... spezielles Entlade-T-Shirt getauscht habe. Erst wenn Körper und Kleidung komplett frei von statischer Ladung sind, darf ich mit den empfindlichen elektromagnetischen Teilen in Berührung kommen.
Ich komme mir vor wie beim Arzt: Die Apparatur, mit der ich mich entladen muss, erinnert stark an eine medizinische Körperfettwaage. Knopf drücken, aufs grüne Go warten, in die Anwesenheitsliste eintragen – die erste Hürde ist genommen auf dem Weg zum eigenen Motor. Bis ich den fertigen Antrieb in den Händen halten werde, ist es jedoch noch ein weiter Weg.
Start an der Wickelstation
Mein erster Stopp ist die sogenannte Wickelstation. Dort treffe ich Andreas, den Chef-Einrichter während meiner Frühschicht. Ihm sind die Bestücker, in deren Dienst ich mich heute stelle, unterstellt. Für mich umreißt Andreas in aller Kürze das physikalische Prinzip von E-Bike-Antrieben. Stator und Rotor erzeugen zusammen ein elektromagnetisches Feld. Später wird die elektrische Energie in mecha- nische Arbeit umgewandelt, die das E-Bike zusammen mit der eigenen Muskelkraft antreibt. Deswegen ist die Wickelstation auf dem Weg zum fertigen Motor eine wichtige Station – hier wird im sogenannten Flyerwickler der Stator gefertigt. Dazu dreht die faszinierende Maschine einen Kupferdraht lagenförmig um eine Spule. Mit dem bloßen Auge kommt man kaum nach, derart temporeich winden die Arme des Geräts den Draht um die Spule.
Meine Aufgabe besteht hier darin, die drei Einzelteile des Stators ähnlich einem Puzzle zusammenzusetzen, diese anschließend in den Flyerwickler zu klemmen und das Paket abzuschicken – so nennt man es hier, wenn per Knopfdruck der Wickelprozess ausgelöst wird.
Nach mehr als 20 Durchläufen habe ich die Station im Griff. Im Anschluss an die Wickelstation setzen Andreas und ich dann das Tretlager zusammen – rückblickend eine Qual. Aber ich bin selbst schuld: Wiederholt vergesse ich eines der Lager oder setze es falsch auf die Tretlagerachse. Zum Glück kann ich nichts kaputtmachen oder die Produktion sogar ganz zum Erliegen bringen, da eine Mini-Kamera per Farberkennung die korrekte Position der Lager kontrolliert. Erst wenn das der Fall ist, kann das Paket abgeschickt werden, und der automatisierte Pressvorgang wird ausgelöst.
Irgendwann hat auch Andreas genug vom Tretlagerbauen und übergibt mich an seinen Stellvertreter Ahmet. Der Wortakrobat ist seit drei Jahren bei Brose und hat sich schnell vom Bestücker zum stellvertretenden Einrichter hochgearbeitet.
Ich wäge mich bereits an der nächsten Station. Doch wahrscheinlich ohne es zu wissen, quält er mich weiter mit Tretlagern. Daniel, du musst mehr tanzen, lautet sein didaktischer Ansatz. Er demonstriert mir, wie rhythmisch und leicht sich Tretlagerwelle, Riemenrad, Tretlagersensoren und Lager aufeinanderlegen lassen. Ahmet ist in Schwung und hat noch eine Lehre für mich: Erst kommt die Lernphase, in der du gerade bist. Du wirst mit jedem Tanz besser. Doch irgendwann stellt sich gefährliche Routine ein, mahnt er, und du wirst leichtsinnig und beginnst, Fehler zu produzieren.
Endlich, ich darf weiter vorrücken. Die nächste Station ist der Bau des Planetengetriebes, der verantwortliche Teil für die Kraftübertragung zum Pedal. Planetengetriebe, das klingt nicht nur spektakulär nach fernen Galaxien, sondern macht auch richtig Spaß. Mein Vorteil: Man kann eigentlich kaum einen Fehler machen und hat gedankliche Abwechslung im Bestücken. Die Logik der Baureihe führt nämlich von links nach rechts (die Teile bauen wie Legosteine aufeinander auf ), aber man bestückt dennoch in umgekehrter Reihenfolge. Wenn jeder Handgriff gelungen ist, dreht sich zur Freude des Bestückers bei der Funktionskontrolle das angestoßene Planetengetriebe butterweich.
Immer wieder werde ich darauf aufmerksam gemacht, Sicht- und Funktionskontrolle einzuhalten. Trotz Kameras geht nichts ohne das geschulte Auge. Die größte Lehre heute morgen: Wenngleich viele Prozesse längst automatisiert sind, je näher man dem Ende der Produktionslinie rückt, desto mehr Fingerfertigkeit und Handarbeit sind notwendig. Die Produktion eines E-Bike-Motor ist immer noch ein gutes Stück menschengemacht. Daher soll der Standort Berlin trotz der höheren Lohnkosten kein Nachteil sein – die Qualität stimmt.
