... – in der Regel geht es um einen Gesamteindruck. Umso wichtiger ist, dass Angehörige neben den Pfl egebedürftigen dabei sind.
[2.]Auf jede Frage achten
Häufi g stellen die Gutachter kleine rhetorische Fragen, die großen Einfl uss haben, z._B.: „Und das mit dem Gang auf die Toilette in der Nacht klappt doch, oder?“ Klingt harmlos, liefert aber viele Anhaltspunkte. Betroff ene versuchen solche peinlichen Situationen aus Scham herunterzuspielen. Dann als Angehöriger einschreiten – und Dinge richtigstellen. Häufi g möchten Gutachter auch bestimmte Handlungen sehen, z._B. Aufstehen aus dem Bett oder Gang zur Toilette. Oder es werden Fragen gestellt, um geistige Fähigkeiten einschätzen zu können. Angehörige begehen oft den Fehler, Betroffene vor peinlichen Momenten bewahren zu wollen. Dies unbedingt vermeiden – auch wenn’s schwerfällt.
6 Details entscheiden
Der Medizinische Dienst bewertet beim Besuch und beim Beurteilen einer Pflegebedürftigkeit – und vergibt dafür Punkte. Insgesamt beurteilt der MDK gut 60 einzelne Kriterien aus 6 Modulen.
Maximal 100 Punkte
Vergeben werden je Kriterien in der Regel zwischen 0 und 5 Punkten; ist eine Fähigkeit vorhanden, z. B. das Erkennen von Personen aus dem nahen Umfeld, gibt es dafür 0 Punkte, ist ein Pflegebedürftiger bei einem Kriterium völlig unselbstständig, z. B. kann sich nicht an- und auskleiden, gibt es z. B. 3 Punkte.
Je höher die Zahl der insgesamt gesammelten Punkte, desto höher der Pflegegrad. Maximal möglich sind 100 Punkte (s. u.). Insofern ist es bei vielen Kriterien wichtig, dass nicht die wenigen guten Momente in den Mittelpunkt gestellt werden, sondern der mäßige Alltag. Beispiel verbale Aggression: Taucht dieses Kriterium selten auf, ergibt dies 0 Punkte, häufig 3 Punkte, täglich 5 Punkte.
Benötigt werden mindestens 27 Punkte. Denn damit wird Pflegegrad 2 erreicht. Erst ab dann gewährt die Pflegekasse Geld (s. l.).
[3.]Hilfebedarf
Ganz wichtig: Bis zur Pfl egereform prüfte der MDK die Selbstständigkeit. Nun soll die Hilfsbedürftigkeit ermessen werden. Angehörige sollten Betroff ene ermutigen, diese Dinge in den Mittelpunkt zu stellen: Also z._B.: „Papa, meistens brauchst du jemand, der die Knöpfe schließt, den Reißverschluss, dir in die Schuhe hilft und dir die Schuhe bindet.“
[4.]Mobilität
Ein wichtiges Kriterium. Maßgeblich ist, wie selbstständig sich jemand ohne fremde Hilfe in der Wohnung bewegen kann. Rollator oder auch Rollstuhl gelten nicht als „fremde Hilfe“. Ganz wichtig: Nicht nur an die Wohnung denken, sondern auch an die Treppen als Hindernis zur Wohnung, an die Waschmaschine im Keller, an die fehlende Kraft in den Händen, um sich am Geländer festzuhalten – oft schaff en es Pfl egebedürftige problemlos, sich in der Wohnung zu bewegen – von Schrank zu Wand oder entlang geschickt platzierter Stühle – doch vor der Wohnungstür endet oft die Beweglichkeit. Auch den MDK auf Hilfebedarf beim Busfahren auf dem Weg zum Arzt hinweisen. Oder auf die Probleme, sich außerhalb der Wohnung zu orientieren.
[5.]Kognitive Fähigkeiten
Hier geht es vor allem darum, Gespräche zu führen bzw. Entscheidungen zu treff en. Beurteilt werden die Fähigkeiten in vier Stufen: Vorhanden, größtenteils vorhanden, in geringem Maße vorhanden, nicht vorhanden. Hier sollten Angehörige darauf hinweisen, wenn Betroff ene sich z.B. in der Wohnung zurechtfi nden und auch Nahestehende erkennen, aber nicht einschätzen können, welche Kleidung nötig ist, wenn spätabends im Winter die Wohnung verlassen wird.
[6.]Psychisches Verhalten
Geprüft wird, wie oft Hilfe wegen psychischer Probleme benötigt wird, z.B., weil Betroff ene ängstlich oder aggressiv sind, antriebslos oder depressiv. Zu diesen Kriterien gehört auch, ob Betroff ene noch einen Tag- Nacht-Rhythmus haben, häufi g in der Nacht umherirren oder aggressiv gegen andere sind.
