... interessieren, haben es leichter mit dem luziden Träumen, ja. Das ist kein riesiger Effekt, aber ein kleiner.
Wie lange dauert ein luzider Traum?
Im Durchschnitt sind es etwa zehn bis fünfzehn Minuten. Bei Neulingen deutlich kürzer, bei geübten luziden Träumern wird in einschlägigen Foren auch von längeren Phasen und verschiedenen Möglichkeiten, die Klartraumphasen zu verlängern, berichtet.
Aber mehr als 15 Minuten sind dann schon ein sehr hohes Level. Wir wissen durch eine Studie auch, dass diese subjektiv geschätzten Zeiten mit der real verstrichenen Zeit sehr gut übereinstimmen.
Wie stark kann ich die Handlung in einem luziden Traum beeinflussen?
Der Beeinflussbarkeit sind keine Grenzen gesetzt. Aber auch da gibt es verschiedene Level. Als weniger Geübter kann man zum Beispiel hochspringen und wegfliegen. Geübtere können auch Menschen verwandeln, verschwinden lassen oder das komplette Traumszenario ändern.
Wenn man es schließlich geschafft hat, luzide zu träumen: Muss man weiterüben?
Ja. Ich habe zum Beispiel nicht weitergeübt und die luziden Träume sind wieder verschwunden. Es gibt Naturtalente, die so zwei bis drei luzide Träume pro Woche haben, ohne irgendetwas zu trainieren. Aber beim Großteil der Menschen ist Training notwendig. Es ist ähnlich wie beim Meditieren: Wenn man den Geist nicht regelmäßig schult, neigt er wieder zur gewohnten Haltung.
Kann ich beim luziden Träumen nur die Handlung des Traumes beeinflussen oder mir auch gezielt eine bestimmte Situation herbeiträumen?
Wir nennen das Vorsätze fassen. Das haben wir im Schlaflabor untersucht. Die Probanden sollten im Schlaf üben, Darts zu werfen. Die sehr geübten luziden Träumer konnten das auch umsetzen, wenn sie nicht im Traum von jemandem gestört wurden oder die Pfeile plötzlich irgendwie anders aussahen. Selbst bei sehr geübten luziden Träumern ist das Szenario nicht einhundertprozentig gestaltbar.
Um also Ängste wie etwa Höhenangst im luziden Traum zu bekämpfen, muss ich erst einmal das Klarträumen erlernen und dann darin so gut werden, dass ich mich zum Beispiel auf einen hohen Berg „träumen“ kann?
Richtig. Um Wachängste gezielt im luziden Traum zu bekämpfen, braucht man tatsächlich ein sehr hohes Level. Das erfordert so viel Ausdauer, dass ich mich frage, ob das die klassische systematische Desensibilisierung in ein paar Sitzungen nicht schneller hinkriegt. Da scheinen mir Aufwand und Ergebnis nicht in einem guten Verhältnis zu stehen.
Bei Albträumen, also bei Traumängsten, ist das anders. Die treten ja sozusagen von selbst auf, das Szenario ist also gesetzt. Und sie sind meist bizarr. Das heißt, mir kann auch viel schneller auffallen, dass ich träume. Das erleichtert das Luzidewerden. Mit ein bisschen Übung kann ich dann im Traum aktiv werden, und die Träume verlieren ihren bedrohlichen Charakter.
Auch Sportler*innen erhoffen sich ja, ihre Fähigkeiten in luziden Träumen zu perfektionieren …
„Der Beeinflussbarkeit der Traumhandlung sind keine Grenzen gesetzt. Weniger Geübte können zum Beispiel fliegen. Geübtere können Menschen verwandeln oder das komplette Traumszenario ändern.“
Ja, Daniel Erlacher von der Universität Bern erforscht diese Möglichkeit. Aber auch da muss ich erst einmal erreichen, dass ich luzide von meinem Sport träume. Das ist also für Personen sinnvoll, die eine große Klartraumfähigkeit mitbringen. Bei anderen verlangt es viel, viel Übung. Da kann man sich dann fragen, ob nicht ein besserer Effekt erzielt wird, wenn man die gleiche Übung direkt in die sportlichen Fähigkeiten steckt.
Man muss immer aufpassen, dass man die Erwartungen ins luzide Träumen nicht überzieht. Klarträumen macht Spaß, das ist, glaube ich, unstrittig. Aber luzide Träume effektiv für spezielle Ziele einzusetzen, das kann lange dauern.
Eine andere Idee ist ja, sich im Schlaf Lerninhalte – zum Beispiel Sprachen – vorzunehmen. Wie ist da der Stand?
Das funktioniert nicht. Beim Sport ist es klar: Man übt Fähigkeiten, die man im Prinzip schon gelernt hat. Aber Sie können nichts verbessern, was Sie vorher noch nicht gelernt haben. Sie müssten sich ja ein Vokabelbuch vorstellen und dann noch sicher sein, dass die Vokabeln des Traumbuchs richtig sind.