Filigranes Finale
Die letzte Produktionsstation – Endmontage Elektronik genannt – erfordert noch mal volle Konzentration. Jetzt wird alles zusammengesetzt, was ins leichte Magnesiumgehäuse gehört: Stator, Rotor, Kurbelwelle, Tretlager, Riemen, Elektronikkomponenten. Ich glaube, an dieser Station ist der Anspruch am höchsten, denn Ahmet weicht mir nicht mehr von der Seite und kontrolliert ununterbrochen jeden meiner Arbeitsschritte.
"ZUM GLÜCK KANN ICH NICHTS ZER- STÖREN. EINE KAMERA CHECKT, OB ICH ETWAS VERGESSEN HABE.
Der wohl wichtigste Part beginnt: Die Elektronikanschlüsse des Antriebs werden per Hand gesteckt und mit dem Stator des E-Motors verbunden. Etwas Fingerkraft und ein gutes Gehör – es muss klicken – sind notwendig. Ahmet prüft meine Steckverbindung und erklärt: Wenn du hier nicht sauber steckst, fällt der Motor bei der Endabnahme durch. Das zweite Produktionsgesetz lautet: Produziere so wenig Ausschuss wie möglich. Wenn alle Einzelteile – es sind fast 80 an der Zahl – im Gehäuse platziert sind, werden Deckel und Gehäuse zusammengeschraubt. Durchatmen. Von hier an gibt es kein Zurück mehr.
Damit rückt auch der Moment der Wahrheit näher. Die Generalprobe erfolgt an der Kalibrierungsstation. Ich lasse den Motor rhythmisch in die Station fallen. Es macht klack wie bei einem einzelnen Steppschritt. Die beiden Lampen wechseln im Sekundentakt ihre Farben – Rot, Grün, Rot, Grün. Hat was von Kasino und Glücksspiel. Nach ein paar Sekunden ist die Kalibrierung abgeschlossen. Check.
Das Finale der Produktionslinie findet im Rahmen der Endabnahme statt. Hier muss der Motor performen, um in einer Transportkiste auf Reise zu gehen. Alles oder nichts. Die Leistungskurven schießen hoch und runter – ich fühle mich beim Blick aufs Display wie beim EKG. Entwarnung. Grünes Licht. Der Antrieb ist durch. Wirklich? Ich vergewissere mich bei Ahmet, der mir auf die Schulter klopft. Gut gemacht, sagt er. Jetzt könne ich bei ihm anfangen. Sein Kompliment bekommt jedoch eine sportive Wendung: Meine Stückzahl sei noch ausbaufähig.
Für heute habe ich genug von Planetengetriebe und Stator. Meine Schicht ist ohnehin vorbei. Schon ein paar Minuten später tänzle ich, wieder in Sneakers und Pulli, stolz wie Bolle mit dem Motor unter dem Arm vom Werksgelände.
Dem Rotwild auf der Spur
Tag zwei, Dieburg, südöstlich von Frankfurt. Während in Berlin die halbe Frühschicht bereits gelaufen ist, gibt es bei Rotwild den ersten Kaffee und ein paar Fakten zur Marke: 1996 wurde Rotwild von der ADP Engineering GmbH gegründet, nachdem das deutsche Ingenieursbüro in den Jahren zuvor Räder und Anbauteile für andere Fahrradhersteller entwickelt hat. Heute noch zählt etwa Autobauer Porsche zu den ADP-Kunden und lässt die Fahrräder in Dieburg entwickeln und fertigen. Aktuell konzentriert sich die MTB-Schmiede voll auf elektrifizierte Mountainbikes. In ein solches werde ich meinen Brose-Motor einsetzen. Damit nicht genug – wenn ich schon anreise, soll ich gleich das ganze Rad aufbauen. Ziemlich sympathisch: Die Rotwilder wollen keine halben Sachen machen.
Kurz darauf im Lager: Hier hast du den Rahmen für das R.C750 – PR-Mann Jonathan Zimmermann drückt mir das federleichte Stück Carbon in die Hand und zeigt auf eine Kiste, in der weitere Teile liegen. Alle Rotwild-Rahmen kommen aus China. Ole Wittrock vom Marketingteam erzählt, dass in jedem Rahmen 62 Arbeitsstunden und 1000 Zuschnitte stecken. Schicht für Schicht werden die sogenannten Carbonlayer in Asien übereinander geklebt – alles in Handarbeit. Das Backen und Legen von Carbon sei keineswegs trivial, in so hoher Qualität gebe es das nur in Fernost, sagt auch Kollege Jonathan.
"IM VERGLEICH ZUM NORMA- LEN FAHRRAD DAUERT ES DREIMAL SO LANGE, EIN E-BIKE AUFZU- BAUEN.