[7.]Selbstversorgung
Dieses ist der wichtigste Teil bei der Begutachtung: Letztlich muss erkannt werden, wie selbstständig können sich Betroff ene versorgen. Der Begriff „Selbstständigkeit“ wird vom MDK oft sehr weit ausgelegt. Als „selbstständig trinken“ gilt z.B., wenn ein Spezialbecher verwandt wird; als „selbstständig essen“, wenn etwas gegessen werden kann, das von Helfern mundgerecht zubereitet und bereitgestellt wird. Auch hier hilft immer der Hinweis, wo tatsächlich Hilfe nötig ist, z.B. beim Schneiden.
[8.]Bedarf bei Krankheiten
Hier gehen die MDK-Prüfer meist auf individuelle Beschwerden ein, also, inwieweit ist jemand in der Lage, das zu tun, was aus gesundheitlichen Gründen nötig ist, z._B. Blutdruck messen, Tabletten einnehmen, Injektionen setzen, Wunden versorgen, Arzttermine einhalten. Erfahrungsgemäß überschätzen sich Betroff ene. Wichtig ist, dass Angehörige hier im Detail auf die meist vielen kleinen Hilfen hinweisen, die nötig sind.
Ein guter Pflegedienst gibt Betroffenen viel Sicherheit.
[9.]Alltagsleben
Hier geht es darum, dass Prüfer einen Eindruck vom Alltag erhalten, ob es möglich ist, Kontakte zu anderen zu halten, auch über größere zeitliche Abstände, also z._B. daran zu denken, Freunden zum Geburtstag zu gratulieren, ein Geschenk zu senden oder mit Nachbarn abzustimmen, wer die Mülltonnen an die Straße stellt. Meist haben Betroff ene hier kaum einen guten Überblick.
Stimmt der MDK-Bericht?
Wenn nicht, umgehend reagieren. Dabei kommt es auf Fristen, vor allem aber auf das genaue Vorgehen an.
•Leistungsbescheid und Pflege-Gutachten kommen per Post – spätestens 5 Wochen nach Eingang des Gutachtens bei der Pflegekasse. Benötigt die Pflegekasse länger für die Entscheidung, erhält man 70 Euro Entschädigung pro angefangene Woche Verzögerung.
•Wurde der Antrag auf einen Pflegegrad abgelehnt, kann Widerspruch eingelegt werden. Das gilt auch, wenn ein anderer Pflegegrad zugebilligt wird, als erwartet wurde. Frist: 4 Wochen.
•Vor dem Widerspruch unbedingt aber die sachliche Richtigkeit prüfen:
→Wurde der Grad der Selbstständigkeit richtig berechnet?
→Stimmt die Gewichtung der Punkte?
→Wurden die Punkte richtig addiert?
•Den Widerspruch in jedem Fall schriftlich verfassen und bei der Pflegekasse einreichen, nicht beim MDK!
•Vor dem Widerspruch weitere Atteste anfordern, die bei der ersten Begutachtung noch nicht vorlagen, und diese dem Widerspruch beilegen.
•Unbedingt aber die Hilfe von Experten suchen, wenn Pflegegrad 4 oder 5 erwartet wurde, aber abgelehnt worden ist. Grund: Für das Begründen des Widerspruchs werden professionelle medizinische und pflegerische Kenntnisse gebraucht.
•Der Widerspruch muss vom Pflegebedürftigen selbst oder dem gesetzlichen Betreuer unterschrieben werden.
„ Menschen fühlen sich besser aufgehoben ʺ
Worauf es beim Widerspruch gegen den MDK ankommt, erläutert Verena Querling, Juristin bei der Verbraucherzentrale NRW.
Seit 2017 gelten die neuen Pflegegrade. Ist die Beurteilung fairer geworden?
Querling: Wie fair das Urteil von MDK und Pflegekassen empfunden wird, ist oft subjektiv. Aus unserer Erfahrung fühlen sich die Menschen aufgehobener, weil sie sich ganzheitlich bewertet fühlen. Ob sie den Arm heben, sich an- oder ausziehen können, spielt nicht mehr nur die wesentliche Rolle.Dennoch gibt es nach wie vor viele Widersprüche.
Querling: Durchaus. Das ist auch das gute Recht jedes Einzelnen. Deshalb sollte man das Gutachten genau anschauen und auch gegen einzelne Punkte vorgehen. Denn die Pflegekasse verschickt mit dem Bescheid automatisch eine Kopie des MDK-Gutachtens.Die Frist für den Widerspruch beträgt vier Wochen.
Querling : Die Frist ist nicht das Problem. Sie können zunächst formlos widersprechen. Der MDK kommt erneut, prüft das erste Gutachten. Und mit etwas Glück kommt ein neuer Gutachter. Im besten Fall erhält man in kurzer Zeit einen neuen Bescheid. Fällt auch er negativ aus, bleibt nur der Widerspruchs- Ausschuss. Bestätigt dieser das negative Urteil des MDK, bleibt nur eine Klage beim Sozialgericht, das dann einen Gutachter bestimmt.
„ Die Gutachten sind heute fairer. Trotzdem alles Punkt für Punkt kontrollieren ʺ
Verena Querling, Juristin bei der Verbraucherzentrale NRW