das Konzept: Ein fiktiver Gelehrter schreibt Briefe an Shakespeares Julia-Charakter. Man findet Zärtlichkeit und Virtuosität in diesen Stücken, es bleibt aber der Eindruck, dass sich hier ein Pop- und Rocksänger ins Zeug legt, um der Klassikgemeinde zu gefallen. Mit FOR THE STARS nnn(2001) tut sich Costello mit der Opernsängerin Anne Sofie von Otter zusammen, man spürt hier die Leidenschaft für ein Projekt, das sicher nicht aus kommerziellen Gesichtspunkten entstand. Dennoch ist das genau die Musik, die in der Frühlingsshow von Carmen Nebel als „tolle Mischung aus Pop und Klassik“ verkauft wird.
ZUSAMMENGEFASST:
Der beste Weg, umfassend in Costellos Welt einzutauchen, braucht ein bisschen Zeit sowie ein Buch: „Unfaithful Music & Disappearing Ink“ (auf Deutsch: „Unfaithful Music – Mein Leben“) ist Costellos Autobiografie, dazu stellte er das Doppelalbum UNFAITHFUL MUSIC & SOUNDTRACK ALBUM zusammen, auf dem viele der Songs, um die es im Buch geht, zu hören sind – nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern der Logik seiner geschriebenen Erzählung nach. Fans, die eigentlich schon alles haben, finden einige Songs in besonderen Versionen sowie zwei exklusive Stücke; Einsteiger entdecken hier große Songs, die sich auf nicht ganz so großen Alben befinden, zum Beispiel „I Want You“, einer der besten Trennungssongs aller Zeiten (von BLOOD & CHOCOLATE oooooo1986).
FOTO: ESTATE OF KEITH MORRIS / REDFERNS