... mich stolz, dass mein Rekord auch Robert Lewandowski überlebt hat“, sagt er. Der Pole, der im Sommer zum FC Barcelona gewechselt war, hat als Bayern-Spieler in den vergangenen Jahren so viele Bestmarken gebrochen, dass Müller schon zittern musste. U. a. überholte Lewandowski 2021 Gerd Müller im Ranking der meisten Tore in einer Saison – er schraubte den Spitzenwert von 40 auf 41 hoch.
Aber sechs Treffer in einem Spiel, das schaffte auch Lewandowski nicht, der zu den 15 Spielern mit fünf Treffern innerhalb von 90 Minuten zählt. Müllers Sechser-Pack gehört zu den 60 größten Besonderheiten aus 60 Jahren Bundesliga.
„An dem Tag hatte ich das volle Selbstvertrauen“, sagt Müller zu seinem Auftritt vom 17. August 1977. Es war ein Mittwochabend. 3. Spieltag der Saison, die Köln mit der Meisterschaft und dem Pokal-Sieg beendete. „Ich hatte in den ersten beiden Spielen nicht getroffen, stand ein wenig in der Kritik. Dann bin ich mit Wut im Bauch und großem Willen auf den Platz gegangen.“
Die Wut bezog sich auf Werders eisenharten Verteidiger Horst-Dieter Höttges. „Gegen ihn zu spielen war gemeingefährlich. Es bestand immer die Gefahr, dass man sich verletzt. Das war brutal“, erzählt Müller. Plötzlich ist er wieder mittendrin. Im Spiel. Im Torrausch. In der Stimmung dieses denkwürdigen Abends. „Dann kam der Höttges hier in unserem Stadion mit roten Schuhen auf den Platz. So was gab es bis dahin nicht. Ich dachte mir: ‚Jetzt hat der auch noch bunte Schuhe ...‘ Das hat mich noch mehr aufgeregt.“
Er wollte es Höttges zeigen. Müller hatte auch noch die Worte seines Trainers Hennes Weisweiler († 63) im Ohr, der ihm mitgegeben hatte: „Höttges ist nicht der beste Kopfball-Spieler. Das sollten wir nutzen.“ Der Bremer war nur 1,74 Meter groß. Müller: „Die Taktik war: hohe Bälle.“ Die einstudierten Standard-Situationen waren das perfekte Mittel. Ergebnis: „Ich habe vier der sechs Tore per Kopf erzielt.“ Eine Demütigung für den Kontrahenten.
Das 1:0 erzielte Müller nach zwölf Minuten mit dem Fuß. Das 2:0 und 3:0 per Kopf. Nach dem Bremer Anschluss erhöhte er in der zweiten Hälfte per Kopf auf 4:1 und 5:1. Zum 7:2 traf er wieder mit dem Fuß, das Tor zum Rekord. Müller: „Dieses Tor wollte ich unbedingt noch machen. Ich wusste nicht, dass der Rekord so lange halten würde, aber ich wollte einfach diesen Treffer. Deshalb habe ich Hannes Löhr († 73) kurz vor Schluss den Ball vom Fuß genommen und ihn verwandelt. Ich bin vorne rein gegangen mit dem Willen: Das ist mein Tor!“
Müller ist der Stürmer für besondere Momente. Bei der EM 1976 wurde er gegen Jugoslawien beim Stand von 1:2 erstmals eingewechselt. Mit drei Treffern drehte er das Spiel. Sein Tor zum 2:2 ging ebenfalls in die Geschichtsbücher ein. Müller ist der einzige Spieler der Welt, der bei seinem Nationalmannschafts-Debüt mit seinem ersten Ballkontakt ein Tor erzielte.
„VOR MEINEM SECHSTEN TREFFER HABE ICH LÖHR DEN BALL VOM FUSS GENOMMEN. ICH WOLLTE DAS TOR UNBEDINGT“
Müller über den Tor-Rekord, den er seit 45 Jahren hält
Die Tor-Gier im August 1977 hat Müller berühmt gemacht. Er berichtet: „Ich werde bis heute häufig auf die sechs Tore angesprochen und auch im Fernsehen und Radio als der Spieler vorgestellt, der das als einziger jemals geschafft hat.
