... Hirsch. Wer hat Zeit und Lust, ab morgen früh auf ihn zu jagen? Geht nur morgens!!!“ Ungläubig lese ich dies dreimal. „Was ich? Und gleich auf solch einen Hirsch?“ Und dann sagen die anderen beiden der Gruppe ‚Hirsch’ auch noch ab. Ich fasse wieder klaren Gedanken: Der Jahresurlaub? Aufgebraucht! Doch ich muss es probieren. Nach einem kurzen Telefonat mit meinem Lehrchef und der Tischlerei ist klar, dass es nicht klappt – Bauboom sei Dank. Es bleibt somit nur das nächste Wochenende. Und so mache ich mich Freitag, den 29. September, voller Vorfreude auf den Weg.
DER ERSTE ANSITZ
Vor Ort treffe ich den Berufsjäger. In einer kurzen Lagebesprechung erfahre ich, dass der Hirsch abseits des großen Brunftgeschehens allabendlich mit seinem Kahlwild auf einen abgeernteten Kartoffelschlag zieht, jedoch immer erst im Dunkeln. So entscheiden wir uns, bereits am Abend die Kanzel zu beziehen, da wir es natürlich unbedingt vermeiden wollen, das Rudel zu vertreten. Voller Erwartung erreichen wir unseren Platz. Die Dunkelheit bricht über uns herein, und mit ihr hören wir in der Ferne die ersten Hirsche schreien. Der Berufsjäger erzählt mir von der einzigartigen Stimme des Gesuchten, sie klingt rau jedoch auch kraftlos zugleich. Mittlerweile ist es stockfinster und merklich kühl geworden, als wir zusammenzucken. Er ist es – unverkennbar –, und er ist ganz in der Nähe! Seine Stimme klingt tatsächlich so einzigartig wie beschrieben, und in den nächsten Stunden genießen wir diesen unverkennbaren Klang sowie die vielen weiteren Geräusche der Nacht, die uns umgeben. In den letzten Nachtstunden übermannt uns die Müdigkeit immer wieder, bis sich endlich die ersten Kronen der Kiefern aus der Dunkelheit lösen. Das Licht wird immer besser. Wir starren durch unsere Ferngläser, doch vergebens. Dichter Nebel verbirgt das Rudel. Mittlerweile ist es hell, doch noch bevor die Sonne den Nebel lösen kann, hören wir den Hirsch aus großer Entfernung. So beenden wir den längsten und zugleich aufregendsten Ansitz meines Jägerlebens. Nach den Eindrücken der Nacht merke ich, wie müde Hirschjagd macht, und so falle ich nach dem Frühstück todmüde ins Bett.
Von der Wildkamera entdeckt: der unfassbar abnorme Rothirsch. Denn nur im Schutze der Dunkelheit hat dieser sich ins Freie begeben.
FOTO: RONNY ANDRESEN
Der krumme Lebenshirsch von Joss Oke Jepsen: wirklich unfassbar abnorm. Im Grunde ein eher geringer Hirsch vom zehnten, elften Kopf.
Zwei glückliche Hirschjäger: rechts der Berufsjäger, der den Abnormen bestätigt hat, links der Erleger, dem sein Waidmannsheil unfassbar ist.
FOTOS: JOSS OKE JEPSEN
DER ZWEITE ANSITZ
Am Nachmittag entscheiden wir, die vorabendliche Strategie erneut zu versuchen. In der Hoffnung, dass es weniger Nebel geben wird. Es ist unter den aktuellen Gegebenheiten ohnehin unsere einzige Chance. Wieder beziehen wir in der ersten Dämmerung die Kanzel an den Kartoffeln, wieder hören wir entfernt die ersten Hirsche schreien. Auch an diesem Abend bestätigt seine unverkennbare Stimme den Abnormen in völliger Finsternis vor uns.
Endlich, es dämmert! Gebannt suchen wir mit unseren Ferngläsern die noch dunkle Fläche ab. Das Rudel muss noch vor uns stehen, den Hirsch vernehmen wir in unmittelbarer Nähe. Und da! Fast gleichzeitig nehmen wir beide die ersten Wild-Silhouetten war. Der Nebel ist definitiv schwächer als gestern – heute könnte es klappen! Mit diesem Gedanken packt uns das Jagdfieber.
DER ENTSCHEIDENDE MOMENT
Auf etwa 200 Meter schätzen wir die Entfernung zum Brunftrudel. Noch ist es für sicheres Ansprechen und Schießen zu dunkel, doch das Licht nimmt schnell zu. Das Rudel wird unruhig und zieht, das Kahlwild voran, ganz langsam Richtung Wald. Den Schluss bildet der eindeutig stärkste Wildkörper, es muss der Hirsch sein. Er wirkt auf mich erschöpft und doch kraftvoll und majestätisch zugleich. Es ist ein unglaubliches Bild, was sich uns bietet. Die halbe Strecke zum Wald ist zurückgelegt, als ich das erste Mal das Geweih erkenne – unfassbar wie abnorm! Ein kurzer Blick zum Berufsjäger, ein Nicken und die Anweisung, mich fertig zu machen. Mein Herz rast, die Büchse liegt im Anschlag, und wir haben das Glück, dass das Rudel nun schräg auf uns zuzieht. Als die Entfernung passt und der Hirsch breit steht, schieße ich. Er zeichnet deutlich, und nach 30 Metern endet seine Flucht. Für den nächsten Moment ist es ganz still um mich herum, die ganze Anspannung fällt von mir ab. Das „Waidmannsheil!“ des Berufsjägers löst die Stille und gleichzeitig unglaubliche Freude in uns aus. Als wir wenig später am Hirsch stehen, bin ich überwältigt von diesem beeindruckenden Wild und dessen Ausstrahlung auf mich. Ich bin mir bewusst, dass mein erster Hirsch, dessen Erlegung ein so wunderbares Erlebnis für mich war, gleichzeitig auch mein Lebenshirsch ist. Waidmannsdank der Jagdherrin!
„DIE HALBE STRECKE ZUM WALD IST ZURÜCKGELEGT, ALS ICH DAS ERSTE MAL DAS GEWEIH ERKENNE –UNFASSBAR WIE ABNORM!“