1 Einleitung
Wachsende Städte stehen unter großem Handlungsdruck – der stetige Bevölkerungszuzug erfordert die Entwicklung von Wohnraum und Infrastrukturen, der Klimawandel zielgerichtetes Handeln in Klimaschutz und Klimaanpassung (etwa BMUB 2015, Revi 2014). Gleichzeitig beeinflussen sich diese Veränderungen gegenseitig. Dichtere Bebauung und höhere Versiegelung verstärken die Ausbildung der städtischen Wärmeinsel, welche sich durch klimatische Veränderungen wie höhere Temperaturen sowie ausgeprägtere und länger andauernde Hitzeereignisse zusätzlich weiter intensiviert (Böhm et al. 2016). Der Erhalt und die Entwicklung Grüner Infrastrukturen wirken diesem Effekt entgegen (Hansen et al. 2018, Lang et al. 2018). München ist mit 50 Einwohnern pro ha, in innerstädtischen Quartieren über 140 Einwohnern pro ha, eine der am dichtest bebauten Städte Deutschlands (Landeshauptstadt München, Kreisverwaltungsreferat 2019). Zudem wächst Münchens Bevölkerung sehr stark. Seit 2010 kamen mindestens 148.000 Einwohner hinzu, was mit einer entsprechenden städtebaulichen Entwicklung einherging (Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung, 2019 b). In München macht sich der Klimawandel bereits deutlich bemerkbar. So lässt sich bei der Anzahl der heißen Tage (maximale Lufttemperatur ≥ 30 °C) eine deutliche Zunahme in den letzten 30 Jahren erkennen. Innerhalb des Stadtgebiets wirken sich die Veränderungen in dicht bebauten, hochversiegelten Bereichen sehr viel stärker aus als im Umland. In diesen verdichteten Bereichen intensiviert sich die ohnehin ausgeprägte „Wärmeinsel“ und die Wärmebelastung nimmt zu (Mühlbacher et al. 2020).
Andere wachsende Städte in Deutschland stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Seit 2011 ist laut § 1 Abs. 5 BauGB Klimaanpassung bereits in Bauleitplänen und „insbesondere auch in der Stadtentwicklung zu fördern“ und „umweltschützende Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen“ sind mit anderen Belangen in Einklang zu bringen. In München wurde der Belang Klimaanpassung zunächst durch einzelne Stellungnahmen der zuständigen städtischen Fachstellen in Bauleitplanverfahren berücksichtigt. Das Vorgehen erfolgte jedoch in der Regel nicht einheitlich und wurde nicht übergeordnet koordiniert. Dies änderte sich mit dem Vorliegen eines Klimafunktionsatlas für das Stadtgebiet München seit 2014 und der Erstellung des „Maßnahmenkonzepts Anpassung an den Klimawandel in der Landeshauptstadt München“ (siehe Abschnitt 3), welches 2016 durch den Stadtrat beschlossen wurde (Landeshauptstadt München, Referat für Gesundheit und Umwelt 2016). Insbesondere die Maßnahme „Integration des Klimafunktionsatlas in die Stadtplanung“, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung und vom Referat für Klima- und Umweltschutz (bis Ende 2020 Referat für Gesundheit und Umwelt) gemeinsam umgesetzt wird, führt zu einer zunehmend standardisierten und insgesamt stärkeren Berücksichtigung der Klimaanpassung in der Bauleitplanung. Dies wurde notwendig, da bei der Vielzahl an Planungsverfahren in München auch stadtklimatisch sensible Gebiete tangiert werden, sowie sehr dichte und versiegelte Baugebiete realisiert werden sollen.
Einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung dieser Maßnahme leisteten Forschungsarbeiten im BMBF-finanzierten Projekt „Grüne Stadt der Zukunft – klimaresiliente Quartiere in einer wachsenden Stadt“ (TU München 2020). Die Stadt München ist selbst Praxispartner im Projekt und machte es sich zur Aufgabe, zusammen mit der TU München die Möglichkeiten der Integration von Klimaanpassung in die Planung zu untersuchen (siehe Abschnitt 4). In einem iterativen Prozess fand eine laufende Rückkopplung der Forschungsergebnisse mit der Praxis statt. In Bezug auf die oben genannte Maßnahme führte dies zu einer intensivierten Umsetzung, weil durch das Projekt zusätzliche Erkenntnisse und personelle Ressourcen geschaffen werden konnten.