Ich glaube schon, dass das funktionieren könnte. Die Idee gibt es auch schon, aber noch keine Studien. Das Problem ist, dass dafür längerfristige Studien nötig wären. Solche Persönlichkeitsveränderungen passieren ja nicht von heute auf morgen. Man braucht dafür Probanden, die mindestens ein Jahr bei der Sache bleiben. Erst dann könnte man signifikante Effekte erwarten.
Menschen, die luzide träumen, berichten, dass sie im Alltag achtsamer sind. Ist das eine positive Auswirkung des Klarträumens?
In welche Richtung das geht, wissen wir nicht. Denn es kann natürlich auch sein, dass Personen, die achtsam sind, leichter luzide träumen:
Kann ich über das luzide Träumen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale beeinflussen? Wenn ich zum Beispiel sehr schüchtern bin, kann ich dann im Traum üben, etwas forscher zu sein?
Wenn ich meiner Umgebung mehr Aufmerksamkeit schenke, habe ich eine höhere Chance, das auch im Traum zu tun und mir so bewusst zu werden, dass ich träume.
Man weiß also noch nicht, was Henne und was Ei ist?
Genau. Was Studien gut gezeigt haben, ist, dass luzides Träumen die Gefühle positiv beeinflusst. Wenn man luzide geträumt hat, freut man sich und ist auch den ganzen Tag über besser gestimmt.
Wie sieht es denn mit den Risiken des Klarträumens aus? Manche berichten, sie hatten luzide Albträume und konnten sie nicht beeinflussen oder aufwachen. Das hört sich abschreckend an.
Bei Menschen, die nur wenige luzide Träume haben und kaum etwas darüber wissen, kann das tatsächlich passieren. Es kommt die Erkenntnis: Ich weiß, dass ich träume, aber ich kann nichts tun und nicht aufwachen. Dann verstärkt sich die Angst. Bei geübteren Träumern kommt das sehr selten vor, etwa in drei Prozent der Träume. Diese Nebenwirkung ist nicht ganz trivial. Aber letztendlich ist sie leicht behandelbar.
Wie?
Wenn man merkt, dass man zu luziden Albträumen neigt, kann man im Wachzustand eine Technik aus der Albtraumtherapie üben. Man stellt sich vor, was man braucht, um die unangenehme Situation im Traum erfolgreich zu bewältigen. Man übt also im Wachzustand, damit man es im Traum besser kann.
Würden Sie sagen, man kann das luzide Träumen ohne ernsthafte Gefahr im Selbststudium lernen?
Ja, auf jeden Fall. Es ist auch kein einziger Fall bekannt, in dem es durch luzides Träumen zu langfristig negativen Effekten gekommen wäre. Das Einzige, was eben auftreten kann, sind die angesprochenen Schwierigkeiten. Dann ist es gut, in entsprechende Foren eingebunden zu sein, in denen man Fragen stellen kann.
Wo informiert man sich?
Es gibt viele gute Clips auf Youtube. Aufpassen sollte man, wenn für das Klartraumtraining viel Geld verlangt wird. Da wird häufig mehr versprochen, als das luzide Träumen tatsächlich leisten kann.
Das Wissen um luzide Träume und ihren Nutzen für die spirituelle Entwicklung hat uralte Wurzeln im Buddhismus.
Die Technik gibt es, ja. Eine spirituelle Übung, die sehr viel Geistestraining erfordert. Sie wird auch als Traum-Yoga bezeichnet, eine Art Meditieren im Schlaf. Ich habe es auch schon mal probiert, aber es hat nicht geklappt. Und ich habe auch noch niemanden getroffen, der mir aus eigener Erfahrung hätte erzählen können, wie es sich anfühlt. Ich glaube, man muss wirklich 30 Jahre im Himalaya gelebt und geübt haben, um das zu können. Einem westlichen Menschen mit normalem Lebenswandel ist das nicht zugänglich. Deshalb bin ich auch immer vorsichtig, wenn entsprechende Trainings oder Kurse angeboten werden. Die meisten, die im westlichen Kontext diese Lehre vorstellen, machen das auf einem theoretischen Level.
Gibt es keinen Austausch zwischen der westlichen Wissenschaft und buddhistischen Lehrern des Traum-Yoga?
Nein. Das Problem ist, dass das Traum-Yoga im tibetischen Buddhismus eine Geheimlehre war. Das heißt, es wurde immer nur vom Lehrer zum Schüler weitergegeben. Es gibt viele sehr alte Schriften dazu. Aber dieser Austausch wird bestimmt irgendwann mal kommen. Man braucht halt diese trainierten Leute und die kann man als westlicher Wissenschaftler nicht so einfach rekrutieren.
Worin sehen Sie das größte Potenzial des Klarträumens?
Als Wissenschaftler fasziniert mich am Klarträumen, dass es möglich ist, die Fähigkeiten des Bewusstseins im Reinzustand – also ohne Ablenkung durch äußere Reize – zu untersuchen. Das Gehirn bastelt im Schlaf, ähnlich wie im Wachzustand, eine Erfahrungswelt zusammen. Was ist da möglich? Welche Erfahrungen lassen sich machen, die auch für das Wachleben befruchtend sind, etwa Erkenntnisse über sich selbst oder kreative Ideen?
Das Interview führte Heidi Tiefenthaler.