... war Bezuidenhout zeitweise mittendrin im Strudel der Entwicklungen. Verständlich, wenn sich ein solch exponierter Airline-Manager nach ruhigerem Fahrwasser für sich und vor allem seine Familie sehnt. Größer könnte der Kontrast denn auch für den Südafrikaner weder in seinem Job noch in den Lebensumständen sein, der mit dem Umzug vom Moloch Johannesburg in die beschauliche Inselhauptstadt St. Peter Port auf Guernsey verbunden war. „Dort haben wir hinter Betonmauern und Stacheldraht wie im Hochsicherheitstrakt leben müssen – und hier lassen die Leute grundsätzlich ihre Wohnungstüren auf“, staunt Bezuidenhout auch nach rund einem Jahr immer noch. Hier ticken die Uhren anders.
Die Kanalinseln, insgesamt 14, davon acht bewohnt, sind ein paar Flecken Land im südöstlichen Ärmelkanal, die sich an die Nordspitze der Normandie in Frankreich zu schmiegen scheinen; das Festland Frankreichs ist von allen Inseln gut sichtbar. Bezugspunkt aber ist das wesentlich fernere England. Die beiden Hauptinseln Guernsey (ein wenig kleiner als die deutsche Nordseeinsel Föhr, aber mit rund 62 000 Einwohnern) und das größere Jersey (100 000 Einwohner) bilden die zwei Amtsbezirke und konkurrieren dabei heftig. Sie verfügen sogar über jeweils eigene Währungen und eigene Fluggesellschaften.
KERNZIEL: KOSTENSENKUNG
Das genau ist eines der Probleme, die Nico Bezuidenhout lösen will, der in Afrika gelernt hat, dass Kleinstaaterei mit kommerziell nicht überlebensfähigen Mini-Airlines in der Luftfahrt keine Lösung ist. „Es geht immer um Konsolidierung, aber das klappt nur aus einer Position der Stärke“, sagt der Südafrikaner. Obwohl die Flotte nur aus sechs Flugzeugen besteht, fühlte Bezuidenhout sich bei der Vielfalt an verschiedenen Typen an seine Zeit bei SAA erinnert, wo früher gescherzt wurde, die Flotte glei-che einer Arche Noah, von jedem Typ ein Exemplar. Die 1968 unter dem Namen Aurigny Air Services (was in normannischer Sprache für Alderney steht, die zweitgrößte Insel im Bezirk Guernsey) gegründete Airline wurde 2003 nationalisiert, weil sie für knapp 65 000 Menschen die überlebenswichtige Verbindung zur Außenwelt sicherstellt. Seit über einem Jahrzehnt wurde kein Gewinn mehr eingeflogen, bis Nico Bezuidenhout kam und seine bewährten Rezepte anwandte.
„Von meinen Billigflieger-Zeiten weiß ich, dass man durch Standardisierung die Kosten nach unten bringt, und das ist zwingend nötig, um Aurigny aus der Verlustzone zu bekommen und die Flugpreise so niedrig wie möglich zu halten“, sagt der 46-Jährige. „Aurigny ist eine kleine, aber komplexe Airline, und eine kleine Gesellschaft zu sein, heißt nicht eine einfachere. Es ist meine Aufgabe, das Geschäft zu vereinfachen, Kosten runter, Anzahl der Zielorte und Frequenzen rauf“, so seine Formel. Und sie scheint zu wirken: „Seit April 2022 waren wir einige Monate profitabel, zum ersten Mal seit zehn Jahren. Wir haben unsere Kosten um 21 Prozent reduziert, mehr Passagiere befördert und unseren Marktanteil von und nach Guernsey von 56 Prozent auf 80 Prozent ausgebaut“, zieht er eine erste Bilanz. So reizvoll Guernsey für den Fremdenverkehr ist, stammen doch nicht einmal zwei Prozent der lokalen Wirtschaftsleistung aus dem Tourismus, 54 Prozent dagegen aus der Finanzbranche und ihrem Umfeld. Die Kanalinseln sind eine beliebte Steueroase, was sie für Banker und Finanzjongleure sehr attraktiv macht. „Wir müssen also den Luftverkehr nicht auf Touristen, sondern auf diese Branche ausrichten, auf der beruht die Wirtschaft – und die braucht vor allem eine gute Anbindung an das Finanzzentrum London“, so Bezuidenhout. Sechsmal pro Werktag gibt es Flüge zwischen Guernsey und Gatwick, üblicherweise rund 45 Minuten Flugzeit. Allerdings überlegt der CEO wegen chronischer Überlastung Gatwicks, ab Sommer 2023 seiner Banker-Klientel zusätzlich direkte Flüge nach London-City anzubieten. Vom Passagieraufkommen her liegen Southampton als nächstgelegene Stadt auf der britischen Insel sowie Manchester ebenfalls unter den Top 3. Für Wochenendausflüge der Insulaner oder Inselreisen für Touristen bietet Aurigny eine Reihe von saisonalen Zielen von Porto bis Palma, Prag oder Kopenhagen oder im Winter Grenoble. Was bisher keiner Kanalinsel-Airline gelang, sind ganzjährige Flüge ins nahe Frankreich, obwohl viele Insulaner dort Häuser besitzen. „Mit unserer jetzt besseren Kostenstruktur prüfen wir das gerade für Sommer 2023. Frankreich wäre ein offensichtliches Ziel auf dem Kontinent“, sagt Bezuidenhout.
