... wirklich anzugehen, ist die echte Herausforderung. So mussten also zunächst den Worten Taten folgen. Für Markus hieß das, einen Ort zu suchen, an dem die neugierigen Nachbarn ihn nicht bei den ersten Laufversuchen begutachten konnten. „Ich wollte nicht, dass mich jemand sieht“, sagt er rückblickend. Also fuhr Markus erst einmal in einen Wald in der Nähe. 50 Meter laufen, dann eine Minute Pause, dann wieder 50 Meter laufen. Er fing ganz von vorne an.
MARKUS DZIA LLAS
Alter: 51
Wohnort: Köln-Porz, Westhoven
Beruf: Krankenpfleger
Den Zauber, der jedem Anfang innewohnen soll, konnte Markus allerdings nicht direkt entdecken. „Von Glücksgefühlen war damals so gar nichts zu spüren.“ Nach seinen ersten Läufen taten ihm die Beine weh. Er nahm sich ein, zwei Tage Pause von seinem Laufprojekt, zum Regenerieren, und fing dann wieder von vorne an, bis irgendwann der erste Kilometer am Stück geschafft war. In der Zwischenzeit kaufte sich Markus auch richtige Laufschuhe – und zwar direkt zwei Paar.
„Natürlich hat mich das auch etwas frustriert, dass es nicht schneller voranging“, sagt der 51-Jährige. „Aber das Gute war, dass ich irgendwie auch damit gerechnet hatte, dass es ein langer Prozess werden würde.“ Besonders ein Satz, den er zufällig gelesen hatte, half dem Neuläufer in seiner Anfangszeit: Man muss seine Misserfolge feiern. „Den Satz fand ich gut. Nach dem Motto habe ich gehandelt. Ich habe mich von den Tagen, an denen es nicht so klappen wollte, nicht herunterziehen lassen.“ Ein Tag Pause und dann einfach wieder anfangen – das war die Devise. „Und irgendwann ging es von alleine. Ich kann gar nicht sagen, an was für einem Tag das genau war. Aber plötzlich fiel mir das Laufen leichter.“
EINFACH LOCKER
Am 11. Februar 2021 hat Markus mit dem Laufen begonnen, das war der Tag, an dem er im Wald 50 Meter am Stück laufen konnte. Diesen Februar feierte er also schon Einjähriges. Ob er an dem Tag laufen war, weiß er so spontan gar nicht. Zu normal und wunderbar alltäglich ist das Laufen für ihn in den letzten Monaten geworden. Drei-, vier-und manchmal auch fünfmal die Woche läuft Markus heute – gerade so wie es ihm passt. Am liebsten aber morgens direkt nach dem Aufstehen, da fällt es ihm am leichtesten.
Als frisch gebackener Ganzjahresläufer hat der Kölner auch schon die Besonderheiten eines solchen Laufjahres erfahren. „Ich sehe auf meinen Strecken eigentlich immer dieselben Leute. Nur an den ersten Tagen des neuen Jahres war das anders. Da waren plötzlich ganz viele Leute unterwegs, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Das waren Leute mit schicker neuer Kleidung und teuren Uhren an den Handgelenken. Die sind dann aber nach und nach wieder verschwunden“, erzählt Markus.
