... einem halb verfallenen Backsteingebäude schlängelt sich ein dicht bewachsener Trampelpfad, um an seinem Ende einen unverstellten Blick auf ein weitläufiges Wiesengelände mit viel Baumbestand freizugeben. Mittendrin, im Komplementärkontrast zum vielen Grün, steht Roberts großer, roter Bauwagen. Doch dies ist nicht das einzige Tiny House: Noch drei weitere Häuser finden sich hier, ebenso ein Gästezelt, eine Außenküche, ein Baumhaus und ein Toilettenhäuschen. Alles versteckt sich zwischen den Baumgruppen oder liegt am dicht bewachsenen Rand des Geländes. Robert lebt hier nicht allein, sondern in einer lockeren Gemeinschaft mit einer weiteren Tiny-House-Besitzerin. Zwei weitere Personen, die ihre Häuser jedoch nicht dauerhaft nutzen, zählen ebenfalls dazu.
Probewohnen auf dem Land
Bei Robert sieht dies mittlerweile anders aus. Er hatte schon vor vielen Jahren, noch in seiner Heimatstadt Dresden, zusammen mit seiner damaligen Freundin die Idee, sich ein Tiny House zu bauen. Als seine Freundin schwanger wurde, geriet die Idee jedoch wieder aus dem Blick, bis sich die Möglichkeit ergab, seinen jetzigen Bauwagen für gerade einmal 300 Euro zu kaufen. Er gehörte bis dahin einer Gruppe Jugendlicher, die sich den Wagen als Partyraum selbst aufgebaut hatten. Eine Basis gab es also schon, die Dämmung und Innenraumgestaltung hatte Robert dann nach seinen Vorstellungen angepasst. Wichtig waren ihm dabei viele große Fenster, eine Terrasse und für den Standort die Möglichkeit eines Stromanschlusses für seine Küche. Er heizt den Bauwagen mit einer modernen Infrarotheizung. Ein Ofen sei zwar schön, jedoch empfinde er diesen als gesundheitsschädlich und zu arbeitsintensiv.
Der Wagen diente der jungen Familie zunächst als reines Wochenendrefugium an einem Ort außerhalb von Dresden, direkt an der Elbe gelegen. Doch der Wunsch, auf dem Land zu wohnen und mit ihrem Kind ihre Mansarden-Maisonette-Wohnung in einem sehr belebten Dresdener Stadtteil zu verlassen, gewann zunehmend Oberhand. Aber konnten sie sich das Leben auf dem Land tatsächlich vorstellen? Eine Probephase musste her. Durch den Tipp einer Freundin landeten sie schließlich in dem kleinen Brandenburger Dorf in einer Wohnung. Den Bauwagen mitzunehmen, war zuerst noch gar nicht der Plan. Doch als sich nach einiger Zeit die Möglichkeit ergab, auf dem jetzigen Platz zusammen mit der sich neu gründenden Tiny-House-Gemeinschaft das verwunschene Gelände wiederzubeleben, gab es kein langes Überlegen mehr. Das Leben außerhalb der Stadt empfand die Familie als Mehrwert, ebenso die Menschen, die sie dort kennenlernten. Der Bauwagen wurde aus Dresden geholt und Robert, seine Freundin und ihr gemeinsamer Sohn zogen schließlich dort ein.
Der Umzug ging auch deshalb so problemlos, weil Robert in seinem Beruf örtlich völlig unabhängig ist. Er arbeitet als freiberuflicher Scrum-Master für renommierte Unternehmen im In- und Ausland. Ich musste innerlich ein wenig schmunzeln, denn die Bürowelten seiner Kunden stehen sicherlich in extremem Kontrast zu der Umgebung, aus der heraus er nun arbeitet. Sein Büro im Bauwagen bemisst gerade einmal 60 mal 140 Zentimeter, wahlweise kann er stehend oder sitzend arbeiten. Es wird noch schnell der private Pullover gegen den beruflichen getauscht (von beiden besitzt er jeweils drei), bevor er sich in Videokonferenzen einwählt. Damit dies technisch überhaupt möglich ist, hat er sich auf dem Gelände einen 4G LTE-Richtfunk-Antennenmast gebaut.