Derzeit wird das Klimaanpassungskonzept fortgeschrieben und in diesem Zuge werden die Klimaanpassungsmaßnahmen weiterentwickelt. Hier liegt ein Fokus auf der verstärkten Integration der Auswirkungen des Klimawandels in städtische Planungen. Auch aktuelle kommunalpolitische Beschlüsse (siehe Abschnitt 3.2) stützen die weitere Integration des Themas Klimaanpassung in die Planung. Das Projekt „Grüne Stadt der Zukunft“ startete im Herbst 2021 nach Abschluss der dreijährigen Forschungs- und Entwicklungsphase seine zweijährige Umsetzungsphase.
Folglich erfährt die Berücksichtigung stadtklimatischer Belange (im Sinne human-biometeorologischer Anforderungen) in städtischen Planungsverfahren eine immer höhere Bedeutung. Offen ist, wie diese Belange bestmöglich in Planungsprozessen berücksichtigt werden können. Dieser Artikel zeigt, wie die Landeshauptstadt München mit dieser Herausforderung umgeht, welche Datengrundlagen verwendet werden und welches Vorgehen zur Integration der stadtklimatischen Belange in die gängigen Verfahren der Bauleitplanung etabliert wird.
2 Planungsgrundlage: Der Klimafunktionsatlas für das Münchner Stadtgebiet
Auf gesamtstädtischer Ebene steht in München ein Klimafunktionsatlas zur Verfügung, welcher Aussagen zur klimatischen Bedeutsamkeit und Betroffenheit verschiedener Flächentypen trifft. Der Klimafunktionsatlas wurde vom (damaligen) Referat für Gesundheit und Umwelt beauftragt und veröffentlicht und vom Stadtrat beschlossen (Landeshauptstadt München, Referat für Gesundheit und Umwelt 2014).
Der Klimafunktionsatlas wurde auf Basis von Modellrechnungen auf gesamtstädtischer Ebene erarbeitet (Raster 50 × 50 m, keine Gebäudeauflösung). Die Analysen beziehen sich auf austauscharme sommerliche Hochdruckwetterlagen.
Er besteht aus mehreren Einzelkarten zu meteorologischen Grundlagenparametern wie bodennaher Lufttemperatur und Windfeld sowie einer Analyse- und einer Bewertungskarte (Abb. 1). Dargestellt wird die Situation für das gesamte Stadtgebiet zu einer bestimmten Uhrzeit (Tages- und Nachtsituation). Deutlich erkennbar ist die städtische Wärmeinsel mit höheren Temperaturen in den dicht bebauten, innerstädtischen Gebieten sowie die Ausbreitung kühlerer Luft aus dem Umland entlang übergeordneter Grün- und Freiflächen. In der Bewertungskarte werden die verschiedenen Parameter zusammengefasst und Planungshinweise abgeleitet:
► Bioklimatische Belastung in Siedlungsräumen und bebauten Bereichen;
► Bioklimatische Bedeutung der Grün- und Freiflächen, eingeteilt nach Kaltluftliefervermögen in Abhängigkeit von Größe und Lage der Fläche im Stadtgebiet;
► Luftaustausch über Kaltluftleitbahnen zwischen Siedlungsräumen und Ausgleichsräumen im Umland sowie übergeordnete Ventilationsbahnen mit Luftaustauschpotenzial je nach Windrichtung.