Vier bis sechs Kilometer spult er meistens bei den Läufen unter der Woche ab, am Wochenende steht dann ein längerer Lauf an. Da sind die Kilometerzahlen schon längst zweistellig. „Aber ich übertreibe es nicht. Wenn es mal nicht klappt mit dem Laufen, dann ist es auch okay.“ Er sieht es nicht so verbissen. Diese Einstellung zum Laufen ist sicherlich etwas, das auch dem ein oder anderen sehr erfahrenen Läufer in manchen Situationen guttun würde. „Ich laufe los, und wenn ich dann unterwegs mal merke, dass heute einfach nicht mein Tag ist, dann drehe ich wieder um. Wenn es gut läuft, merke ich das aber auch schon nach ein paar Metern. Ich habe da ein Gefühl für entwickelt.“
Markus ist sich aber auch sicher, dass alles ganz anders gewesen wäre, hätte er sein Laufprojekt vor zehn oder 20 Jahren gestartet. „Dann hätte ich mir einen strikten Plan aufgestellt, an welchem Tag ich wie viele Kilometer laufen gehe, um immer wieder einen Kilometer drauf zu packen. Und es wäre auf jeden Fall auch darum gegangen, immer schneller zu werden, also nicht so entspannt, wie ich es jetzt angehe.“
Als wirklich locker beschreibt er seine Pace. Eine Uhr hat er sich aber dennoch gekauft, rein aus Neugier. Bei den ersten Läufen brauchte er 7:30 bis 8 Minuten für einen Kilometer. „Also, das ist ja schon relativ lahm“, sagt Markus rückblickend. „Mittlerweile bin ich bei 6:30 Minuten. Das ist einfach so passiert, denn es ist definitiv nicht so, dass ich es darauf anlege, flotter zu werden.“
Auch ein anderes Thema, das manche überhaupt erst zum Laufen treibt, juckt Markus nicht so wirklich – das Abnehmen. „Ich wiege gefühlt schon immer über 100 Kilogramm. Das habe ich nie so richtig im Blick gehabt. Mir ging es wirklich nur um den Blutdruck, deshalb wollte ich Sport machen, nicht wegen des Gewichts.“ Als er dann zu Beginn seines Laufabenteuers infolge des Nicht-mehr-Rauchens allerdings 10 Kilogramm zunahm, wollte er dieses Zusatzgewicht dann doch liebend gerne wieder loswerden. „Du denkst ja dann doch, dass man relativ einfach abnimmt, wenn man nur regelmäßig läuft. Aber das stimmt so nicht, das habe ich dann auch gemerkt. Es hat Monate gedauert, bis die Pfunde wieder runter waren. Aber mittlerweile sind sie es.“
PERSÖNLICHES ZIEL
Natürlich ist nicht immer alles nur rosig in der Welt des Neuläufers, besonders dann nicht, wenn es frühmorgens draußen noch dunkel und ungemütlich ist. „Ich gehe nicht immer raus und sage Hurra.“ Er würde manchmal auch lieber noch eine halbe Stunde länger im Bett liegen bleiben. „Aber mittlerweile habe ich es raus. Ich ziehe mich schnell um, schnalle mir die Lampe um, und los geht’s. Hinterher bin ich dann schließlich total froh, dass ich losgelaufen bin.“
Neben seiner morgendlichen Laufroutine hat Markus seinen Alltag peu à peu noch weiter verändert. Er lässt zum Beispiel das Auto jetzt häufiger stehen und fährt mit dem Rad zur Arbeit. Laufend hat Markus sein Leben umgekrempelt, und das in seinem eigenen Tempo.
„Ich habe mich von den Tagen, an denen es nicht gut lief, nicht herunterziehen lassen.“
Markus Dziallas
HAUPTSACHE SPASS
Was können auch die Menschen, die seit Jahrzehnten ihre Laufschuhe schnüren, von einem Neuläufer wie Markus lernen? Vielleicht können sie sich daran erinnern, wie viel Freude die ersten Schritte einst gemacht haben und wie viel Spaß dieser Sport ganz generell bringen kann. Denn der Spaß an der Sache ist für Markus ganz wichtig. „Sollte der nicht mehr da sein, dann höre ich ganz schnell auf. So gut kenne ich mich.“ Auch mal nicht alles so verbissen zu sehen, gehört zu den Stärken des Ganzjahresläufers. Wenn mal etwas dazwischen kommt, ob Wetter oder eine Verletzung, lässt er sich davon nicht herunterziehen. „Dann laufe ich halt beim nächsten Mal wieder los. Und jut ist.“
HILFE BEIM AUFHÖREN
Laufen kann der Schlüssel zum Rauchstopp sein: Das hat zumindest eine Studie aus dem Jahr 2017 ergeben. Die kanadische Laufladen-Kette „Running Room“ und die „Kanadische Krebsgesellschaft“ hatten ein Laufprogramm entwickelt, das Menschen bei der Entwöhnung von Zigaretten helfen sollte. 168 Menschen aus ganz Kanada nahmen an wöchentlichen Sitzungen teil, in denen sie sowohl etwas über das Laufen als auch über die Raucherentwöhnung lernten und bis zu einem Fünf-Kilometer-Lauf trainierten. Von den 60 Prozent der Teilnehmer, die das Programm beendeten, gaben 91 Prozent an, ihr Rauchen reduziert zu haben. 51 Prozent hörten ganz auf zu rauchen – eine Zahl, die sechs Monate später nur geringfügig gesunken war. Für eine Maßnahme zur Raucherentwöhnung sei das eine beeindruckende Zahl, erklärte die Forscherin Carly Priebe von der University of British Columbia.
