Alle vier Jahre werden Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 12 und 25 Jahren gefragt, unter welchen Bedingungen sie leben, wie sie ihre Zukunft sehen und was ihnen wichtig ist. Mit Klaus Hurrelmann, dem Mitautor der Shell-Studie, haben wir über die Ergebnisse der jüngsten Untersuchung gesprochen
Bildquelle: schule, Ausgabe 6/2019
Im Internet surfen, Videos und Filme schauen geben Jugendliche als liebste Freizeitbeschäftigung an. Ist das für Eltern eine gute oder eher schlechte Botschaft?
Das kommt ganz darauf an. 40 Prozent der Jugendlichen brauchen in Sachen Internetnutzung Zeitbeschränkungen und Eltern, die sich bemühen, den Kontakt zu ihren Kindern zu halten bzw. wieder aufzubauen. Bei 20 Prozent, meist besonders schlecht gebildeten Jugendlichen aus Familien mit niedrigem sozialen Status, ist es in Sachen Internet für Interventionen meist schon zu spät. Ganz anders bei der dritten Gruppe: Wir haben 40 Prozent gut gebildeter, sehr gut organisierter junger Leute. Die gehen mit dem Internet kreativ und souverän um, treffen Freunde im realen Leben und nutzen das Netz, um mit ihnen im Gespräch zu bleiben, um zu diskutieren und sich Tipps zu holen. Alles bestens also.
69 Prozent der Jugendlichen wollen Abitur machen. Freut das den Bildungsforscher?
Etablierte Qualitätssicherungssysteme garantieren: Das Abitur ist ein hochwertiger Abschluss. Die sogenannte Hochschulreife führt allerdings nicht zwingend zum Studium. Auch für eine anspruchsvolle berufliche Ausbildung ist das Abitur von Vorteil, und die abstrakte Ausbildung gewinnt an Bedeutung. Ich prophezeie, in 15 Jahren schaffen 70 Prozent eines Jahrganges das Abitur, womit wir das Niveau der anderen europäischen Länder erreicht hätten. Grundsätzlich wissen wir: Bildung ist Voraussetzung für beruflichen Erfolg, und der ist für die meisten Menschen ein wichtiger Bestandteil und auch Voraussetzung für ein erfülltes Leben. Ja, dass so viele junge Menschen das Abitur anstreben, ist eindeutig eine positive Botschaft.
Mittlerweile besuchen 47 Prozent der Jugendlichen ein Gymnasium, bei den Mädchen sogar eine knappe Mehrheit von 53 Prozent. Sind die Mädchen dabei, die Jungs abzuhängen?
Das haben sie längst getan. Mädchen haben die besseren Noten, machen häufiger Abitur, sind werte-, umwelt- und gesundheitsbewusster.
Und dennoch wollen sie, wenn das erste Kind kommt, beruflich zurückstecken und Teilzeit arbeiten. Warum?
Junge Frauen übernehmen Verantwortung für die Familie und sind realistisch. Noch sind Betreuungsmöglichkeiten alles andere als optimal, noch immer rollen Arbeitgeber jungen Müttern nicht den roten Teppich aus. Ich opfere mich für die Karriere auf – den Fehler ihrer Eltern wollen junge Frauen heute nicht mehr machen. Die Jungs übrigens auch nicht.
Ein sicherer Arbeitsplatz ist für 67 Prozent der Jugendlichen sehr wichtig. Klingt das nicht sehr pragmatisch für eine Generation, für die Klimawandel und Umweltzerstörung zu den beherrschenden Themen gehören?
Jugendliche wünschen sich für ihre berufliche Zukunft nicht nur Sicherheit, sondern auch Erfüllung. Bei ihnen stehen Jobs hoch im Kurs, in denen sie sich voll entfalten können. Bei den vielen Unsicherheiten auf dem künftigen Lebensweg ist es doch nur klug, auch nach etwas zu streben, was Stabilität verspricht. l
Bildquelle: schule, Ausgabe 6/2019
Klaus Hurrelmann ist Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Jugend-, Bildungs- und Gesundheitsforschung. Seit 2009 ist er Senior Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin