... Der darüber als Nobelversion positionierte Caprice war nur mit dem Custom-Dach, der Impala wiederum mit beiden erhältlich. Und wer sich anmaßte, statt dieser angesehenen Fahrzeuge einen Bel Air oder gar einen Biscayne zu chauffieren, konnte bei den erstgenannten Chevys mal schauen, wie das mit den Hardtops und den rahmenlosen Seitenscheiben eigentlich so funktionierte, denn beides gab es bei den Billo-Bowties nicht. Doch warum anderswo neidisch gucken, anstatt selbst säulenfreie Fahrt zu genießen? Die meisten Kunden dachten so, denn inklusive der Kombis standen bei den Fullsize-Chevys 155.000 Bel Airs und 68.700 Biscaynes 166.900 Caprices und satte 777.000 Impalas gegenüber. Von solchen Fullsize-Absätzen konnte Mitbewerber Plymouth mit 370.000 Exemplaren nur träumen; Ford hingegen kam mit 998.800 Einheiten der großen Modelle dem Erzrivalen General Motors recht nahe. Während sowohl Ford als auch Plymouth ausschließlich dreistufige Automatik-Getriebe offerierten, hielten die Bowtie-Jungs neben der ebenfalls dreistufigen Turbo-Hydramatic ein letztes Mal die zweistufige Power Glide parat. Unter der Haube herrschte im Hause Chevrolet beim Fullsize-Quartett größtenteils Gleichberechtigung, selbst der 427 ci Big Block mit 335 oder 390 PS zog gegen Aufpreis in jeden Vorderwagen. Das galt auch für den 350 ci Turbo-Fire mit 255 oder 300 PS sowie für den 396 ci Turbo-Jet mit 265 PS. Der 155-PS-Reihensechser fand sich indes weder im Caprice noch im Impala Custom Coupe oder im Convertible. Dort gab dann der 327 ci Small Block mit 235 PS den Einstand, und der sorgt auch im Zweitürer des Niedersachsen für Vortrieb.
Wie der Sohn, so der Vater
Den ersten Kontakt mit US-Cars hatten Rüdiger und sein Sohn beim Treffen auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg. Die schönen Formen, die Vielfalt der sich vom Leasing-Alltagsbrei heutiger Autos abhebenden US-Cars sowie der typische V8-Sound begeisterten Junior wie Senior. Das Hauptaugenmerk galt da aktuellen Mustangs, Corvettes und Camaros, also etwas flotteren, neueren Amis. Sohnemann war hin und weg, sodass er sich 2013 einen Mustang GT der fünften Generation anschaffte. Seither besuchte man gemeinsam US-Car-Treffen mit dem ersten eigenen Ami. 2018 kam dann der Wunsch nach einem älteren Modell auf, Favoriten waren Ranchero und El Camino. „Nach einer vielversprechenden Probefahrt mit einem solchen Ford passte der nicht in meine Garage, und ich war erst einmal bedient. Dann machte mich mein Sohn auf einen schicken 69er Impala in Dunkelblau mit weißem Dach aufmerksam, der uns samt Besitzer von früheren Treffen bekannt war. Überlegt, abgewartet und noch einmal überlegt. Und dann war er weg! Sollte wohl nicht sein. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dann kam das Jahr 2019, mit 65 endete mein 50-jähriges Arbeitsleben. Und da stand er wieder im Netz. Jonas hatte mich gleich wild gemacht, aber im Winter einen Oldie kaufen? Mal abwarten, ob sich mit dem Preis etwas tut …“ Als der Bomlitzer nach einigen Wochen dann einen Kumpel mit Trailer für den Termin im 440 Kilometer entfernten Koblenz angeheuert hatte, war der Wagen prompt aus dem Netz verschwunden. Verkauft. Vor der Nase weg! „Mein Sohn kontaktierte den Besitzer. Der Chevy war tatsächlich noch zu haben, die Anzeige war bloß ausgelaufen. Bevor wieder was dazwischenkam, hatte ich trotz Schietwetters Nägel mit Köpfen gemacht: Nach aufreibenden 14 Stunden mit dem Trailer stand der Impala im März 2019 endlich bei mir zu Hause. Anders als der Ford passt er in die Garage. Nun habe ich ein neues Auto.“
Den um den Grill laufenden Loop Bumper trugen die Fullsize-Chevys allein 1969. Gegen Aufpreis versteckten sich die Scheinwerfer hinter Klappen
Die Four-Seasons-Klimaanlage war das bei weitem teuerste Extra an diesem Chevy
Das Radio orientiert sich an klassischen Geräten, trumpft jedoch mit zeitgemäßer Technik und vor allem FM-Empfang auf
Holz aus der Retorte adelte den Impala serienmäßig, das Alu-Lenkrad fand als neuzeitliches Zubehör noch in den USA in den Wagen
Die Kette aus der Dose
