... und John Gottman und Robert Levenson entwickelten ihr sogenanntes »Love Lab«, in dem Paare nicht nur permanent über ihre Gefühle reden mussten (was wissenschaftsehtische Fragen aufwarf), sondern darüber hinaus auch noch rund um die Uhr elektrokardiogrammatikalisch, immunwertebewusst und urinstichprobenartig überwacht werden konnten. Die Ergebnisse dieser High-Tech-Studien erschütterten das kopernikanische Weltbild: Gottman konnte mit 94prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob eine Ehe ein Leben lang halten oder geschieden werden würde. Dabei half den Amorologen die Beobachtung von Worten, Gesichtsausdruck und Körpersprache der Probanden auf die Sprünge. »Wenn ein Paar bei einem Interview von Anfang an eine negative Haltung zum Ausdruck bringt (...) (Zynismus, Sarkasmus und Augenrollen), dann signalisiert das (…), dass es mit einer Beziehung im Laufe der Zeit bergab geht.« Nachdem also Abscheu als die Hauptursache für Scheidungen und Totschlag isoliert war, entwickelte das Ehepaar Gottman ein rhetorisches Antidot, mit dem der uralte Menschheitstraum einer glücklichen Ehe Wirklichkeit werden sollte.
Nach Jahrzehnten unermüdlicher Phrasendrechslerei waren die Liebesforscher selber verblüfft, wie einfach die technische Umsetzung dieser Idee sein würde. Waren sie zunächst noch davon ausgegangen, dass sie einen Elementarteilchenbeschleuniger von der dreieinhalbfachen Länge des CERN benötigen würden, um die Paare darin dauerhaft zusammenschweißen zu können, kamen sie schlussendlich mit »8 Gesprächen« aus, »die jedes Paar führen sollte … damit die Liebe lebendig bleibt.«*
Während der Ästhet laut Kierkegaards Theorie das Ideal seiner Liebe nicht durch die Banalität des Alltags besudeln möchte und sich so zum Sklaven seiner unstillbaren Sehnsucht macht, erlangt der ethische Mensch seine Freiheit zurück, indem er sich für selbstgewählte Ehefesseln entscheidet und jeden neuen Tag am liebsten gramgeplagt mit einem beherzten Sprung aus dem Fenster begrüßen möchte. Denn springen muss der Mensch – zumindest metaphorisch – ohne zu zögern ins Unmögliche, um mit dem Satz »Ich glaube an uns« seiner Beziehung eine religiöse Tiefe zu geben, um größte Ekstase und gepflegte Langeweile in einer glücklichen Ehe harmonisch zu vereinen.
In ihrem Kapitel »Der Sprung in den Glauben« (in der vorliegenden Ausgabe recht salopp mit »Sich voll und ganz drauf einlassen« übersetzt) kombinieren die Gottmans die aus »Alice im Wunderland« bekannte Karnickel-Szene mit Kierkegaardscher Sprunghaftigkeit: »Alice sieht, wie dieses ungewöhnliche Kaninchen in einem Loch verschwindet, und dann springt sie hinterher (…) Alice zögert nicht oder denkt, morgen käme vielleicht noch ein besseres Kaninchen vorbei.« Wie viele einsame Menschen warten tagein, tagaus auf dieses bessere Kaninchen, fragen sich, ob man es lieber in einer Pfefferrahm- oder Waldpilzsauce anrichten sollte, stellen sich die Herzkönigin in Strapsen vor und können den verrückten Uhrmacher nicht mehr von Karl Lauterbach unterscheiden?
Kierkegaards Theorie zufolge geht dem Sprung in den Glauben das Stadion der Resignation vorweg. Nur wenn wir nicht an der Illusion festhalten, füreinander geschaffen zu sein, und an den boshaften Eigenarten des Partners resignieren, sind wir bereit für die perfekte Ehe. »Sie akzeptieren Ihren Partner oder Ihre Partnerin, so wie er oder sie ist, trotz seiner oder ihrer Fehler«, empfehlen die Gottmans. Um diese entzückenden Fehler, die den Anderen so wertvoll machen, zu entdecken und zu verstehen, bedarf es zahlreicher Gespräche, um »durch jegliche Meinungsverschiedenheit eine tiefere Intimität und eine stärkere Beziehung« zu erreichen.
