... Karriere? Irgendwann zwischen 1756 und dem Beginn des Jahres 1761 ergibt sich zweifellos eine Zäsur im Leben des aufstrebenden Hofmusikers.
Leopold Mozart (1719-87), porträtiert von Pietro Antonio Lorenzoni
Foto: Archiv
Rechtzeitig zur Reise der Familie Mozart in die Niederlande 1766 wird die „Violinschule“ ins Niederländische übersetzt, 1770 auch ins Französische. Damit unterstreicht Leopold Mozart seine internationale Reputation als Musiker und Pädagoge. Schon durch die Wahl eines deutschen Titels hat er sich von der lateinisch geprägten Salzburger Wissenschaftstradition distanziert und sich stattdessen in die Nachfolge zweier in Berlin erschienener Werke gelehrter Virtuosen gestellt: des 1752 von Johann Joseph Quantz veröffentlichten „Versuchs einer Anweisung, die Flöte traversiere zu spielen“ und des 1753 von Carl Philipp Emanuel Bach verfassten „Versuchs über die wahre Art das Clavier zu spielen“.
Dass sich Leopold Mozart in Friedrich Wilhelm Marpurgs Porträt der Salzburger Hofmusik als „Hofcomponist“ und „Anführer des Orchesters“ inszeniert, könnte man als „Facelifting“ bezeichnen, letztendlich ist es aber nur ein Beleg für seinen versierten, selbstbewussten und durchaus offensiven Umgang mit den Medien.
Von hoher Qualität ist auch Leopolds Musik. So ist die sogenannte „Neue Lambacher Sinfonie“ auf Grund ihrer äußerst modern anmutenden Faktur und ihrer Fülle an überraschenden Gedanken lange Zeit Wolfgang Amadé zugeschrieben worden. Ein Irrtum zwar, aber könnte es eine größere Wertschätzung für das Werk Leopold Mozarts geben? Zahlreiche Werke wie das Trompetenkonzert, das Posaunenkonzert und das für zwei Hörner gehören heute zum festen Repertoire der Blechbläser.
Gleichwohl steht Leopolds kompositorisches Schaffen bis heute im Schatten seines genialen Sohnes. Doch der Vergleich ist unfair. Heran ziehen muss man vielmehr den frühen Haydn, insbesondere unter dem Aspekt, inwiefern Leopold bei der Entwicklung der Sinfonie Impulse setzten konnte, die dann von Wolfgang aufgenommen und weiterentwickelt wurden. Dabei reicht das kompositorische Spektrum Leopolds von einer aus dem 17. Jahrhundert tradierten barocken Harmonik (Generalbass) und Satztechnik (Kontrapunkt) bis zu einem bereits gefällig-modernen italienischen Stil. Tatsächlich ist es eine Musik des Übergangs, die immer auch vom ästhetischen Handicap des „nicht mehr“ und „noch nicht“ geprägt ist.
Bemerkenswert ist zudem, wie souverän Leopold gleichsam alle musikalischen Gattungen mit Ausnahme der Oper bedienen konnte. So finden sich unter seinen Kompositionen Messen, Offertorien, Oratorien, Singspiele, Lieder und vor allem Instrumentalmusik: Sinfonien, Divertimenti, Serenaden und Konzerte. Auffällig bleibt, dass der Violinpädagoge Leopold Mozart kein Violinkonzert geschrieben hat. Erkennbar auch, dass sich die Faktur seiner Musik immer am Niveau seiner Kunden und Abnehmer orientiert. Gerade diesen Sinn für das „Populäre“ legt Leopold seinem Sohn in vielen Briefen immer wieder nahe. Musikalisch besonders reizvoll wirkt Leopolds elegant-graziöse Melodik, seine kleingliedrige Motivarbeit, die Betonung der Oberstimmen und eine bisweilen überraschend exquisite Klanglichkeit. Seine populären programmatischen Stücke wie die „Sinfonia di caccia“, in der die Hörner lustvoll zur Jagd blasen, die „Bauernhochzeit“, bei der die Festgesellschaft juchzt und jauchzt, mal gellend, mal pfeifend, oder die „Schlittenfahrt“, ein musikalisches Vergnügen für den Augsburger Fasching, machen Leopold Mozart bekannt, wenn sie auch nicht ungeteilte Zustimmung finden. So flattert ihm 1756 ein anonym verfasster Brief eines Augsburger Zeitgenossen ins Haus.