Diese sechs Tore machen mich besonders. Darüber freue ich mich nach wie vor.“Köln haben sie zudem den Meistertitel beschert. Am Ende der Saison 1977/78 hatte der FC genauso wie der Zweite Gladbach 48 Punkte. Beide Vereine hatten 86 Treffer in der Saison erzielt. Köln kam auf eine Tordifferenz von plus 45, Gladbach von plus 42. Drei Tore haben über den Titel entschieden. Es hat sich also gelohnt, gegen Bremen die Tore fünf, sechs und sieben nachzulegen.
Nach dem Abpfiff damals kam FC-Idol Heinz Flohe († 65) zu Müller. „Du bist einmalig“, hat er gesagt. Zu der Zeit war das noch im wahrsten Sinne des Wortes gemeint. Ein größeres Lob hätte Flohe, ein guter Freund von Müller, nicht aussprechen können.
Mit dem ehemaligen Bremer Torwart Dieter Burdenski spricht der einstige Torjäger bei Treffen noch immer über den für beide besonderen Abend. Burdenski begleitet das 2:7 ebenfalls bis heute. Nur sieht er es weniger euphorisch. „Er hat mal gesagt, dass er ein kleines Trauma davongetragen hat“, sagt Müller.
Mit Höttges wiederum hat der ehemalige Kölner Star nie mehr über dieses Spiel gesprochen. Ihm hat der Triumph gereicht. Das Fluchen des harten Verteidigers war der spontane Lohn und ist bis heute präsent.
Am Ende der Saison beendete Höttges seine Profikarriere. Müller aber war der gefeierte Spieler. 1978 kamen zu Meisterschaft und Pokalsieg noch die Torjäger-Kanone (wie 1977) hinzu. 24 Treffer hatte er für den FC erzielt. Müller: „Ich hätte noch mehr Tore machen können. Aber in den letzten Spielen der Saison hatte ich Knieprobleme, wurde vor Spielen gespritzt. Das hat mich eingeschränkt.“
Die Erinnerung an die großartige Saison bleibt trotzdem ungetrübt. „Es war mein schönstes Jahr als Spieler, und das Double war der Höhepunkt meiner Karriere.“ Von 1973 bis 1981 hatte er für Köln gestürmt. 159 Tore in 248 Bundesliga-Spielen. Gekommen war er aus Offenbach. Weiter ging es nach Stuttgart und ein Jahr später nach Frankreich. Drei Jahre spielte er bei Girondins Bordeaux, wurde zweimal Meister (1984 und 1985) – und zum Weinliebhaber.
Das Leben schien es gut mit ihm zu meinen. Müller kennt das Leben ganz oben, wenn einem die Menschen zu Füßen liegen und jeder Schuss zum Treffer wird. Und er kennt das Leben ganz unten, wenn es keinen Trost mehr zu geben scheint. Sein Sohn Alexander starb 1997 im Alter von 16 Jahren an Krebs.
„Im Leben ist alles Schicksal“, sagt Müller. Das Persönliche wie das Berufliche. „Mir war damals nicht bewusst, dass der Rekord so lange halten würde. Und wenn mich jetzt irgendwann mal jemand einholt, dann ist das so.“ Zu seiner Frau sagt er häufig, man müsse im Heute leben und da „glücklich sein“.
Im Fall seiner Bestmarke fällt das besonders leicht. Aktuell erscheint es unwahrscheinlich, dass ihm jemand gefährlich werden könnte. Lewandowski trifft in Spanien für Barcelona. Erling Haaland nach seinem Wechsel von Dortmund zu Man City in England.
Müllers Bundesliga-Rekord hält.
Nächste Woche Als die Bundesliga im Schnee versank