Da der Aufbau eines E-MTBs im Vergleich zum herkömmlichen Mountainbike dreimal so viel Zeit in Anspruch nimmt, stellt man mir mit Leo einen versierten Mechaniker zur Seite. Erster Schritt auf dem Weg zum vollwertigen Fahrrad ist die Montage der vollintegrierten Sattelstütze. Um ehrlich zu sein: Ohne Hilfe wäre ich bereits an dieser Stelle grandios gescheitert. Ein Abstandshalter mit einer langen und einer kurzen Seite definiert die Position der Stütze im Sattelrohr. Wenn Ahmet von Brose hier wäre, er würde flüstern: Daniel, mit Gefühl, du musst tanzen. Langsam drehe ich das Metallstück, bis die schmale Seite des Abstandshalters die Stütze streift. Siegessicher übergebe ich an Leo, der – uff – nicht so richtig zufrieden ist und nachbessert.
Wir ziehen um in eine andere Werkstatt, da wir nun grobes Werkzeug benötigen: Säge, Hammer, Schleifmaschine. Es ist das erste Mal, dass ich eine Gabel kürze. Bisher traute ich mir diesen Schritt in Heimarbeit nicht zu – zu groß die finanzielle Sorge vor irreparablen Schäden. Doch heute bin ich guter Dinge, die Gabelkürzung mit dem richtigen Gerät und unter Aufsicht fachgerecht erledigen zu können. Gesagt, gesägt, getan. Alles gut. Wichtig ist nur, dass man zuvor korrekt anzeichnet. Ein bisschen Kribbeln bleibt immer, sagt Leo.
Casus knacksus – die Kabelage
Jetzt knall noch die Aheadkralle in die Gabel rein, befiehlt mir Leo, während er die Gabel für mich einspannt und mir einen Hammer reicht. Echt jetzt? Da geht sicher nichts kaputt? Nein, man könne es am Klang hören, wenn sich die Gabelschaft-Mutter festbeißt. Schon wieder Schrauben mit allen Sinnen. Meine Ahnung aus Berlin bestätigt sich: Wer ein Fahrrad zusammenbaut, braucht Gefühl, und das kriegt man vor allem durch viel Übung.
Dong. Dong. Dong. Ein Mal noch. Dong. Das Ding ist verankert, verkeilt und bereitet uns den Weg für die knifflige Montage von Cockpit, Motor und E-Bike-Kabelage. Drei Arbeitsschritte, die etwa ein Drittel der Zeit fressen und wo Fehler tragisch werden. Denn: Display, Akku und Antrieb werden per Kabel vernetzt, nur so können sie miteinander kommunizieren. Klemmt man ein Kabel ein oder zerstört es gar, bricht die Kommunikation und damit die Funktionstüchtigkeit des E-Antriebs zusammen.
Den Höhepunkt der heutigen Montage koste ich daher vollends aus. Mehr als eine Minute lasse ich mir Zeit, um den Brose Drive S Mag ins Tretlager zu manövrieren. Der Fotograf ist zufrieden, weil er viele Motive bekommt. Und ich tue so, als wäre meine Unsicherheit Absicht. Wenn jetzt jemand sagt, Daniel, du musst tanzen, dann schmeiße ich sofort alles hin, im Ernst. Tatsächlich ist wieder die Technik entscheidend: Mit leichter Neigung verschwindet der Motor in zwei Wimpernschlägen geschmeidig im Tretlager. Nun müssen noch die Steckverbindung zwischen Displaykabel und Motor verbunden sowie die Schutzklappe und die Akku-Halterung montiert werden.
2 Tage basteln, 10 Minuten fahren
Dann hänge ich den Akku rein. Funktioniert die Verbindung? Ich aktiviere das Farbdisplay. Geschafft. Das Rotwild ist zum Leben erwacht – es hat Strom. Die übrigen Montageschritte sind schnell erledigt und gleichen weitestgehend Routinetätigkeiten: Kettenblatt und Kurbel montieren, Kassette aufziehen, beide Räder einhängen, Kette spannen. Das kenne ich alles vom Rennrad. Es wird Zeit für eine Probefahrt: Ein energischer Tritt in die Pedale, und schon jagt das 8499 Euro teure E-MTB los. Wegen dieses Beschleunigungsrauschs sind E-Bikes so angesagt. Doch ich komme während der Fahrt ins Grübeln: Ich glaube, viele unterschätzen, wie arbeitsintensiv Produktion und Montage letztlich sind und wie viele Hände daran beteiligt sind. Ehrlich, die zwei Tage bei Brose und Rotwild haben einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Wenn ich demnächst wieder durch das Büro raune, warum die Dinger so schweineteuer sind, werde ich mich erinnern, dass ich zwei volle Arbeitstage gebraucht habe, um aus über 150 Einzelteilen etwas fahrbares Ganzes zu bauen.
Ich hüpfe noch mal schnell vom Bordstein, bevor mein E-Bike und ich für immer getrennte Wege gehen. Echt schade, dass das Rad bald jemand anderem gehört. Ich tröste mich: Das Rotwild R.C750 mit der Rahmennummer F22L004 wird schon sehr bald einen Radfahrer in Süddeutschland glücklich machen. Dafür lohnt es sich doch, zwei Tage lang an einem Rad zu werkeln.
Daniel Eilers
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