... Proviantierung. Was essen und trinken sechs Personen bei einer Reisedauer von circa 20 Tagen? Anhand eines groben Essensplans kaufen wir Lebensmittel ein. Hinzu kommen pro Person rund zwei bis drei Liter Wasser pro Tag.
Samstag, 8. Januar 2022
Noch ein Tag bis zum Start: Im Skippersbriefing geben die Offiziellen eine deutliche Empfehlung ab: Wir sollen die südlichere Route segeln, da sich im Norden ein umfangreiches Tiefdruckgebiet gebildet hat. Darüber hinaus warnen sie vor Flüchtlingsbooten, die in den ersten Tagen unseren Weg kreuzen könnten.
Sonntag, 9. Januar 2022
Der Moment des Auslaufens ist gigantisch. Am Leuchtturm und überall auf den Molen stehen Menschen, klatschen, winken. Erst in diesem Moment wird mir bewusst, dass mein Traum nun wahr wird. All diese Menschen sind gekommen, um uns anzufeuern. Ein unvergesslicher Moment!
Um 12.45 Uhr der Start. Da der Wind aus Südwest kommt, müssen wir kreuzen. Also fahren wir erst mal gen Osten, um dann später auf einen südlicheren Kurs zu gehen. Wir haben eine fiese kabbelige Welle und schon nach kurzer Zeit werden die ersten drei Personen seekrank.
Montag, 10. Januar 2022
Wind und Welle haben sich beruhigt, den anderen geht es besser. Abends freuen wir uns über den ersten tierischen Besuch. Eine Delfinschule begleitet uns. Ein wunderschönes Schauspiel im Sonnenuntergang. Doch es gibt auch ein technisches Problem: Wir haben kein Radarbild.
Grundsätzlich kein Problem, haben wir doch seit mehr als 24 Stunden kein anderes Schiff mehr gesehen. Wir befinden uns aber noch immer unweit der Flüchtlingsrouten. Und darum kreisen die Gedanken das ein oder andere Mal. Doch wenn ich in den sternenklaren Himmel schaue, geraten sie in den Hintergrund. Dann freue ich mich, im hier und jetzt zu sein und die Schönheit der Natur genießen zu dürfen.
Mittwoch, 12. Januar 2022
Um 12 Uhr kommt die Positionsliste. Wir sind auf Platz 20. Manche Schiffe fahren nördlich und geben mächtig Gas. Bei uns ist der Wind sehr unbeständig. Der Wetterbericht sagt schwachen SW-Wind vorher. Daher halsen wir und fahren erstmal nordwestlich. Leider gibt es einen weiteren Technikknacks. Die Positionslichter sind ausgefallen. Trotzdem bin ich entspannt. Ich genieße es sehr, hier zu sein und dieses Zusammenspiel von Technik und Natur erleben zu dürfen. Hinzu kommt ein ziemlicher Luxus, den wir hier an Bord haben. Allein das heutige Essen übertrifft vieles. Mittags gab es T-Bone-Steaks mit Kartoffeln und Gemüse, abends schlemmen wir Bruschetta.
Donnerstag, 13. Januar 2022
Unser heutiges Ziel: Das AIS zum Laufen bringen. Rainer findet schnell die passende Steckverbindung. Nun müssen wir ein Kabel legen. Was für eine Fummelarbeit. Rainer und ich kriechen gefühlt durch das ganze Boot. Aber, wir schaffen es. Nun haben wir AIS Ziele auf dem Schirm.
Der Rest des Tages verläuft ruhig. Normalerweise sind Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang schon beeindruckend. Den Mond beim Untergehen zu beobachten, ist phänomenal. Nun haben wir nichts als Wasser und einen klaren Sternenhimmel um uns herum. Schade, dass sich dieses Schauspiel nicht fotografieren lässt.
Samstag, 15. Januar 2022
Durch den östlichen Kurs in der Kreuz kommen wir der Karibik nur langsam näher. Aber was soll man machen? Unsere Präferenz steht fest: Lieber kreuzen oder motoren als durch Sturm zu fahren.
Heute wollen wir das Radar zum Laufen bringen. Doch nachdem wir alles vorbereitet haben und Rainer uns zeigt, wo wir die Funktionalität überprüfen können, geschieht ein kleines Wunder: Plötzlich läuft das Radar wieder.