Überhaupt ist Robert technisch und handwerklich sehr versiert: Seinem Sohn hat er ein großes Baumhaus auf dem Gelände gebaut, und sein aktuelles Projekt ist der Camping-Ausbau eines VW-Busses. In einem der alten Backsteingebäude auf dem Gelände, damals der Tierstall eines Bauern, hat er dafür eine Werkstatt eingerichtet –ohne diese würde es für ihn nicht gehen.
Beruf und Privates an einem Ort
Ich gewinne zunehmend den Eindruck eines Menschen, der mit sich und seinem Leben ziemlich im Reinen ist – ein Hüne von einem Kerl, mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehend, dabei ziemlich lässig und entspannt. Und einer, der sich beruflich nicht kaputt macht: 20 Stunden arbeite er maximal in der Woche, das reiche, meint er. Er switcht dabei völlig unaufgeregt zwischen Beruf und Privatem hin und her, da ohnehin alles am selben Ort stattfindet.
So geht es nach der Videokonferenz (der Pullover wird wieder getauscht) erst mal zum Bohnenpflücken und dann hinüber zur Außenküche zum gemeinsamen Frühstück mit Gästen – in diesem Fall Freunde aus Quedlinburg, die ein paar Tage auf dem Gelände verbringen. Es ist die Philosophie der Gemeinschaft, hier einen offenen Ort zu schaffen und Gästen das Zelt oder eines der Tiny Häuser als Unterkunft anzubieten.
In der Außenküche wird mit Gas gekocht, das Wasser kommt aus Kanistern. Auch in seinem Bauwagen hat Robert kein fließendes Wasser und empfindet das überhaupt nicht als Problem – im Gegenteil: „Ich verbrauche am Tag nur etwa vier bis fünf Liter Wasser. Das ist ein riesiger positiver Unterschied zum Leben in einer festen Wohnung.“ So gibt es auch keine eigene Waschmaschine, seine Wäsche darf er bei einem Nachbarn genauso erledigen wie das Duschen im Winter. Im Sommer wird dagegen kurzerhand draußen geduscht, mit kaltem Wasser aus dem Gartenschlauch.
Trotz Stromanschluss in seinem Wagen verzichtet er auf einen Kühlschrank. Milchprodukte kauft er gar nicht mehr. Fleisch isst er sehr selten, ein – wie er findet – positiver Nebeneffekt des Ganzen. Da er andere verderbliche Lebensmittel nur in kleinen Mengen kauft und zügig verzehrt, braucht er letztendlich keinen Kühlschrank mehr.
Bullerbü in Brandenburg
Am Nachmittag fährt Robert kurz los, um seinen Sohn aus dem Kindergarten abzuholen. Seine damalige Freundin und er haben sich zwischenzeitlich getrennt, sie lebt aber weiterhin im gleichen Dorf. Beide kümmern sich gemeinsam um den Sohn, und diese Woche ist er bei Robert. Kaum auf dem Gelände angekommen, ist er aber schon unterwegs, um mit den Kindern der Gäste zu spielen. Es kann bestimmt sehr unbeschwert sein, in solch einer Umgebung aufzuwachsen. Ein bisschen Bullerbü in Brandenburg – so fühlt es sich für mich in diesem Moment an.
Beim späteren Ausklang des Tages frage ich Robert, ob er denn eigentlich plane, für immer in seinem Bauwagen zu leben? Er könne sich das schon vorstellen. Er mag den kleinen, klar definierten Raum und dass alles seinen Platz hat. Im Winter empfinde er seinen Wagen als gemütliche Höhle und im Sommer lebe er quasi draußen. Mehr brauche er nicht.