Auf dieser Basis werden bei Planungen die stadtklimatische Bedeutsamkeit und Betroffenheit von Gebieten bewertet. Als besonders sensibel gelten Planungsgebiete, die in oder an einer übergeordneten Kaltluftleitbahn liegen, welche als Kaltluftentstehungsgebiete ausgewiesen oder durch eine hohe Wärmebelastung (für den Menschen) gekennzeichnet sind. Bei Planungen in diesen Gebieten ist mit erheblichen Auswirkungen auf das Stadtklima zu rechnen. Daher sind dort zur weiteren Analyse i. d. R. vertiefende Untersuchungen nötig.
Der Klimafunktionsatlas bildet eine fundierte und belastbare Abwägungs- und Entscheidungsgrundlage für die bauliche Entwicklung in München und für eine Weiterentwicklung von Freiflächen und Siedlungsstrukturen, mit positiven klimaökologischen Wirkungen. Aussagen auf Gebäudeebene sind jedoch aufgrund der Auflösung nicht möglich, auch hierfür sind vertiefende Untersuchungen nötig.
3 Verfahren: Integration des Klimafunktionsatlas in die Bauleitplanung durch die stadtklimatische Ersteinschätzung
Für Planungen in München stellt der Klimafunktionsatlas eine zentrale Grundlage dar, um eine stadtklimaverträgliche und klimaangepasste Entwicklung zu erreichen. Auf dieser Basis wird eine Ersteinschätzung getroffen, um für Planungsverfahren der Bauleitplanung mögliche stadtklimatische Auswirkungen zu berücksichtigen, zu bewerten und frühzeitig entsprechend auf diese reagieren zu können. Mit diesem Vorgehen soll sichergestellt werden, dass die klimatische Wirksamkeit von Flächen sowie der großund kleinräumige Luftaustausch bei städtebaulichen Entwicklungen weitestgehend erhalten bleiben.
3.1 Ziele und Aufbau der stadtklimatischen Ersteinschätzung
Ziel der Ersteinschätzung ist es, eine Aussage darüber zu treffen, ob die Lage des entsprechenden Planungsgebiets als stadtklimatisch sensibel zu bewerten ist. Für Planungsgebiete in einer stadtklimatisch sensiblen Lage wird in der Ersteinschätzung die Forderung nach gesonderten und vertiefenden Klimagutachten formuliert. Entsprechende Gutachten werden im Anschluss an die Ersteinschätzung vergeben und erstellt. Die Bewertung nach einer stadtklimatisch sensiblen Lage erfolgt anhand der Darstellungen im Klimafunktionsatlas im betroffenen Gebiet (Abschnitt 2). Neben der Lage in einem stadtklimatisch sensiblen Bereich haben jedoch auch andere Faktoren wie die Größe des entsprechenden Planungsgebiets und dessen Lage im Stadtgefüge sowie die geplante Ausgestaltung Auswirkungen auf die Bewertung und Entscheidung, ob ein vertiefendes Gutachten veranlasst wird. Dabei handelt es sich immer um eine Einzelfallentscheidung.
In einer stadtklimatischen Ersteinschätzung werden in der Regel der Umgriff des entsprechenden Planungsgebiets sowie weitere Planungsunterlagen wie beispielsweise, falls vorhanden, erste Planungsentwürfe abgebildet. Weiterhin sind ein Luftbild und Ausschnitte aus dem Flächennutzungsplan sowie aus dem Klimafunktionsatlas (Analyse- und Bewertungskarte) enthalten. In einem Textteil werden der vorliegende Sachstand des Projekts sowie die laut Klimafunktionsatlas vorhandenen Klimafunktionen im Untersuchungsgebiet beschrieben und erläutert. In einem Fazit wird das Ergebnis der Ersteinschätzung festgehalten: Es wird eine Entscheidung getroffen, ob aufgrund der Lage in einem stadtklimatisch sensiblen Bereich und der zu erwartenden Auswirkungen durch die Bebauung ein vertiefendes stadtklimatisches Gutachten erstellt werden muss. Die Forderung nach einem Gutachten ist bindend und wird spätestens im Scoping-Termin der Umweltprüfung verankert. Unabhängig von der Entscheidung über ein vertiefendes Gutachten werden im Fazit außerdem erste planerische Hinweise für das Untersuchungsgebiet gegeben. Diese können beispielsweise eine Öffnung der geplanten Bebauung in Richtung Luftaustauschpotenzialflächen sowie Aussagen zur Bedeutung von Begrünungsmaßnahmen wie Großbäume sowie Dach- und Fassadenbegrünung vor Ort betreffen.
