Wäre es nicht schön, wenn wir unsere Kinder vor den rauen Klippen des Lebens bewahren könnten? Vor Rückschlägen in der Schule, herben Enttäuschungen im Freundeskreis, vor Krankheit und Verlust? Wohl alle Eltern hegen den Wunsch, ihr Kind vor negativen Erfahrungen zu beschützen. Doch weil alle Eltern auch einmal Kinder waren, wissen sie eben, dass das nicht funktionieren kann. Das Leben besteht aus Herausforderungen. Manchmal aus ganz schön großen – von Anfang an.
Die gute Nachricht: Es gibt dennoch vieles, das Eltern – und auch andere Menschen im Umfeld eines Kindes – tun können, um es gut gewappnet in schwierige Situationen zu schicken. So, wie wir die körperlichen Abwehrkräfte unseres Nachwuchses stärken, indem wir auf ausreichend Schlaf, frische Luft und gesunde Ernährung achten, können wir auch sein seelisches Immunsystem fit machen. Und so dafür sorgen, dass er problematische Lebensphasen gut bewältigt und sogar gestärkt daraus hervorgeht.
Resilienz ist nicht angeboren
Doch was genau ist dazu nötig? Eben dieser hochspannenden Frage widmet sich die noch relativ junge Resilienzforschung, ein Teilgebiet der Psychologie. Vor allem durch Studien versucht sie herauszufinden, welche Fähigkeiten besonders wichtig sind, um ein krisenfester, stabiler Mensch zu werden.
Grundlage dabei ist die Fragestellung: Woran genau liegt es, dass manche von uns negative Erfahrungen schneller verdauen? Wieso etwa, lässt sich das eine Kind von einer schlechten Schulnote entmutigen, während ein anderes darin einen Ansporn sieht? Warum versinkt das eine Kind wegen eines Verlustes in eine lange Phase der Traurigkeit, während ein anderes schon bald wieder nach vorn blickt?
Die einfachste Erklärung wäre, dass manche Menschen eben als robustere, tatkräftigere Naturen auf die Welt kommen und dadurch grundsätzlich im Vorteil sind. Doch genau hier widerspricht die Resilienzforschung. „Natürlich spielen auch personelle Gegebenheiten wie z. B. das angeborene Temperament oder der IQ eine begünstigende Rolle“, sagt Kindheitspädagogin Leandra Vogt. Als Resilienz-Familiencoach beobachtet sie aber auch, dass andere Faktoren wesentlich besser und zuverlässiger wirken. Das Fundament der Resilienz seien eine funktionierende Emotionsregulierung (mehr dazu im Kasten unten), vor allem aber positive soziale Beziehungen, so die Expertin: „Ein Kind braucht in seinem Umfeld Menschen, die ihm das Gefühl geben: Ich sehe dich! Ich begleite dich! Du bist nicht allein!“ Diese Menschen seien es auch, die ihm am besten jene positiven Kompetenzen vermitteln könnten, die als „Sieben Säulen der Resilienz“ bezeichnet werden – eine Art Werkzeugkasten, dessen Instrumente Kinder wie Erwachsene schneller und besser durch Krisen bringen:
Säule Nr. 1: Optimismus & Grundvertrauen
Wer daran glaubt, dass Probleme sich immer irgendwie lösen lassen, findet leichter die Kraft, wieder neu durchzustarten. Grundsätzlich ist es eine gute Übung, sich stärker auf Positives im Leben zu konzentrieren, z. B. auch durch Gespräche im Familienkreis: Was war am heutigen Tag besonders erfreulich?
Temperament im Griff!
Wer sich z. B. von Wut oder Angst dominieren lässt, verliert die Kontrolle. Die Emotionsregulation ist deshalb ein wichtiger Faktor für das seelische Gleichgewicht, so die Resilienz-Expertin Prof. Jutta Heller: „Resiliente Menschen wissen, wie sie sich hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Gefühlslagen sowie Umgebungen und Situationen angemessen steuern können. Wenn sie niedergeschlagen und träge sind, aktivieren sie sich. Bei starken Emotionen wie Wut oder Stress beruhigen sie sich und bringen sich in eine gute Balance.“ Um in einer akuten Situation seine Gefühle zu regulieren, empfiehlt die Psychologin auf Abstand zu gehen: „Verlagern Sie Ihre Aufmerksamkeit, in dem Sie Ihren Geist beruhigen und Ihren Körper beobachten. Das gelingt Ihnen, wenn Sie tief durchatmen und bis zehn zählen.“ Eine andere Möglichkeit sei, sich auf eine positive Erinnerung und die Gefühle, die sie auslöst, zu konzentrieren. Diese sehr einfachen Übungen sind auch mit Kindern umsetzbar.