Sonntag, 16. Januar 2022
Am Nachmittag bemerken wir ein Schlagen. Es ist der Gennaker. Es hat sich unterhalb des Kopfes eine Tasche gebildet, in die auf Am-Wind-Kurs der Wind drückt. Wir müssen schnell handeln, damit das Vorstag nicht kaputtgeht. So schnell es geht, fiere ich das Fall, und Rainer zieht den Gennaker nach unten, denn von Sekunde zu Sekunde wird die Tasche größer. Als es auf dem Vorschiff liegt, müssen wir es sichern. Ich picke mich ein, gehe aufs Vorschiff. Mit mehreren Tampen binde ich den Gennaker am Trampolin fest. Dabei stampfen wir über den Atlantik.
Ich bekomme die Wellen durchs Trampolin und von oben ab, wenn sie überkommen. Dennoch genieße ich jede Sekunde. Beim Stampfen fühlt es sich an, als würde ich gleich abheben. Aber durch den Lifebelt bin ich gesichert. Ich habe einen Mordsspaß. Ein Glück, dass die Rettungsweste bei den Wassermengen nicht auslöst.
Montag, 17. Januar 2022
Die Zeit vergeht wie im Flug. Es ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Wache, Freiwache, kleineren Reparaturen/ Wartungen, Essen und Schlafen. Heute entwirren wir den Gennaker. Das hat es in sich. Es ist ein riesiges Chaos so viel Tuch, in Teilen aufgerollt und in Teilen lose. Zum Glück ist das Wetter ruhig und wir können auf dem Vorschiff arbeiten, ohne von allen Seiten nass zu werden. Anschließend haben wir ausreichend Wind, um ihn auch direkt zu setzen und wieder einzurollen. Denn drei Knoten Wind sind zum Segeln nicht genug.
Dienstag, 18. Januar 2022
Wir haben viel Glück mit Squalls. An allen Seiten sehen wir, wie der Regen fällt, doch wir bleiben verschont. Allerdings sind wir noch immer unter Motor unterwegs. Noch 1738 Seemeilen, bald haben wir die Hälfte der Strecke hinter uns. Hoffentlich kommt bald mehr Wind, denn bis St. Lucia würde der Diesel nicht reichen.
Mittwoch, 19. Januar 2022
Ich genieße die Abgeschiedenheit auf See. Ich könnte ewig so weiterfahren. Die Ruhe und die Klarheit, die der Atlantik ausstrahlt, sind einmalig. Am Morgen bekommen wir über das Iridium eine Mail von der ARC. Die Brainstorm hat einen Ruderschaden mit Wassereinbruch. Wir sind rund 150 Seemeilen hinter ihr, bieten unsere Hilfe an. Aber andere Boote sind näher. Sie nehmen je zwei Crewmitglieder auf, das Boot wird aufgegeben. Die letzte Bekannte Position ist 18°50´N und 034°30´W. Wir notieren die Position in der Seekarte. Unser Kurs führt uns genau darüber. Ob wir das treibende Boot sehen werden?
Donnerstag, 20. Januar 2022:
Heute haben wir Superwind. Wir fliegen mit acht Knoten nur so dahin. Was für ein geniales Gefühl! Obwohl die Welle sukzessive zunimmt, macht es einfach Spaß. Ich fühle mich hier an Bord pudelwohl. Ich vertraue Rainer und seinen Fähigkeiten und lerne die Friendship von Tag zu Tag besser kennen. Als ich am Steuerstand stehe und zwischendurch immer mal wieder das Steuern übernehme, denke ich nur: „Wow, ist das geil!“ Es ist ein unbeschreibliches Gefühl des Abenteuers und der Freiheit. Mitten in der Nacht auf dem Atlantik, ohne jede Sicht, schwarz um einen herum. Weiße Wellenkämme kommen zwischendurch zum Vorschein. Ein unbeschreiblich schönes Gefühl!
Freitag, 21. Januar 2022
Nach dem Mittagessen sichten wir fliegende Fische. Kurz darauf kommt das erlösende Surren. Wir haben einen Fisch an der Angel. Rainer muss kämpfen, um ihn an Bord zu holen. Ein ganz schöner Brocken, ein circa acht Kilo schwerer MahiMahi. Ein schöner Fisch mit blauem Rücken und goldenem Bauch.
Samstag, 22. Januar 2022
Der Wetterbericht ist ernüchternd. Schwachwindig mit erhöhter Squall-Gefahr. Abends erhellt sich der Himmel immer wieder – Wetterleuchten. Je später es wird, desto intensiver ist es. Gleichzeitig sehen wir Squalls auf dem Radarschirm. Es sind richtig große und umfangreiche Gebilde, die viel Wind und Regen mit sich bringen. Kaum ist einer vorbei, zieht der Nächste auf. Innerhalb kürzester Zeit steigt die Windgeschwindigkeit von acht auf 22 Knoten.