Dieses eigene Tempo scheint so ziemlich allen Läuferinnen und Läufern sehr wichtig zu sein – und zwar weltweit. Das hat eine globale Studie des Weltleichtathletikverbands im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Unternehmen „Nielsen“ herausgefunden. Die Tatsache, dass man sein Tempo selbst bestimmen kann, gehörte bei 68 Prozent der Teilnehmenden zu den Gründen, warum sie laufen. Nur ein Aspekt hat in der Studie noch mehr Zustimmung bekommen, und auch dieser passt zu Markus’ Motivationen. Denn es dreht sich um Gesundheit, Wohlbefinden und Fitness. 74 Prozent nannten diese Schlagworte als Grund für das Laufen. Dahinter reihen sich Faktoren wie die geringe Menge an Equipment, Stressabbau und das Draußen-Sein ein.
Auch der Aspekt, dass man beim Laufen Zeit für sich selbst hat, gehört dazu. Hinter diesen Punkt würde Markus wohl auch einen Haken machen. Denn meistens läuft er alleine, und das, obwohl er früher jahrelang als Fußballer Mannschaftssportler war – bis ihm das Kreuzband zum Aufhören zwang. Heute schätzt er es, dass das Laufen so unkompliziert ist. „Ich muss mich mit niemandem verabreden. Ich kann einfach loslaufen, das macht den Sport ja so wunderbar einfach“, sagt der Kölner. Manchmal dreht er aber doch mit seiner Frau eine Runde. Denn die zwei haben ungefähr das gleiche Tempo.
„Mein Ziel ist es, einen Halbmarathon zu laufen.“
Markus Dziallas
Ein weiterer Grund für das Laufen, der in der Studie herauskam, ist das Verfolgen eines Ziels. 52 Prozent der teilnehmenden Läufer gaben an, dass ihnen das helfe, einen Fokus zu haben. Und jetzt gibt es eine kleine Überraschung: Auch der Mann, der in seinem eigenen Tempo läuft und wenig von zu viel Ehrgeiz hält, hat einen persönlichen Lauftraum. „Mein Ziel ist es schon, einen Halbmarathon zu laufen. Ob das dieses Jahr klappt, weiß ich noch nicht. Denn ich setze mich auch dabei nicht unter Druck.“ Eine Zeitvorgabe gehört natürlich nicht zu diesem Ziel. „Hauptsache durchkommen“ lautet die Devise.
Eine kleine Sorge hat Markus beim Thema Halbmarathon allerdings. Bei dieser geht es aber nicht um die körperlichen Aspekte. „Ich genieße die Zeit zum Nachdenken, die man beim Laufen hat. Aber wenn ich eine Stunde unterwegs bin, dann frage ich mich schon, über was ich da jetzt noch nachdenken soll. Und beim Halbmarathon muss ich ja dann noch eine weitere Stunde laufen … Puh, da habe ich schon die Sorge, dass mir langweilig wird …“ Vielleicht kann er bei dieser zusätzlichen Stunde einfach mal darauf zurückblicken, was er da in den vergangenen Monaten in seinen Laufschuhen erreicht hat. Schließlich ist er heute deutlich gesünder als damals. „Ich fühle mich auch viel besser“, sagt Markus. Das bestätigt ihm auch sein Internist. „Das Rauchen hat zum Glück am Herzen keine bösen Spuren hinterlassen. Ich habe noch einmal Glück gehabt.“
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