Beispiel aus einem Selbstversuch:
ICH: Bist du verrückt geworden, fast 600 € für ein Kleid auszugeben?
SIE: Du denkst immer nur an dich. Versuch doch zur Abwechslung auch mal, dich in meine Lage zu versetzen.
ICH: Also gut. Warum hast du fast 600 € für ein Kleid ausgegeben?
SIE: Weil ich in diesem Kleid sehr sexy aussehe und damit unseren neuen Prokuristen scharf machen möchte.
ICH: Ich glaube, mein Hamster bohnert. Du gehst mir morgens nur noch undekolletiert und mit knöchellangen Hosen aus dem Haus.
SIE: Die Gottmans sagen aber, dass es das Schlimmste für unsere Partnerschaft sei, wenn du versuchen würdest, mich zu ändern. Du solltest mich vielmehr für das lieben, was ich bin. Und gerade bin ich spitz auf den Prokuristen.
ICH: Okay. Wenn die Gottmanns das sagen …
SIE: Die Gottmans verlangen außerdem, dass du dich für deine Vorwürfe bei mir entschuldigst und auch für deinen eigenen Anteil am Konflikt Verantwortung übernimmst.
ICH: Also gut. Ich entschuldige mich dafür, dass ich dich angeblafft habe, nur weil ich nicht genug aus mir mache und du dich deshalb zu anderen Männern hingezogen fühlst.
SIE: Geht doch.
»Und worauf es hier vor allem ankommt, ist das: Man sei offenherzig und aufrichtig«, fordert Kierkegaard in seinem Eheratgeber »Entweder – Oder«, eine These, die die Gottmans wissenschaftlich untermauern können. »Paare, die offen über Sex sprechen können, haben mehr Sex, und die Frauen haben mehr Orgasmen.« Diese Theorie konnte ich im Feldversuch zumindest teilweise bestätigen. Nachdem ich meiner Frau offen gestanden hatte, dass ich es ihr gerne mal in einem gynäkologischen Stuhl vor den Augen all meiner Freunde aus dem Schalke-Fanclub besorgen und dabei »Blau und weiß, wie lieb ich dich« singen würde, habe ich alleine im Wohnzimmer schlafend auch nicht weniger Sex als zuvor, sie aber im halbverwaisten Ehebett wesentlich mehr Orgasmen.
An seiner Ehe zu arbeiten, lohnt sich also: Alle meine Freunde, denen ich das Buch »8 Gespräche« empfohlen habe, leben inzwischen in einer stabilen, wenn auch neuen Partnerschaft. Ich persönlich habe nach meiner Auszeit in der Nervenheilanstalt endlich wieder mehr Zeit, Kierkegaard zu lesen, und beobachte manchmal heimlich mit dem Feldstecher das Schlafzimmerfenster meiner jetzigen Ex-Frau, wenn ihr neuer Freund, der Prokurist, sie im Gynäkologischen Stuhl missbraucht und dabei gemeinsam mit dem versammelten Fanclub singt: »Aber eins, aber eins, das bleibt besteh’n: Borussia Dortmund wird nie untergeh’n!«
Statt über Vertrauen, Sex und Familie hätten die Gottmans vielleicht besser ein Kapitel über den Umgang mit verschiedenen Fußballreligionen verfassen sollen. Daran ist schließlich schon Kierkegaards Liebe zu Regine Olsen tragisch gescheitert: Hätte es damals bereits Fußball in Dänemark gegeben, wäre sie bekanntlich Fan vom FC Kopenhagen gewesen, während sein Herz nur für Brøndby IF geschlagen hätte.
MICHAEL KAISER
* John M. Gottman und Julie Schwarz Gottman mit Doug Abrams und Rachel Carlton Abrams: 8 Gespräche, die jedes Paar führen sollte … damit die Liebe lebendig bleibt