3.2 Prozess der stadtklimatischen Ersteinschätzung
Anstoß zur Durchführung einer stadtklimatischen Ersteinschätzung gibt in der Regel das Referat für Stadtplanung und Bauordnung im Rahmen der Zusammenführung der planungsrelevanten Grundlagen, wenn bei einem neuen Planungsvorhaben eine hohe stadtklimatische Betroffenheit nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Eine hohe Betroffenheit kann in einigen Fällen bereits vom Planungsteam selbst ausgeschlossen werden, wenn das Planungsgebiet zum Beispiel klein ist oder nur einige wenige Einzelgebäude umfasst und sich in einer bereits bebauten Umgebung befindet.
Die stadtklimatische Ersteinschätzung wird anschließend in enger Zusammenarbeit mit dem Referat für Klima- und Umweltschutz erarbeitet, das federführend für die Klimaanpassung in München ist. Dieser referatsübergreifende Abstimmungs- und Arbeitsprozess bildet eine wichtige Planungsgrundlage für die weitere bauliche Entwicklung im entsprechenden Gebiet und bringt die vertiefte Fachexpertise im Bereich Klimaanpassung und Stadtklima sinnvoll mit ein. Zentral ist, dass der Schritt so früh wie möglich, etwa im Rahmen der Grundlagenermittlung vor dem Verfassen eines Aufstellungsbeschlusses im Planungsprozess erfolgt, damit – bei einem stadtklimatisch sensiblen Gebiet – ein notwendiges stadtklimatisches Gutachten rechtzeitig eingeholt werden kann. Denn die Formulierung von Hinweisen und Vorgaben auf Grundlage der Ergebnisse dieses Gutachtens während der frühen Planungsphasen ermöglicht ein, vergleichsweise, vielversprechendes Einwirken auf den weiteren Planungsverlauf. Zu späteren Zeitpunkten ist eine Berücksichtigung entsprechender Hinweise in der Planung hingegen erschwert, da potenziell klimatisch wichtige Flächen schon bestimmten Nutzungen zugeordnet sind.
Die Integration der stadtklimatischen Ersteinschätzung in die Bauleitplanungsprozesse der Stadt München wurde nach Veröffentlichung des Klimafunktionsatlas und des dazugehörigen Berichts angestoßen und findet seitdem Anwendung in der Bauleitplanung. Im Austausch mit den Planungsteams, für die die Ersteinschätzung eine wichtige Grundlage darstellt, wird der Prozess der Integration der Ersteinschätzung in die Bauleitplanung laufend rückgekoppelt und weiterentwickelt.
Aktuelle kommunalpolitische Beschlüsse fördern aktiv die weitere Etablierung der stadtklimatischen Ersteinschätzung und die konsequente Integration der Klimaanpassung in die Bauleitplanung. So wird für alle Bebauungspläne in München ein „Klimafahrplan“ eingeführt, der unter anderem die Berücksichtigung der Klimaanpassung im Planungsprozess stärkt und formalisiert, etwa durch die verbindliche Durchführung einer stadtklimatischen Ersteinschätzung (Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung, 2021). Bisher hatte sich die Ersteinschätzung zwar zunehmend in Verfahren der Bauleitplanung etabliert, war jedoch als informelles Instrument nicht verpflichtend. Zudem wird eine Klimaanpassungsprüfung für alle Vorhaben der räumlichen Planung eingeführt (Landeshauptstadt München, Referat für Klima- und Umweltschutz, 2021), um eine konsistente Berücksichtigung der Klimaanpassung im Planungsprozess zu erreichen und das Ergebnis der Prüfung für Entscheidungsträger und Öffentlichkeit transparent darzustellen.
