Privatbahn Magazin:Herr Minister Bausch, Luxemburg wird ab 2020 kostenlosen ÖPNV anbieten. Was sind Ihre Beweggründe für diese Maßnahme?
Verkehrsmister François Bausch: Ich sehe das Projekt vor allem als doppelte soziale Maßnahme, die einerseits für Geringverdiener ein Plus im Geldbeutel bedeutet und andererseits, da durch Steuergelder finanziert, breite Schultern stärker belastet als schmale. Man könnte es als das soziale Sahnehäubchen auf dem Kuchen einer umfassenden Verkehrsstrategie bezeichnen. Bis zur Umsetzung des kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs (und darüber hinaus) sollen weiter enorme Investitionen in das Bahn- und Busnetz getätigt werden.
Was wird der kostenlose ÖPNV an Kosten für den Staat verursachen?
Aktuell betragen die Einnahmen des ÖPNV in Luxemburg jährlich 41 Millionen Euro durch Ticketverkauf. Das sind nicht einmal 9 Prozent der Ausgaben, die sich jährlich auf etwa 491 Millionen Euro belaufen. Diese Einnahmen werden also ab März 2020 wegfallen. In Anbetracht der Summen, die wir in andere Bereiche, beispielsweise Infrastruktur, investieren, ist dieser Betrag eher bescheiden. Zum Vergleich: Im Mehrjahresplan ist vorgesehen, dass der Staat bis 2027 etwa 3,9 Milliarden Euro in die Bahn investieren wird, so viel wie kein anderes Land in Europa. Die Luxemburger Eisenbahngesellschaft CFL hat erst vor Kurzem den Zuschlag für den Kauf von Rollmaterial im Wert von 400 Millionen Euro gegeben. Pro Kopf werden in Luxemburg aktuell 600 Euro pro Jahr in die Bahn gesteckt; damit sind wir Spitzenreiter vor der Schweiz mit 365 Euro.
Was erwarten Sie sich vom kostenlosen ÖPNV?
Wissen Sie, ich rechne nicht mit einer großen Zunahme an Fahrgästen. Ich bin der Meinung, dass man ein Umdenken vom eigenen Wagen auf die öffentlichen Verkehrsmittel nur durch einen reibungslos funktionierenden, inein andergreifenden und qualitativ hochwertigen ÖPNV erreicht. Pünktlichkeit, gute Anschlussverbindungen und Rei seinformationen müssen stimmen. Nur Investitionen und die damit einhergehende Verbesserung des Angebotes bewegen die Menschen zum Umsteigen.
Welche konkreten Auswirkungen erwarten Sie? Mit wie viel weniger Privatautos und welcher Reduktion des CO2-Ausstoßes rechnen Sie?
Eine Reduzierung des Individualverkehrs und die damit einhergehende Verbesserung der Luftqualität erreichen wir nur durch ein multimodales Verkehrskonzept, nicht durch einen kostenlosen ÖPNV. 250.000 leere Autositze werden jeden Morgen in das Ballungsgebiet der Stadt Luxemburg gefahren – genau das müssen wir ändern. Nach der Planungsphase sind jetzt die meisten großen Infrastrukturprojekte in der Umsetzung: neue multimodale Umsteigeknoten, der regionale Ausbau der Tram, eine Verdopplung der aktuellen P+R Parkplätze – vornehmlich an den Grenzen, damit die 200.000 Pendler, die täglich nach Luxemburg kommen, komfortabel umsteigen können –, Fahrgastinformation in Echtzeit, ein revolutionärer digitaler Routen planer, Ausbau von elektrischen Lade stationen für Pkw landesweit auf 1600 Einheiten bis 2021, ein zusammenhängendes Radwegenetz zwischen Kommunen und Staat, eine komplette Neugestaltung des nationalen Buslinien netzes bis 2021 mit Umstellung der Busflotte auf Elektro bis 2030, Pilotprojekte für Carpooling auf einer Zusatzspur auf der Autobahn; dies alles sind Projekte, die aktuell in der Umsetzung und somit die Zutaten des multimodalen Kuchens sind.
Wird es trotzdem einen weiteren Ausbau der Infrastruktur geben?
Absolut, denn Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis und eine unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren einer Volkswirtschaft. Daneben spielen viele andere Ziele eine Rolle: eine Verbesserung der Verkehrssicherheit, Barrierefreiheit für Personen mit beschränkter Mobilität, eine Dekarbonisierung des Straßenverkehrs und eine harmonische Planung des uns zur Verfügung stehenden Raumes.
Wie verträgt sich der kostenlose ÖPNV damit, dass auf Treibstoff in Luxemburg nach wie vor ein niedrigerer Steuersatz als in den Nachbarländern gilt, was wiederum zu „Tanktourismus“ führt?
Als Erstes möchte ich darauf hinweisen, dass man die sogenannten Einnahmen aus dem „Tanktourismus“ doch sehr relativieren muss.
Wir haben eine Studie vorliegen, die belegt, dass die Nachfrage nach Luxemburger Treibstoff einen sehr unschönen Nebeneffekt hat. Wenn man nämlich die externen Kosten abzieht, die anfallen, muss man feststellen, dass die Einnahmen gar nicht mehr so sehr ins Gewicht fallen. Zweitens ist es so, dass die steuerlichen Einnahmen aus dem Spritverkauf in den Staatsbeutel fließen und nicht speziell dazu benutzt werden, den kostenlosen Transport zu finanzieren.
Schlussendlich ist Luxemburg dabei, im Rahmen der Vereinbarungen des Klimaabkommens von Paris, innerhalb der nächsten zehn Jahre aus dem Phänomen „Tanktourismus“ auszusteigen. Fazit: Der kostenlose ÖPNV wird nicht über den Treibstoffverkauf finanziert.
Und welche Regelung stellen Sie sich für Europa vor? Kostenloser ÖPNV oder günstigerer Sprit?
Wie ich schon sagte, die Frage vom günstigen Sprit wird sich in Zukunft durch das Klimaabkommen von Paris in der Form nicht mehr stellen, da günstiger Sprit gleichzustellen ist mit einem hohen Anteil an motorisiertem Individualverkehr. Das ist genau der Ansatzpunkt, den wir verfolgen müssen. Eine Dekarbonisierung erreichen wir nur über die Einführung einer europaweiten CO2-Steuer.
Auch liegt die Lösung des Verkehrsproblems nicht darin, den heutigen Verbrennungsmotor-Stau gegen einen Elektro-Stau auszutauschen. Es stellt sich ja nicht nur die Frage der CO2- und NOx-Emissionen, es geht ja vor allem darum, dass Städte völlig überlastet sind, urbane Räume nicht mehr funktionieren, alles einhergehend mit einem enormen Landverbrauch. Schließlich muss das Ziel sein, den öffentlichen Transport in puncto Qualität und Angebot so interessant zu gestalten, dass möglichst viele Menschen umsteigen. Kostenlosen ÖPNV sehe ich auch hauptsächlich im Rahmen des lokalen oder regionalen Verkehrs, weniger im internationalen oder Langstreckenbereich. Neben dem Ausbau von Qualität und Angebot kann der kostenlose Transport dann zu einem interessanten Incentive werden. In Europa wird ja parallel auch der Flugverkehr thematisiert: Strecken unter 500 Kilometern sollten eher mit dem Zug zurückgelegt werden, aber das würde voraussetzen, dass auch in den anderen Ländern in Europa extrem in die Bahninfrastruktur investiert werden muss, da Zugfahren sonst keine Alternative darstellt.
Herr Minister Bausch, vielen Dank für das Gespräch.