... Autorin von „Nunchi. Das koreanische Geheimrezept“. Diese zwischenmenschliche Fähigkeit klingt wie eine neue Modeerscheinung aus Fernost, wird in Korea jedoch schon seit Jahrtausenden praktiziert. Ihre wichtigsten Zutaten: unsere Augen und Ohren.
RUHE, BITTE
„Wir haben zwei Ohren und einen Mund - und sollten zweimal so viel zuhören wie selbst reden“, rät Euny Hong, angelehnt an ein überliefertes Sprichwort. Zum Beispiel, wenn wir einen Raum betreten. Statt gleich draufloszusprechen, empfiehlt sie, erst einmal zu beobachten und still zu sein. Wie ist die Atmosphäre? Ausgelassen oder angespannt? Vielleicht wurde zuvor über ein ernstes Thema gesprochen? Erst wenn wir ausreichend Informationen gesammelt haben, können wir die gegenwärtige Situation richtig einschätzen - und uns beziehungsweise unser Anliegen gewinnbringend vorbringen. „Nunchi hat viel mit dem richtigen Timing zu tun“, sagt Euny Hong. Für die Frage nach einem höheren Gehalt ist dies ebenso wichtig wie für den ersten Kuss oder ein harmonisches Miteinander.
INFOS SAMMELN
Euny Hong zufolge haben Introvertierte oft ein besseres Nunchi - schließlich fällt ihnen die Beobachterrolle leichter. „Leider wird Schweigen in westlichen Gesellschaften oft als unangenehm empfunden“, kritisiert Hong.
SCHAU-PLATZ Nunchi heißt beobachten
Wörtlich übersetzt bedeutet Nunchi (gesprochen: nun tschi) Augenmaß. Beobachten ist das A und O der koreanischen emotionalen Intelligenz
Dabei tun wir gut daran, unserem Gegenüber Aufmerksamkeit zu schenken, statt unsere verbale Leuchtreklame anzuknipsen. Etwa beim ersten Date. Natürlich sind wir nervös und könnten das mit hübsch ausgeschmückten Anekdoten überspielen. Halten wir uns zurück, erfahren wir mehr. Durch, klar: Worte. Aber auch durch Nichtgesagtes. Den Kontext. Die Pausen zwischen den Zeilen. Die Art, wie unser Gegenüber mit Dritten umgeht (etwa den Kellnern im Restaurant), und die Körpersprache. Positiver Nebeneffekt: Menschen mögen es, wenn ihnen Aufmerksamkeit geschenkt wird - was uns als Zuhörer sympathisch macht. Darüber hinaus werden wir entspannter, weil der Fokus nicht komplett auf uns als Person liegt.
ALLES NEU
Wichtig ist dabei, sein Nunchi auf dem neuesten Stand zu halten - schließlich kann sich die Stimmung stetig ändern - wenn etwa eine andere Person den Raum betritt oder jemand eine (un-) passende Bemerkung gemacht hat. Man spricht daher nicht von gutem, sondern schnellem Nunchi. Und das braucht immer wieder die Anpassung an die gegenwärtige Situation. Nur dann ist diese zwischenmenschliche Fähigkeit so universell einsetzbar wie ein Schweizer Taschenmesser. Das hilft - wie Nunchi - übrigens auch auf Reisen.
ANDERE LÄNDER, ANDERE CODES
Gerade weil wir die Codes und Gepflogenheiten im Ausland oft nicht kennen, ist es wichtig, das Verhalten der anderen zu analysieren. So ist es etwa in US-Restaurants üblich, die Rechnung direkt nach dem Essen zu bekommen, während dies hierzulande als unhöflich gilt. Statt sich also aufzuregen, dass der US-Kellner einen mit dem Bon gefühlt vor die Tür setzt, bemerkt ein Nunchi-Profi Folgendes: Diese Praxis wird nicht nur bei ihm, sondern an allen Tischen so gehandhabt - und ist also kein Affront der Bedienung. „Das Leben wäre sehr anstrengend ohne Nunchi“, sagt Euny Hong. „Wir würden sonst viele ungesagte Kleinigkeiten viel zu persönlich nehmen.“
VERTRAU DIR
Neben einer schnellen Auffassungsgabe und der Detektivarbeit im Sammeln von Infos braucht es für Nunchi auch ein gutes Bauchgefühl - und Vertrauen in die eigene Intu-ition. Beispiel gefällig? „Wenn man in westlichen Gesellschaften eine Person nicht mag, muss man dies stets begründen und sozusagen Beweise liefern. In Korea vertraut man viel mehr dem Empfinden - und liegt damit in den meisten Fällen richtig“, betont Euny Hong.
Fotos: Getty Images (5), Victor G. Jeffries II
KOPFSACHE
Bevor wir uns im Nunchi üben, empfiehlt die Autorin, „den Geist zu leeren“. Sie sagt: „Befreien Sie sich von vorgefassten Meinungen, um urteilslos zu beobachten.“ Eine Möglichkeit dazu ist diese Übung: „Schließen Sie für zwei Minuten die Augen und konzentrieren Sie sich auf Ihre Atmung, bevor Sie zu den anderen gehen.“ Voilà: Jetzt steht dem Auftritt der Superkraft Nunchi nichts mehr im Wege.
HALTUNGS-FRAGE: Nunchi ist Detektivarbeit
Unser Gegenüber verrät nicht nur durch Worte viel über sich, sondern auch durch Gestik, Mimik und den Umgang mit Dritten
EASY LISTENING: Nunchi bedeutet: zuhören!
Wer ein schnelles Nunchi hat, ist oft ein Meister im Zuhören. Dabei erfährt man viel über sein Gegenüber und wird auch selbst gelassener, weil man nicht im Fokus steht