... Energien wie Wind und Sonne.
65 Prozent weniger CO 2 -Emissionen bis 2030 lautet das politische Ziel
Weil ihr Protest das Thema Energie in die breite Öffentlichkeit trägt, suchen auch die Wissenschaftler den Schulterschluss. „Die Energiewende muss gelingen, wenn wir die nachfolgenden Generationen vor den Folgen der Klimakrise bewahren wollen“, sagt dazu Harald Lesch, Professor für theoretische Astrophysik an der Ludwig- Maximilians-Universität in München und TV-Moderator, in seiner Doku „Voll geladen: neue Speicher für die Energiewende“, die auf ZDF Info läuft (siehe TV-Tipp Seite 24). Extreme Dürren, Starkregen und Überschwemmungen, die Klimaszenarien seien „ganz eindeutig, und sie sagen uns: Wir können nicht länger warten“. Sein aktuelles Buch „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“ (siehe Buchtipp rechts) schrieb er mit Christian Holler, Professor für Ingenieurmathematik an der Hochschule München, Joachim Gaukel, Professor für Ingenieurmathematik an der Hochschule Esslingen, und seinem Sohn Florian Lesch, Ingenieur für Energietechnik. „Es bedeutet mir extrem viel, wenn die Jugendlichen appellieren, auf uns Forscher zu hören“, sagt Christian Holler im Gespräch mit HÖRZU. Der Wissenschaftler schreibt Bücher über die Energiewende und hat dabei eine klare Zielgruppe vor Augen: „die jungen Aktivisten sowie die Eltern und Großeltern for Future“.
Seinen Lesern will das Autorenquartett „ohne falsche Versprechen, mit Klarheit und physikalischen Argumenten“ erklären, was die regenerativen Energieträger „können und was nicht“. Am Anfang steht die „offene Frage“: Lässt sich unser heutiger Primärenergie-Bedarf in Deutschland komplett mit erneuerbaren Quellen decken? Darunter versteht man die gesamte Menge, die bei der Gewinnung, Umwandlung und Verteilung aller Energieträger benötigt wird. Haben Sonne und Wind, Biomasse und Wasserkraft ausreichendes Potenzial für die Energiewende? Und wie viel Fläche frisst die Energie der Zukunft? „Wir haben es durchgerechnet und Bilanz gezogen“, erklärt Holler.
» SONNE
Ihre Energie wird bei uns auf zwei Arten genutzt. Bei der Solarthermie wandeln Kollektoren auf dem Hausdach das Sonnenlicht in Wärme um, während bei der Fotovoltaik Solarzellen aus dem Sonnenlicht direkt Strom erzeugen. Wenn im Sommer die Mittagssonne scheint, generieren die zwei Millionen in Deutschland installierten Fotovoltaikanlagen „fast so viel Strom wie 40 Kernkraftwerke“, so die Wissenschaftler. Da die Produktion nachts natürlich auf null fällt, schaffen alle Anlagen im Jahresdurchschnitt nur die Leistung von sieben Kernkraftwerken.
Wie wird der Primärenergie-Bedarf von 120 kWh pro Person und Tag in Deutschland gedeckt?
Derzeit decken Kernkraft, Kohle, Öl und Gas den Großteil unseres Primärenergie- Bedarfs. Erneuerbare Energien tragen nur ein Sechstel dazu bei. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Verbrauch bis 2050 um die Hälfte gegenüber 2008 zu senken
19,3 Prozent des deutschen Endenergie- Verbrauchs wurden 2020 aus erneuerbaren Energien gedeckt
Energie frisst Fläche
Zum Umbau unseres Energiesystems müsste man die in der Deutschlandkarte dargestellten Flächen für die jeweiligen erneuerbaren Energiequellen bereitstellen, um unseren aktuellen Energiebedarf von 89 kWh pro Person und Tag zu decken. Mit diesem Potenzial erreicht man den heutigen Primärenergie-Bedarf von 120 kWh nicht
Wie viel Sonnenenergie ist in Deutschland zukünftig möglich? „Zehnmal mehr als heute“, rechnet Christian Holler vor. Dafür müsste der Flächenbedarf von aktuell rund 500 Quadratkilometern, der ungefähr der Größe des Bodensees entspricht, auf das Zehnfache anwachsen. Das bedeutet: Für Fotovoltaik müssten 1,4 Prozent der Gesamtf läche Deutschlands bereitgehalten werden. Da unsere Dächer nicht ausreichend Platz bieten, müssten auf 3500 Quadratkilometern neue Freilandanlagen entstehen. Damit wäre laut Holler „eine praktische Obergrenze für die nächsten Jahrzehnte“ erreicht. Und er betont: „Die Energiewende wird alles andere als ein Spaziergang.“
Könnte uns die Sonne mit einem Schlag aus der Klimakrise retten? Nach den Berechnungen der Forscher wird die Sonnenenergie künftig nicht einmal ein Viertel unseres Primärenergie-Bedarfs decken. Derzeit verbraucht in Deutschland jede Person pro Tag umgerechnet 120 Kilowattstunden (kWh) Primärenergie. Daran hat die Fotovoltaik nur einen geringen Anteil von 1,7 kWh. Wenn man aber annimmt, dass der Ausbau der Sonnenenergie wie beschrieben vorangetrieben wird, und außerdem noch berücksichtigt, dass die künftigen Anlagen „um 50 Prozent effizienter“ arbeiten werden, dann lässt sich der Solaranteil nach Aussagen der Forscher deutlich erhöhen: auf 28 kWh pro Person und Tag. Natürlich handelt es sich dabei lediglich um eine grobe Schätzung. „Wir möchten ein Gefühl für die Größenordnungen vermitteln“, erklärt Prof. Christian Holler.