Säule Nr. 2: Situationen annehmen
Natürlich braucht es Zeit, Nackenschläge des Schicksals zu verdauen. Es ist normal, wenn man zunächst am liebsten den Kopf in den Sand stecken würde. Handlungsfähig sind wir jedoch erst, wenn wir die aktuelle Lage akzeptieren und besonnen analysieren.
Säule Nr. 3: Lösungsorientierung
Statt auf die bestehenden Schwierigkeiten, wird der Fokus darauf gerichtet, aktiv zu werden und gut funktionierende Wege heraus zu finden. Ermutigen Sie Ihr Kind, dabei kreativ zu werden und nehmen Sie ihm die Angst vorm Scheitern: Fehlversuche machen uns schlauer – und sind kein Grund aufzugeben!
Säule Nr. 4: Raus aus der Opferrolle
Sich als Spielball der Ereignisse zu begreifen, sorgt zwar dafür, dass die anderen „schuld“ sind. Aber es lähmt auch den Tatendrang. Helfen Sie Ihrem Kind, seine individuellen Stärken zu erkennen und sich als selbstwirksam zu erfahren, in dem es z. B. gehört und ernst genommen wird.
Säule Nr. 5: Verantwortung übernehmen.
Das eigene Handeln zu reflektieren und seine Konsequenzen zu erkennen, hilft dabei, das eigene Leben aktiv in die Hand zu nehmen. Dazu gehört auch, sich um das eigene Wohlbefinden zu kümmern. Eltern, die ihre eigenen Bedürfnisse nicht vernachlässigen und nach innerer Balance streben, machen ihrem Kind vor, wie das geht.
Säule Nr. 6: Netzwerkorientierung
Ein stabiles soziales Umfeld gibt uns Kraft, den Stürmen des Lebens zu trotzen. Eltern, die ein solches pflegen, führen Ihrem Kind vor, wie aktiv gelebte Freundschaft, Nachbarschaft, Kollegialität uns stärker macht.
Säule Nr. 7: Zukunftsplanung
Sich selbst Ziele zu setzen und aktiv zu verfolgen, trägt sehr dazu bei, das eigene Leben als sinnhaft und erfüllt zu empfinden. Wichtig: Kinder sollten ihren eigenen Interessen und Wünschen entwickeln. Eltern können ihnen behutsam dabei helfen, sie zu entdecken und in Worte zu fassen.
Die sieben Säulen stehen für eine aktive und lebensbejahende Grundhaltung. Und die kann sich jeder aneignen, so die ermutigende Botschaft der Resilienzforschung. Auch Erwachsene können sich durch bewusste Verhaltensänderungen selbst stärken. Und gerade Väter und Mütter haben dazu Anlass – um sich selbst für die Herausforderungen des Familienlebens fit zu machen und um den eigenen Kindern Vorbild zu sein. Denn auch in Bezug auf Resilienz gilt: Das positive Beispiel vertrauter Personen bewirkt beim Nachwuchs mehr als tausend schlaue Worte.
Wer sich eingehender mit dem Thema beschäftigen möchte, findet z.B. Lesestoff bei Expertin Leandra Vogt www.reifam.org oder unter www.kindergesundheit-info (Suchwort „Resilienz“). Viele Krankenkassen übernehmen die Kosten für ein Resilienztraining, einfach nachfragen!
Pionierin Emmy Werner
Was Menschen dabei hilft, trotz widriger Lebensumstände stabil zu bleiben und sich positiv zu entwickeln? Dieser Frage ging die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner in ihrer bahnbrechenden „Kauai-Studie“ nach. Sie und ihr Team begleiteten über 40 Jahre lang knapp 700 Kinder, die 1955 auf der Hawaii-Insel Kauai geboren wurden. Ein Teil dieser Kinder wuchs unter äußerst schwierigen Verhältnissen auf, litt an Armut, Vernachlässigung, Gewalt in der Familie etc. Werner beobachtete, dass zwei Drittel dieser „Risiko-Kinder“ Lern- oder Verhaltensstörungen entwickelten, strafffällig oder psychiatrisch auffällig wurden. Erstaunlicherweise entwickelte sich ein Drittel aber sehr positiv, bewältigte die Schule und fand in ein geregeltes Leben. Die Forscherin bewies damit, dass ungünstige Startbedingungen nicht zu einem Scheitern im Leben führen müssen – und zwar dann, wenn andere, positive Faktoren sie ausgleichen. Als schützende Eigenschaften ermittelte sie u. a. das Vorhandensein einer stabilisierenden Bezugsperson, einen guten Familienzusammenhalt und den Glauben an die eigene Selbstwirksamkeit.