... gewonnene Routinen und Beständigkeit. Die Liebe ist vielseitig. „Eine Beziehung ist mehr als romantische Liebe und ein Prinz auf dem weißen Pferd, der mit einem in den Sonnenuntergang reitet“, schreibt auch die Diplom-Psychologin Dr. Bärbel Wardetzki in ihrem Buch „Und das soll Liebe sein?“.
Selbstverwirklichung, Abenteuer und ständig neue Erlebnisse – was wir mitunter von der Liebe erwarten, ist nicht nur unrealistisch, sondern auch ungesund; für unseren Partner wie auch für uns selbst. Denn wenn wir unsere Liebesbeziehungen immer wieder auf ihren Nutzwert hin abklopfen und sie wie ein Tauschgeschäft betrachten, verkennen wir den Kern der Liebe: Dass wir nicht lieben, weil wir etwas dafür im Gegenzug erhalten, sondern weil wir nicht anders können. Weil wir den anderen lieben, obwohl er nicht mehr so witzig, romantisch oder schön ist wie am Anfang. „Liebe ist nicht die Bewunderung des Perfekten, sondern vielmehr Sympathie für viele Dinge, die alles andere als perfekt sind“, sagt auch der Schriftsteller und Philosoph Alain de Botton und gibt uns damit einen wichtigen Hinweis, was Liebe ebenfalls nicht ist: nämlich etwas, womit wir uns schmücken, unser Ego aufpolieren oder was wir für den schönen Schein benötigen. Dann würden wir aus den falschen Gründen heraus lieben und wäre das dann überhaupt noch Liebe?
LIEBE BRAUCHT LUFT ZUM ATMEN UND RAUM FÜR UNSERE INDIVIDUALITÄT
Die sogenannten toxischen Formen der Liebe zeigen sich in unglaublich vielen Gestalten und häufig steckt nicht einmal Boshaftigkeit dahinter, sondern vielmehr Ängste, Selbstzweifel, Unachtsamkeit oder aber Glaubensmuster, die dazu geführt haben, dass wir ein falsches Bild von der Liebe gewonnen haben. Konfluenz nennt Dr. Bärbel Wardetzki eines dieser Phänomene, bei dem Partner derart verschmelzen, dass sie sich regelrecht im anderen verlieren und die eigene Persönlichkeit nahezu aufgeben. So romantisch diese Vorstellung für den einen oder anderen auch klingen mag – Liebe braucht Luft zum Atmen. „Beziehung bedeutet nicht, sich dem anderen auf Kosten der eigenen Individualität anzupassen und unterzuordnen. Liebe ist angewiesen auf die Einfühlung der Partner, aber ebenso auf deren Eigenständigkeit“, heißt es bei Bärbel Wardetzki.
Ebenso kann eine übertriebene Form von Liebe den anderen regelrecht erdrücken. Was gemeinhin als „Affenliebe“ bekannt ist, lässt sich häufig zwischen überbehütenden Eltern und ihren Kindern beobachten. Zum Beispiel dann, wenn Kindern etliche Dinge von Mama und Papa abgenommen werden, die sie eigentlich selber lernen sollten, um ein eigenständiges Leben führen zu können. Auch hier fehlt der Raum zur Entfaltung und für Eigenständigkeit. Das Tragische daran sei laut Bärbel Wardetzki, dass die Eltern dies im Grunde nicht für ihr Kind tun würden, sondern für sich selbst, weil ihnen entweder die Geduld fehle oder sie es nicht ertragen würden, das Kind scheitern zu sehen. „Es liegt am Narzissmus der Eltern, wenn sie ihre Kinder stets glücklich, erfolgreich und ohne Probleme erleben wollen“, heißt es in ihrem Buch.
Dabei ist es doch genau das, was die Liebe ausmacht. Nämlich, dass wir für die Person geliebt werden, die wir tatsächlich sind und nicht für die geschönte Version, die andere gerne von uns hätten. Wir wollen auch dann geliebt werden, wenn wir schlechte Laune haben, ungerecht sind oder wenn wir etwas nicht auf An-hieb begreifen. Wir wollen nicht nur in unseren hellsten, sondern auch und vor allem in unseren dunkelsten Stunden in den Arm genommen und geliebt werden. Laut Alain de Botton liegt der Grund hierfür in unserer frühsten Kindheit begründet, als wir zum ersten Mal erfahren haben, wie es sich anfühlt, bedingungslos geliebt zu werden. Als Kleinkind mussten wir weder klug noch schön oder erfolgreich sein, um Liebe zu erfahren. Und nach dieser Form der Liebe sehnen wir uns ein Leben lang.
Vor diesem Hintergrund scheint es fast paradox, dass wir unserem Gegenüber gerade am Anfang der Kennenlern-oder Verliebtheitsphase so gerne nur unsere Schokoladenseite präsentieren wollen. Und obwohl wir eigentlich wissen, dass wir einen Menschen erst dann wirklich kennenlernen, wenn die erste Phase der Verliebtheit langsam abebbt, fallen wir doch immer wieder auf den Effekt der rosaroten Brille herein. Wir verklären den neuen Partner und legen selbst eine Maske an.