3.3 Vertiefendes stadtklimatisches Gutachten
Ein Hauptziel der stadtklimatischen Ersteinschätzung ist es, für städtebauliche Entwicklungen Münchens in stadtklimatisch sensiblen Bereichen frühzeitig vertiefende Klimagutachten zu veranlassen. Deren Ergebnisse, inklusive konkretisierter Planungshinweise und Empfehlungen, fließen maßgeblich in den weiteren Planungsprozess ein und sind im Abwägungsprozess zu berücksichtigen. Je nach Ausgangslage können diese Gutachten unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen:
Gutachten mit Fokus auf die Durchlüftungssituation:
Bei Lage in oder an einer Kaltluftleitbahn oder an Flächen mit Luftaustauschpotenzial wird mit einem mikroskaligen Klimamodell auf Quartiersebene meist untersucht, wie sich die Planung auf den Kaltluftvolumenstrom auswirkt – und damit auf das Potenzial, das Plangebiet und angrenzende Bestandsgebiete ausreichend zu durchlüften und mit Kaltluft zu versorgen. Als Bewertungsparameter dient die Reduktion des Kaltluftvolumenstroms im Vergleich zur Ist-Situation. Es können Aussagen zur Optimierung der Struktur, Ausrichtung und Stellung von Gebäuden getroffen werden sowie zur Freihaltung von Durchlüftungsachsen. Die Anordnung der Baukörper hat einen großen Einfluss auf den bestmöglichen Erhalt der groß- und kleinräumigen Luftaustauschprozesse. Da die städtebauliche Konfiguration mit fortschreitendem Planungsstadium zunehmend fixiert wird, müssen diese Gutachten frühzeitig eingeholt werden.
Gutachten mit Fokus auf die mikroklimatische Situation:
Wenn in bereits bebauten Gebieten die bioklimatische Situation im Klimafunktionsatlas als weniger günstig oder gar ungünstig bewertet wird (etwa durch dichte Bebauung, hohen Versiegelungsgrad, wenig Grünausstattung), wird mithilfe eines mikroklimatischen Modells analysiert, wie stark das Plangebiet an heißen Sommertagen überhitzt ist und Menschen, die sich im Freien aufhalten, unter Hitzestress leiden können. Als Bewertungsparameter werden thermische Komfort-Indices herangezogen, zum Beispiel der PET- (Physiological Equivalent Temperature-) Index. Untersucht werden die Potenziale von Begrünungsmaßnahmen sowie von optimierten Gebäudestellungen.
Unterstützende Gutachten:
Sind Plangebiete hochversiegelt, stark unterbaut, weisen einen hohen Grundwasserstand auf oder werden Gebäude als allein stehende Hochpunkte geplant, können zur Unterstützung der klimatischen Bewertung Versickerungskonzepte, Überflutungsnachweise nach DIN1986-100 oder Windkomfortgutachten eingeholt werden. Die Ziele sind hier, eine ausreichende Regenwasserversickerung und Retention sowie angenehme Windkomfortverhältnisse im Freiraum sicherzustellen. Im Sinne des Schwammstadtkonzepts können auch kombinierte Gutachten für Mikroklima und lokale Versickerung veranlasst werden, die synergetische Maßnahmen untersuchen, welche sowohl der Verbesserung des thermischen Komforts über Verdunstungskühle als auch der Erhöhung der Versickerung und Regenwasserretention dienen.
Diese modellbasierten Gutachten bieten quantitative Grundlagen, auf deren Basis eine Bewertung der Auswirkungen der Planungen erfolgt. Daraus werden Anforderungen und Planungshinweise für eine klimaangepasste Planung abgeleitet. Diese quantitativen Untersuchungen sind hilfreich, um die Aspekte in der Abwägung berücksichtigen zu können.