Das hatte Ende 1969 das Werk Doraville, Wisconsin, mit Annehmlichkeiten wie der dreistufigen TH350-Automatik, Bremskraftverstärker, Servolenkung, Klima, rechtem Außenspiegel und Radio verlassen. Weiteren Komfort brachte die Operating Convenience Group mit innenverstellbarem linkem Spiegel, elektrischer Uhr und Heckscheibenenteiser. Zu den hier einst nicht georderten, aber wegen ihrer Skurrilität in jedem Fall erwähnenswerten Extras gehört zweifelsfrei die „Liquid Tire Chain“: Mit Blick auf Kunden in den schneereichen nördlicheren Gebieten wollte Chevrolet deren Komfort und Sicherheit steigern. „Aktivieren Sie eine Steuerung auf der Instrumententafel, woraufhin eine Flüssigkeit auf die Hinterreifen gesprüht wird, um die Traktion auf Eis erheblich zu verbessern.“ Das System sollte die herkömmlichen Ketten nicht ersetzen, so weit ging der Enthusiasmus der Broschüre dann doch nicht, wohl aber primär Schwierigkeiten beim Anfahren lösen oder ausbrechende Hecks wieder einfangen. In den beiden im Kofferraum auf den Radkästen untergebrachten Dosen befand sich ein Polymer „aus dem Weltraum-Zeitalter“. Nach dem Verdampfen des Lösungsmittels blieb eine die Traktion verbessernde chemische Verbindung auf den Reifen zurück. Dass sich die zu 23,20 Dollar lieferbare Kette aus der Dose in der Praxis bewährt hat, ist unwahrscheinlich – angeboten wurde die Option V75 nur ein Jahr. In dieser Zeit schafften es etwas mehr als 2.600 Liquid-Tire-Chain-Systeme über das (mit Ausnahme der El Caminos und der Kombis) gesamte Chevrolet-Pkw-Portfolio auf die Straße – größtenteils wurden sie bei den Fullsizes verbaut. Eine sehr überschaubare und angesichts 2,1 Mio. gebauter Wagen erschütternd niedrige Zahl. Die Winterfahrer im Rust Belt und in Alaska waren offenkundig keineswegs überzeugt, dass zwei Aerosoldosen den eisigen Griff des Winters um die Traktion zu lösen vermochten, selbst wenn ein Totenkopf-Symbol die Dose zierte – Weltraum-Polymere hin oder her.
Ab sofort einteilig: Mit dem 69er Jahrgang verschwand das Dreiecksfenster hinter der A‑Saule bei den Big Three flächendeckend
Der Vorbesitzer hielt die Restauration in einer Dokumentation fest
Mit Ausnahme einiger Cadillacs entstammten sämtliche Pkw-Karosserien von General Motors auf dem Heimatmarkt der 1919 übernommenen Fisher Body Corporation, die 1926 als Division in den Konzern integriert wurde
Pimp the Imp’: Pseudohölzerne Zierfelder in der Türverkleidung gab es in der Holzklasse, bestehend aus Bel Air und Biscayne, nicht
Der 327-ci-V8 war 1969 der Einstiegsachter der Fullsize-Truppe
Mit 777.000 Verkäufen war der Impala 1969 ein absoluter Topseller. Hier das formale Custom Coupe
Gegen das Vergessen: Vor dem Beifahrer prangt gut lesbar die Modellbezeichnung
Nachsicht üben und genießen
Das original navyblaue Coupe wurde mit den Jahren mehrfach neu gespritzt; bei der Vorbereitung zur Lackierung und Restauration in Husum traten unter dem damaligen Hellgrün Lackschichten in Pink, Grün und Beige zutage. In Anlehnung an die ursprüngliche Farbe entschied sich der Vorbesitzer 2016, den aus Florida importierten Springbock in Tansanitblau-Metallic X10 aus der BMW-M-Palette zu hüllen und mit einem weißen Dach zu garnieren. Die Innenausstattung wurde abgesehen von den zuvor weißen und nun in schwarzem Leder neu bezogenen Sitzen weitestgehend original belassen. Der 327er kam in den Genuss einer Überholung, aber nach dem Spiel ist vor dem Spiel, wie Rüdiger weiß: „Ein Oldie möchte immer umsorgt werden, das kenne ich von meinen Alt-Opeln. Da löst sich schon mal eine Schraube, oder ein Schlauch scheuert durch. Auf der Fahrt zum Treffen in Hamburg ging sogar ein Bremszylinder kaputt, das war gar nicht gut. Aber das darf man nicht vergessen, es ist ein Oldtimer mit 50 Jahren auf dem Buckel. Das Fahren und der super V8-Sound entschädigen für alles!“
Klassiker: BF Goodrich Radial T/A auf Cragar S/S. Der einst überaus moderne – und stets modernisierte – „Raised White Letter“-Pneu wurde allerdings erst 1970 eingeführt
Chevrolets Turbo-Fire Small Block ist gut für 235 PS; der nachgerüstete Rochester-Vierfachvergaser verbessert die Spritversorgung deutlich