Ein weiteres Phänomen falsch verstandener Liebe beobachten wir bei Menschen, die fieberhaft nach einer Beziehung suchen, weil sie sich so sehr nach einem Lückenfüller für die eigenen Bedürfnisse sehnen. Vielleicht, weil man nicht allein sein mag, eine Trennung verarbeiten muss, weil man Ablenkung sucht oder weil es so guttut, wenn jemand das eigene Selbstbewusstsein streichelt. „Wer einen anderen Menschen braucht, um sich in eine neue Richtung oder überhaupt wieder zu bewegen, wer ein neues Date, eine neue Quelle für Nähe und Aufmerksamkeit nur sucht, um sich von einer anderen zu entfernen, kurzum: Wer die neue Beziehung und ihre nahtlose Sicherheit braucht, um die alte überhaupt zu trennen, der liebt nicht – der hat Angst“, schreibt Lina Mallon in ihrem Buch „zweit.nah“. Die Hamburger Kolumnistin spricht damit ein großes Problem unserer Zeit an: die Angst vor dem Alleinsein. Die Angst ist nachvollziehbar, denn wer ist schon gern allein? Wenn wir einsam sind, sind wir besonders verletzlich, anfällig für Illusionen und eine Liebe, die mehr Schein als Sein ist.
MIT LAURA
LAURA, GAB ES EINEN MOMENT IN DEINEM LEBEN, IN DEM DU BEWUSST BESCHLOSSEN HAST, DEIN HERZ FÜR DIE LIEBE ZU ÖFFNEN?
Diesen Moment gibt es bei mir jeden Morgen. Ich setze mir jeden Morgen die Intention, heute mit Liebe durch den Tag zu gehen und mich darauf zu konzentrieren, wo ich Liebe hintragen kann.
WAS KÖNNEN WIR TUN, WENN DAS HERZ VERSCHLOSSEN UND VERLETZT IST?
Mir hat es sehr geholfen, zu vergeben und mit dem inneren Kind zu arbeiten. Beides sind Prozesse, das passiert nicht von heute auf morgen, aber es ist unglaublich wertvoll, die Dinge aus der Vergangenheit zu heilen, die heute dazu führen, dass wir unser Herz verschlossen halten. Denn Liebe ist immer da – wir müssen nur die Blockaden abbauen, mit denen wir uns vor der Liebe verschließen.
Fakt ist aber, dass wir einem großen Irrtum aufgesessen sind, wenn wir glauben, eine Beziehung würde uns schlagartig von jeglichen Sorgen befreien. Es ist nicht der andere, der unser Leben schöner macht oder die Narben unserer Seele und unseres Herzens heilt. So verlockend es auch klingen mag, den Partner als persönlichen Glücksgaranten zu verpflichten – über kurz oder lang werden wir feststellen, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Dahinter steckt häufig ein angeknackstes Selbstwertgefühl, das uns einredet, wir wären nur dann wertvoll, wenn ein Gegenüber uns dies versichert. Wer hingegen erkennt, dass der eigene Selbstwert nicht vom Zuspruch eines anderen Menschen noch von dem unseres Partners abhängt, der hat eine wichtige Sache entdeckt. Nämlich, dass wir auch dann glücklich sein können und auch sollten, wenn wir allein sind. Dabei geht es nicht darum, als Einzelkämpfer das Leben zu bestreiten, sondern lediglich darum, auch ohne Applaus von außen zufrieden zu sein und Liebe zu leben. Erst dann können wir aufhören, Beziehungen hinterherzujagen, die nicht auf Liebe beruhen, sondern auf dem ewigen Stillen von Bedürfnissen.
WIR LIEBEN IMMER DANN, WENN WIR DINGE TUN, DIE WIR LIEBEN
Wer das begriffen hat, der wird auch erkennen, dass Liebe nicht erst dann in unser Leben tritt, wenn wir einen Ring am Finger oder ein zweites Kopfkissen in unserem Bett liegen haben. Liebe ist immer da; schlichtweg, weil wir sie in uns tragen. Wir können sie nicht verschwenden, verlieren oder durch andere zerstören lassen. Sie ist wie eine innere Quelle, die nie versiegt und aus der wir jederzeit schöpfen dürfen – egal, ob wir uns in einer Beziehung befinden oder nicht. Denn Liebe zeigt sich nicht bloß im romantischen Miteinander zwischen zwei Partnern, sondern sie hat unendlich viele Gesichter, die es zu entdecken lohnt. Dazu zählt vielleicht die Liebe zu unseren Freunden, unserer Familie und auch die zu unseren Haustieren. Wir können die Liebe in uns jedes Mal dann spüren, wenn wir Liebgewonnenes tun und wundervolle Gewohnheiten pflegen. Kurzum: Wir lieben immer dann, wenn wir Dinge tun, die wir lieben.
„Liebst du mich noch?“ fragen Partner einander, wenn die Beziehung brüchig wird. Und nicht selten sind beide mit dieser Frage völlig überfordert, weil man erst einmal wissen müsste, was Liebe denn überhaupt ist. Vielleicht ist diese populäre Frage nach dem Vorhandensein der Liebe am Ende des Tages nicht das Entscheidende. Denn wie will man etwas bemessen, das sich auf der Grundlage unseres Verstandes nicht bemessen lässt? Das ist der Zeitpunkt, an dem wir wagen sollten, auf unser Herz zu hören und uns ganz auf unser Gefühl zu verlassen. Anfangs ist die Stimme unseres Herzens unter Umständen noch sehr leise und zaghaft, weil es vielleicht nicht gewohnt ist, dass es sich auch mal zu Wort melden darf. Aber gerade dann sollten wir ganz besonders hinhorchen, denn in Liebesdingen ist unser Herz tatsächlich unschlagbar und oft ein viel besserer Ratgeber als der schärfste Verstand es jemals sein könnte.