4 Transdisziplinäre Forschung zu Integrationsmöglichkeiten für Klimaanpassung in der Planung
Im Folgenden wird beschrieben, wie das Projekt „Grüne Stadt der Zukunft – klimaresiliente Quartiere in einer wachsenden Stadt“ (https://www3.ls.tum.de/lapl/gruene-stadtder-zukunft/publikationen/) in seiner Forschungs- und Entwicklungsphase 2018– 2021 einen wichtigen Beitrag zur Integration der Klimaanpassung in die Bauleitplanung in München leistete. Dies wirkte sich auch auf die Etablierung der stadtklimatischen Ersteinschätzung und vertiefender Gutachten aus. Neben dem Referat für Klima- und Umweltschutz und dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung waren die Technische Universität München als Leadpartnerin, die Ludwig-Maximilians-Universität München und das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung aus Berlin im Projekt beteiligt (Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung 2019 a).
Ein wichtiger Bestandteil des transdisziplinären Forschungsvorhabens war die Identifizierung von Möglichkeiten und auch Hindernissen zur Implementierung von Klimaanpassungsmaßnahmen in Planungsprozessen durch das Referat für Stadtplanung und Bauordnung sowie die TU München. Dabei waren Forschung und Praxis stets eng miteinander verzahnt und die Ergebnisse aus dem Projekt wurden laufend in der Planungspraxis der Landeshauptstadt München erprobt. Dies lieferte wiederum Rückschlüsse und Hinweise auf zu vertiefende Untersuchungsgegenstände für das Projekt.
Die Bandbreite an analysierten Instrumentarien und Prozessen umfasste auch das Bebauungsplanverfahren, im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse dazu beschrieben. Ein besonderer Fokus wird dabei auf die in den vorherigen Kapiteln beschriebenen Grundlagen und Vorgehensweisen gelegt, die eine wichtige Rolle bei der Integration von Klimaanpassung in die Bauleitplanung spielen.
Abb. 3 zeigt die exemplarischen Planungsphasen des Bebauungsplanverfahrens inklusive des städtebaulich-landschaftsplanerischen Wettbewerbs sowie die Möglichkeiten der Integration von Klimaanpassung, wie es für München zutrifft.
Grundsätzlich ist im Bebauungsplanverfahren die Beteiligung von Fachstellen und Behörden rechtlich geregelt. Gemäß § 4 BauGB müssen nach dem Aufstellungsbeschluss Stellungnahmen gesammelt und in den Abwägungsprozess eingebracht werden. Diese formale Beteiligung der Behörden erfolgt jedoch vergleichsweise spät im Planungsprozess, wodurch auf zentrale Hindernisse bei der Integration von Klimaanpassung in die Planung kaum mehr reagiert werden kann. Wie im Projekt herausgearbeitet, löst die hohe Nachfrage an Wohnraum in wachsenden Städten wie München Flächenkonkurrenzen aus, wobei die Wohnraumschaffung im städteplanerischen Abwägungsprozess häufig priorisiert wird. Zudem bleibt bei (Umwelt-)Belangen mit rechtlich bindenden Grenzwerten (etwa Lärmschutz) im Vergleich zu Stadtklima und Klimaanpassung nur wenig Spielraum in der Abwägung.
Um diese Barrieren zu minimieren, ist die möglichst frühzeitige Einbeziehung der Klimaanpassung im Bebauungsplanverfahren besonders wichtig. In München bietet sich hier das bereits dargestellte Instrument der stadtklimatischen Ersteinschätzung an.
Denn bereits während der Grundlagenermittlung und der Ausformulierung von Eckdatenund Aufstellungsbeschlüssen werden die Rahmenbedingungen für die zukünftige Entwicklung formuliert.
