Goldscheider-Keramik aus den Zwanzigerjahren bei Van Ham
Bildquelle: Kunst und Auktionen, Ausgabe 18/2019
TAXE 3500 € Große Figur „Ruth“, Keramik mit farbigem Unterglasurdekor, Entwurf Rosé, um 1911 / 12, Ausführung Friedrich Goldscheider, Wien, um 1925, H. 53 cm
Friedrich Goldscheider, der sich 1885 mit einer „Porzellan Manufactur und Majolika Fabrik“ in Wien niedergelassen hatte, verfügte über ein gutes Gespür für Trends und Materialien. Ein Talent, das seine Söhne Walter und Marcell – die nach dem Tod des Vaters 1897 das Geschäft weiterführten – erben sollten. Und so schuf man im ausgehenden 19. Jahrhundert exotische Figurengruppen, bald darauf – als die Stadt sich um 1900 veränderte –„Wiener Typen“. Und danach wurde es etwas biedermeierlich …
Denkt man aber heute an Goldscheider, so kommen einem sofort wunderbar kostümierte Tänzerinnen in den Sinn, leicht bis gar nicht bekleidete junge Damen oder auch elegante Frauen, die „Homewear“ zur Schau tragen. In Wahrheit schuf die Manufaktur in den Zwanzigerjahren aber weit mehr als das – nämlich zerbrechliche Belege einer lebendigen Zeit, in deren Mittelpunkt ein neues weibliches Rollenverständnis stand: Frauen wurden berufstätig und freizeitaktiv, sie tanzten, betrieben Sport, fuhren Auto. Schauspielerinnen, die bislang (im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen) für ihre Garderobe selbst verantwortlich gewesen waren, wurden auf einmal prachtvoll ausgestattet. Standbilder aus den (neuartigen) Tonfilmen und Fotos aus den Bereichen Tanz und Theater bebilderten diese Entwicklung.
Dementsprechend können vielen Goldscheider-Figuren reale Personen zugeordnet werden. Einige dieser Arbeiten sind Teil einer hessischen Sammlung, die bei Van Ham in der Auktion „Europäisches Kunstgewerbe“ zum Aufruf kommt: Da finden sich beispielsweise Ruth St. Denis, bauchfrei als „Radha“ (Abb. rechts, Taxe 3500 Euro), Rita Zabelkow in durchbrochenen Strümpfen (Abb. unten, Taxe 20 000 Euro), Niddy Impekoven als „Gefangener Vogel“ (Taxe 1500 Euro) oder auch die Schauspielerin Emmy Sturm, selbstbewusst im Pyjama (Abb. unten, Taxe 2500 Euro). Mag sein, dass die Porträtierten selbst – oder auch nur Fotos von ihnen – den entwerfenden Künstlern (Josef Lorenzl, Josef Kostial, Stephan Dakon etc.) dabei geholfen haben, den Figuren unmittelbare Lebendigkeit zu verleihen – das Körpergefühl der damaligen Zeit einzuhauchen.
Diese Qualität steht auch heute noch hoch im Kurs, wie Filipp Goldscheider als Co-Autor der umfassenden, bei Arnoldsche Art Publishers (Stuttgart) erschienenen Goldscheider-Monografie bemerkte – wobei er nebenbei noch preisgab, dass Elton John, Barbra Streisand, Joan Collins und Whoopi Goldberg die mondänen Figürchen kauften.
Waren die Goldscheider-Modelle auch vielfach Stars, womöglich sogar Diven: Püppchen waren sie nicht – und ebensowenig sind es ihre Pendants aus Keramik. Die Firma verstand sich perfekt auf die Herstellung feingliedriger Körperformen, fasste die Oberflächen der Objekte mit der neuartigen „Aerographen Spritztechnik“, die unter der Glasur aufgetragen wurde. Sowohl hinsichtlich des Motivs als auch hinsichtlich der Technik war man also völlig auf der Höhe der Zeit – wenn auch die von Friedrich Goldscheider eingeführte, leicht altmodische Firmenbezeichnung etwas anderes suggerieren mochte.
Bildquelle: Kunst und Auktionen, Ausgabe 18/2019
TAXE 2500 € „Pyjama“, Keramik mit farbigem Unterglasurdekor, Entwurf Stephan Dakon, um 1926 / 27, Ausführung Friedrich Goldscheider, Wien, um 1926 – 1941, H. 36 cm
Bildquelle: Kunst und Auktionen, Ausgabe 18/2019
TAXE 20 000 € „Maskentanz“, Keramik mit farbigem Unterglasurdekor, Entwurf Stephan Dakon, um 1928 / 29, Ausführung Friedrich Goldscheider, Wien, um 1928 – 1941, H. 41,5 cm
Ein Konkurrent im Bereich figürlicher Keramik war Goldscheider in der 1903 gegründeten Wiener Werkstätte erwachsen. Nachdem sich die frühe, in ihrem Aufbau recht konstruiert anmutende WW-Gefäßkeramik nämlich als rechter Ladenhüter erwiesen hatte, entwickelten Berthold Löffler als Mastermind und Michael Powolny, ein gelernter Bildhauer, all die reich mit Blüten und Früchten garnierten Putten, Krinolinen-Damen, Vögelchen und sonstigen biedermeierlichen Nettigkeiten, die heute noch auf dem Markt reüssieren. Auch bildeten die beiden Künstler an der Kunstgewerbeschule die nachfolgenden Generationen aus, die sich – unterstützt durch die Wiener Werkstätte – dann als höchst experimentierfreudig erweisen sollten. Federführend in der figurativen Plastik waren hier Frauen wie Susi Singer, Vally Wieselthier oder Gudrun Baudisch. Doch ließ sich weder der innovative Stil, noch der hohe Preis ihrer Arbeiten mit den Bedürfnissen / Möglichkeiten des Bürgertums in der Zwischenkriegszeit vereinbaren. Auch die bald nach dem ersten Weltkrieg gegründete Manufaktur „Keramos“, für die Meister wie Eduard Klablena arbeiteten und der Josef Hoffmann lange als Gesellschafter vorstand, hätte an sich das Zeug gehabt, Goldscheider gefährlich zu werden. Doch deren Produkte wirkten im Vergleich stets etwas biederer, schwerfälliger – schlicht weniger brillant und extravagant.
Einen letzten Höhepunkt erlebte Goldscheider Mitte der Dreißigerjahre mit den zeittypischen Wandmasken von Rudolf Knörlein, von denen in der Auktion drei Exemplare angeboten werden (Taxen 800 – 1200 Euro). 1938 wurde die Manufaktur arisiert. Die Söhne des Gründers versuchten daraufhin in den USA beziehungsweise in England, das Metier weiterzubetreiben – konnten aber nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen. Auch die spätere Rückkehr Walters nach Wien war nicht von Erfolg gekrönt. Das Ende der einst so großen Marke begann 1953 mit dem Verkauf von Lizenzen – ein Jahr später wurde der Firmenname aus dem Handelsregister gestrichen.
VAN HAM Köln, Auktion 13. November, Besichtigung 8 – 11. November www.van-ham.com
Abb.: Van Ham, Köln