„Lasse sich der Herr doch gefallen, keine dergleichen Possenstück, als Chineser, und Türcken Music, Schlittenfahrt, ja gar Baurenhochzeit mehr zu machen, dann es bringet mehr schand und Verachtung vor dero person, als ehr zuwegen, welches ich als ein kenner bedaure, sie hiemit warne, und beharre dero Herzensfreund.“
Besondere Beachtung verdient Leopold Mozarts Kirchenmusik. Denn im Gegensatz zur Programm- und zur Kammermusik, mit der er sich bewusst dem dilettierenden Bürgertum als neuem zahlungskräft igen Abnehmer zuwendet, erreicht Leopolds Kirchenmusik unbestritten höchstes Niveau. Sie wird im süddeutschen Raum vor allem durch das Netzwerk der Benediktinerklöster rasch verbreitet. Dabei setzt insbesondere die opulente Missa solemnis mit ihrer farbigen Instrumentation, ihren klanglich differenzierten Tableaus und ihrem harmonischen Reichtum Maßstäbe. Noch Jahrzehnte später überträgt Wolfgang Leopolds liturgisch intendierte Klangfarben intuitiv auf die Oper, sodass uns die mit sordinierten Trompeten und gedeckten Pauken erzielten dunklen Sphären der Missa solemnis im „Idomeneo“ und in der „Zauberflöte“ wiederbegegnen. Kein Zweifel, auch Wolfgang war fasziniert von dieser opulenten und artifiziellen Musik seines Vaters.
Werfen wir zum Schluss aber noch einen Blick auf den zärtlich und treu fürsorgenden Familienmenschen: Nachdem Leopolds Frau 1778 in Paris gestorben, Wolfgang 1781 nach Wien gezogen ist und das Nannerl im August 1784 den salzburgischen Gerichtspfleger Johann Baptist Reichsfreiherr von Berchtold zu Sonnenburg geheiratet hat, ergibt sich für Leopold im Privaten nun eine neue Aufgabe: Da Berchtold zu Sonnenburg bereits fünf Kinder in die Ehe mit Nannerl, seiner dritten Ehefrau, mitgebracht hat, entschließt sich Leopold Mozart, seinen 1785 geborenen Enkel Leopold Alois Panthaleon bei sich aufzunehmen. Seiner Tochter schreibt er sichtlich begeistert:
„Der heut verstorbene Vater war ein Mann von vielen Witz und Klugheit.“
„Der Leopoldl, der recht lustig ist, … schickt euch busserl. Er sagt deutlich A, und b. und so lerne ich ihm die Buchstaben im spaß aussprechen, nicht nach der Ordnung, sondern ich versuche es, welcher Buchstabe ihm am leichtesten zu sprechen kommt.“
Zweifellos eine äußerst modern anmutende Methodik des Spracherwerbs, in der der „Spaß“ im Zentrum des didaktischen Bemühens steht! Wer hätte das gedacht vom „immer mürrisch dreinblickenden Zopft räger“?!
Mit feinem Gespür und nicht minder analytischem Blick versucht bereits Abt Dominicus Hagenauer, ein Freund der Familie Mozart, das Bild über Leopold Mozart, den großen Pädagogen, einflussreichen Schrift steller und Salzburger Vizekapellmeister zu relativieren, wenn er noch am 28. Mai 1787, an Leopolds Sterbetag, in seinem Tagebuch notiert: „der heut verstorbene Vater war ein Mann von vielen Witz und Klugheit, und würde auch ausser der Musick dem Staat gute Dienste zu leisten vermögend gewesen seyn. Seiner Zeit war er der regelmessigste Violinist, von welchem seine zweymal aufgelegte Violinschule zeugniss gibt. Er war in Augsburg gebohren, brachte seine Lebenstäge meistens in hiesigen Hofdiensten zu, hatte aber das Unglück hier immer verfolget zu werden, und war lang nicht so beliebt, wie in andern grössten Orten Europens. Ereichte ein Alter von 68 Jahren.“
Buch-Empfehlung
Silke Leopold: „Ein Mann von vielen Witz und Klugheit“. Leopold Mozart; Bärenreiter, Kassel/J.B. Metzler, Stuttgart 2019; 280 S., Euro 29,99
CD-Empfehlungen
Missa solemnis ; Venditelli, Rennert, Grahl, Mittelhammer, Bayerische Kammerphilharmonie, Alessandro de Marchi (2018); Aparté
Solosonaten und Trios ; Christine Schornsheim, Rüdiger Lotter, Sebastian Hess (2011/12); Oehms (2 CDs)
Serenade in D, Neue Lambacher Sinfonie u.a. ; Zierow, Millischer, Duffin, Römer, Bayerische Kammerphilharmonie, Reinhard Goebel (2015); Oehms