Montag, 24. Januar 2022
Heute knacken wir die 1000-Seemeilen-Schallgrenze. Ab jetzt wird es dreistellig. Die Mowgli müsste schon längst im Ziel sein. Die hatte heute früh nur noch 70 Meilen bis zur Rodney Bay.
Mittwoch, 26. Januar 2022
Wir sind unter Gennaker unterwegs, als in den frühen Morgenstunden der Wind aufbrist. Von maximal 14 geht er plötzlich hoch auf mehr als 22 Knoten, Tendenz steigend. Innerhalb kürzester Zeit machen wir grandiose elf Knoten Fahrt. Aber unter Gennaker ist das zu viel. Wir müssen ihn bergen. Ich ziehe was das Zeug hält und bin nur froh darüber, dass ich meine Handschuhe angezogen habe. Denn immer wieder rauscht mir die Reffleine aus. Doch ich rolle Zentimeter für Zentimeter weg.
Und dann ist es wie verhext. Kaum ist der Gennaker weggerollt, schläft der Wind wieder ein. Keine zehn Minuten nach dem Wegrollen setzen wir das Segel erneut.
Am Abend erleben wir eine Besonderheit. Wir sehen zum ersten Mal seit Start ein anderes ARC-Schiff, die Ataraxia.
Freitag, 28. Januar 2022
Die ersten vier Boote sind mittlerweile im Ziel. Die Mowgli, Volare, Mrs. G. und Styliana. Wir liegen noch gut im Mittelfeld.
Nach nun knapp 20 Tagen auf See werden unsere Vorräte weniger. Heute brechen wir die letzte Gasflasche an. Auch mit dem Diesel müssen wir aufgrund des vielen Motorens haushalten. Aber mit Lebensmitteln sind wir noch gut versorgt.
Samstag, 29. Januar 2022
Ein neues ARC-Update: Die Crew der Brainstorm ist in der Zwischenzeit in der Karibik angekommen. Das Schiff selbst wurde von einem Bergeunternehmen auf den Haken genommen und ist auf dem Weg zurück nach Gran Canaria.
Nach meiner Nachtwache setze ich mich noch ans Heck, um den Sternenhimmel zu beobachten. Da wir aktuell Neumond haben, ist der Sternenhimmel noch intensiver als sonst. Gefühlt können wir bis in die nächste Galaxie schauen. Einfach unfassbar schön. In mir stellt sich ein Gefühl der absoluten inneren Zufriedenheit ein, das ich hier an Bord der Friendship schon so manches Mal empfunden habe.
Sonntag, 30. Januar 2022
Heute ist ein schöner Segeltag, und wir machen bislang ordentlich Strecke gut. Es ist eine Mischung aus Sonnenbaden, lernen und leckerem Essen.
Doch der Gennaker beendet den entspannten Nachmittag: Erst fällt er ein und dann runter. Es geht alles so schnell, dass wir keine Chance haben zu reagieren, der Gennaker ist im Wasser. Unter größten Mühen, teils außenbords hängend, bergen wir das Segel aus dem Wasser. Der Propeller ist frei, was für ein Glück!
Montag, 31. Januar 2022
Die letzten 100 Seemeilen sind angebrochen. Unsere Positionslichter konnten wir bislang nicht reparieren. Aber ein Provisorium sorgt dafür, dass wir gesehen werden können.
Dienstag, 1. Februar 2022
Der letzte Tag auf See! „Land in Sicht!“ Um 18 Uhr hat Rainer die Hügel von St. Lucia entdeckt. Nur unter Genua dümpeln wir mit drei Knoten Fahrt dahin. Hinter uns kommt die Ataraxia immer näher. Wir setzen das Groß. So kurz vor dem Ziel lassen wir uns nicht mehr überholen. Die Zeit fliegt. Eben haben wir die Nordspitze St. Lucias gerundet, kommt auch schon Pigeon Island in Sicht und wir fahren in die Rodney Bay ein.
Als wir um 02:21:03 Uhr die Ziellinie überqueren, ertönt ein langer Ton vom ARC Schiff. Danach schallt das Lied „We are the champions“ aus dem Funkgerät. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl! Wir haben es geschafft. Ich kann es noch gar nicht realisieren.
Nun müssen wir nur noch die Segel bergen und dann ab in den Hafen. Die ARC-Offiziellen erwarten uns. Sie nehmen die Leinen entgegen und begrüßen uns mit einem hochprozentigen und vitaminreichen Willkommenspaket.
Nach 24 Tagen auf See stoßen wir auf unser Abenteuer an. Nun müssen wir nur noch einklarieren und können dann die Insel erkunden.
Text: Maren Budahn