Ist dem Bebauungsplan ein städtebaulichlandschaftsplanerischer Wettbewerb vorgeschaltet, ergeben sich weitere wichtige Ansatzpunkte. Grundlegende Aussagen zu Stadtklima und Klimaanpassung, die bereits mit der Ersteinschätzung dargelegt wurden, können in den Auslobungstext integriert werden. Wurde aufgrund der sensiblen Lage des Planungsgebiets ein vertiefendes Gutachten eingeholt, können konkrete Planungsvorgaben und -hinweise, wie beispielsweise eine frei zu haltende Breite für Durchlüftungsachsen oder Bebauungsgrenzen festgelegt werden. Außerdem können im Auslobungstext Aussagen zur Grünausstattung und für Gebäudebegrünung entwickelt oder getroffen werden. Weiterer Einfluss besteht bei der Betrachtung des fachlichen Hintergrunds bei der Auswahl von Planungsbüros, Preisrichterinnen und -richtern und dem Betreuungsbüro. Um die am Prozess beteiligten Akteure für die Klimabelange in der Planung und auch für zukünftige Planungen nachhaltig zu sensibilisieren, sollten Abstimmungstermine wie die Preisgerichtsvorbesprechung oder das Rückfragenkolloquium genutzt werden, um erneut die Klima- und Umweltbelange weiter in den Fokus der Arbeit zu rücken.
Zur Überwindung der genannten Hindernisse ist es zudem wichtig, dass im anschließenden Bebauungsplanverfahren die Inhalte der Klimaanpassung weiterhin konsequent eingebracht werden. Hier werden etwa Festlegungen zum Grad der Versiegelung und Unterbauung getroffen, die für Starkregenretention, -rückhaltung und -versickerung sowie für mikroklimatische Aspekte wichtig sind. Auch Festsetzungen zur Grünausstattung und zu nichtunterbauten Großbaumstandorten sind in dieser Phase möglich.
Neben der Analyse von Planungsverfahren und -instrumenten war ein weiterer Fokus des Forschungsprojekts die Bilanzierung der klimatischen Regulationsleistungen der Grünen Infrastruktur in ausgewählten Untersuchungsgebieten, den „Reallaboren“. So konnten stadtklimatische Datengrundlagen und Erkenntnisse als Basis für eine klimaangepasste Planung erweitert und wiederum in der tatsächlichen Planungspraxis angewendet werden (Landeshauptstadt München, Referat für Gesundheit und Umwelt, 2019). An frühzeitig erstellten städtebaulichen Testentwürfen in den Reallaboren wurden kleinräumige Klimamodellierungen durchgeführt. Besonderen Einfluss auf das Mikroklima von Stadtquartieren haben die Durchlüftung sowie Verschattungs- und Verdunstungskühlung, die sich aus der Stellung, Geschossigkeit und Dichte der Baukörper, dem Versiegelungsgrad, dem Anteil unterbauter Freiflächen und dem Umfang sowie der Qualität der Grünen Infrastruktur ergeben. Die Ergebnisse aus den Modellierungen wurden in konkrete Handlungsempfehlungen in den jeweiligen Planungsprozess überführt. Je nach Planungsphase konnten sie Einzug in die Grundlagenermittlung einer Planung, in den Auslobungstext eines Wettbewerbs oder als Festsetzungen in einen Bebauungsplan finden. So wurden beispielsweise im Reallabor Moosach mikroklimatische Modellierungen der Wissenschaftspartnerin TU München durchgeführt und die Ergebnisse in das dort anstehende Verfahren zum städtebaulichlandschaftsplanerischen Wettbewerb integriert. Dies führte zu einer Verdeutlichung der positiven Klimawirkung von Bäumen vor Ort und zu der Vorgabe im Auslobungstext, unumgänglichen Baumfällungen zu 150 % zu kompensieren. Gute Erfahrungen im Rahmen des Forschungsvorhabens konnten wiederum bei der Vergabe und Durchführung von weiteren vertiefenden stadtklimatischen Gutachten (Abschnitt 3.3) in weiteren Bauleitplanverfahren angewendet werden.
Neben der Bedeutung einer wissenschaftlich fundierten Datengrundlage wurde im Projekt außerdem der große Einfluss einer Bewusstseinsbildung für klimaangepasste Planung bei beteiligten Akteuren wie Planenden in Verwaltung und privaten Büros, Entscheidungstragenden oder auch zukünftige Schlüsselpersonen wie angehende Architektinnen und Architekten sowie Planende identifiziert. Die Sensibilisierung dieser Personengruppen sowie die Wissensweitergabe von entsprechenden Anforderungen leisten einen wichtigen Beitrag bei der Entwicklung von klimaresilienten Quartieren.