Der entscheidende Faktor, um Aurigny nachhaltig auf Erfolgskurs zu bringen, so der CEO, ist die Vereinheitlichung der Flotte. Als Erstes steht der einzige Jet zur Disposition, eine 2014 angeschaffte Embraer E195. „Damals mussten wir Slots in Gatwick verkaufen und brauchten daher für die verbliebenen Landezeiten ein größeres Flugzeug, aber die Frage ist, ob das als Einzelgänger in der Flotte und auf unseren kurzen Sektoren weiter Sinn macht.“
Noch exotischer sind die deutschen Flugzeuge bei Aurigny – zwei Dornier 228NG mit den Baujahren 2015 bzw. 2018, die speziell für die Hüpfer zur Nachbarinsel Alderney und von dort nach Southampton benötigt werden. „Wir sind die entscheidende Anbindung für Alderney, auch was die Beförderung von Notfällen ins Krankenhaus nach Southampton betrifft, daher müssen wir sicherstellen, dass wir jederzeit verlässliche Dienste anbieten können“, betont Bezuidenhout. Die Bahn in Alderney ist sehr kurz (nur 880 Meter) und zudem kann hier zäher Nebel zum Problem werden. „Manchmal versinkt alles hier für zwei oder drei Tage in so dichtem Nebel, dass nichts mehr geht, obwohl ich das bisher noch nicht erlebt habe“, sagt der CEO. „Wir versuchen alles, um die Leute an ihr Ziel zu bringen, auch Bootstransfers“, verspricht der CEO, und insgesamt ist Aurigny eine pünktlichere Airline als der britische Durchschnitt, 90 Prozent der Alderney-Flüge sind „on time“.
Doch die exotischen Dorniers sind ein Fremdkörper in der Flotte und Aurigny hofft, sie durch eine politische Entscheidung bald überflüssig zu machen: „Im Gespräch ist eine Verlängerung der Bahn in Alderney auf 1050 Meter, dann könnten wir die ATR dort betreiben, idealerweise schon ab 2025“, spekuliert Bezuidenhout. „Die Dorniers sind gute Flugzeuge, aber sehr teuer im Betrieb“, so der CEO. „Es gibt nur eine andere Airline, in Japan, die die Do 228NG im Linienbetrieb hat. Weltweit sind es gerade sechs oder sieben Flugzeuge, während die meisten vom Militär betrieben werden und der Hersteller daher ganz auf diese Klientel eingestellt ist. Das ist ein Problem für uns“, so Bezuidenhout.
Seit 2015 betrieb Aurigny bereits eine Dornier 228-200, Baujahr 1988, die allerdings inzwischen stillgelegt ist. „Die NGs sind ohne Zweifel wesentlich verlässlicher, aber man kann eben auch schlecht 34-jährige mit vierjährigen Flugzeugen vergleichen.“ Es ist eine Abwägung der Regierung – investiert man in die Bahnverlängerung und spart dafür Geld im Flugbetrieb? Vor allem würde die Anbindung Alderneys mit den derzeit drei modernen ATR-72-600, die im Schnitt keine drei Jahre alt sind, Flüge dahin wesentlich verlässlicher machen – dank einer technischen Neuheit. Denn die drei Aurigny-ATRs haben eine Kamera auf der Rumpfnase, vor den Cockpitfenstern. Sie gehört zum „ClearVision“-System für verbesserte Sicht, für das Aurigny der Erstkunde war und das im Herbst 2022 in Betrieb genommen wurde, nachdem während der Pandemie Zulassung und Pilotentraining nicht wie geplant stattfinden konnten. „Das System senkt die Entscheidungshöhe bei Landungen mit schlechter Sicht und erhöht die Chancen um 50 Prozent, bei Nebel landen zu können, verspricht zumindest ATR“, sagt der Südafrikaner. Auf der mit ILS ausgestatteten Bahn 27 in Guernsey werden damit Landungen möglich bei einer Bahn-Sichtweite von 350 Metern, die Entscheidungshöhe sinkt von 200 Fuß auf dann 100 Fuß (ca. 30 Meter) mit „ClearVision“. An Bord liegen Helme mit Sichtvisier bereit, auf denen den Piloten bei entsprechenden Verhältnissen das Nebel-durchdringende Kamerabild voraus und Flugdaten eingespiegelt werden. „Das gibt den Piloten einen wesentlich besseren Überblick, ähnlich einem Head-up-Display“, berichtet Bezuidenhout. Doch der CEO warnt auch: „Es darf keine übertriebenen Erwartungen geben, dass ‚ClearVision‘ der absolute Nebelkiller ist, mit dem man künftig unter allen Bedingungen fliegen kann, denn das ist schlicht nicht so.“
Nico Bezuidenhout selbst hat jedenfalls eine klare Vision für seine Airline: Sie soll nachhaltig profitabel werden, dann eine Konsolidierung einleiten mit der ebenfalls verlustreichen Gesellschaft Blue Islands von der Nachbarinsel Jersey. Irgendwann wird sich der Airline-Chef dann wieder größeren Firmen zuwenden – wenn er sich denn vom angenehmen Leben auf Guernsey verabschieden kann.