„Die Energiewende wird alles andere als ein Spaziergang.“
Christian Holler, Buchautor
» WIND
Bundesweit stehen heute 30.000 Windräder mit einem Rotordurchmesser von 120 Metern an Land. Würde man die älteren Anlagen durch moderne Mühlen ersetzen, die einen Durchmesser von 160 Metern haben, dann könnte man etwa viermal mehr Strom aus Wind produzieren. Würde man 10.000 neue hinzufügen und in Nordund Ostsee weitere 20.000 installieren, wo derzeit rund 1500 Windräder in Betrieb sind, dann könnte Windkraft ein Drittel unseres gesamten Energiebedarfs decken. Das brächte ein sattes Ergebnis, die grüne Bilanz: „Für alle von uns veranschlagten Anlagen ergibt das 40 Kilowatt pro Person am Tag“, so Holler. Die dafür benötigte Fläche ist vergleichbar mit der Größe Bayerns, wobei das Areal zwischen den Windrädern „nicht versiegelt ist und für die Landwirtschaft genutzt werden kann“, so Holler. Wie groß das Potenzial wirklich ist, hängt davon ab, ob mehr Windräder vor Ort akzeptiert werden. Geplante Windparks scheitern immer wieder am Protest der Bürger. „Beteiligungen an den Gewinnen einer Anlage oder steuerliche Boni könnten helfen, sie umzustimmen.“
» BIOMASSE
Biomasse sind Pflanzen, Gülle und Reststoffe in Form von Stroh, Holz aus der Forstwirtschaft sowie Haushaltsabfällen. Energetisch werden sie auf drei Arten genutzt: Durch das direkte Verbrennen von Holz gewinnt man Wärme. Bei der Vergärung von Nutzpflanzen wie Mais und Raps entsteht Biogas, das ebenfalls der Erzeugung von Strom dient. Drittens lassen sich Pf lanzenöle auch in Treibstoffe (Biodiesel oder Bioethanol) für Verbrennungsmotoren umwandeln.
Die Energiedichte sei insgesamt „wesentlich geringer“ als die fossiler Energieträger wie Kohle, deshalb sei „der Flächenbedarf sehr hoch“, schreiben die Forscher und setzen ihr „Gedankenspiel“ fort: Selbst wenn wir die Hälfte der deutschen Waldf läche, die rund 30 Prozent der gesamten Landesf läche einnimmt, und ein Fünftel der landwirtschaftlichen Fläche zur Energieproduktion einsetzten, bliebe der Anteil in der Ökobilanz gering: Aus einer Fläche so groß wie Norddeutschland ließen sich laut den Wissenschaftlern nur „12 Kilowattstunden pro Person und Tag“ herausholen.
» GEOTHERMIE & WASSERKRAFT
In der Erdkruste ist Wärmeenergie gespeichert. Die oberf lächennahe Geothermie holt sie aus einer Tiefe bis zu 400 Metern nach oben, um Gebäude zu heizen. Die Tiefengeothermie bohrt sich bis zu fünf Kilometer ins Innere und speist die Wärme in Netze ein, die ganze Stadtviertel versorgen. Es gibt hierzulande um die 40 Geothermieprojekte. Das meiste Potenzial sieht Holler in Wärmepumpen. Sie nutzen die Luft der Umgebung zum Heizen und sind in Neubauten bereits Standard. Wenn es gelingt, die Häuser besser zu dämmen und „die Hälfte der heutigen Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen zu ersetzen“, könnte Geothermie die Bilanz „um 8 kWh pro Person und Tag“ aufbessern. Erstaunlich gering ist der Beitrag der Wasserkraft mit maximal 1 kWh. Grund: Die Topografie erlaubt kaum mehr als die 30 Pumpkraftwerke im Land. „Die Potenziale zur Erzeugung von Wasserkraftstrom sind zu etwa 75 Prozent ausgeschöpft.“
» SPEICHER
Wind und Sonne sind nicht immer und überall verfügbar. „Damit die erneuerbaren Energien konkurrenzfähig sind, muss man sie speichern“, erklärt Harald Lesch. „Was fehlt, sind Möglichkeiten, den grünen Strom in großen Mengen dann festzuhalten, wenn Wind und Sonne ihn im Überfluss liefern.“ Schwankt die Produktion, droht das Stromnetz instabil zu werden. Speicher können diese Schwankungen im Netz ausgleichen, indem sie Energie aus dem Netz nehmen oder bei Bedarf zuliefern. In der Doku stellt Harald Lesch die neuen Speicher wie Lithium-Ionen-Batterien oder Wasserstoff vor, er bringt die Zuschauer auf den Stand der Forschung und appelliert an die Politik, die Energiewende jetzt durchzuführen: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Bis 2050 sollen nach den Klimaschutzplänen der EU alle Haushalte, der Verkehr und die Industrie in Europa allein mit erneuerbaren Energien versorgt werden.
FAZIT Schaffen wir es, mit grünen Energien unseren Primärenergie-Bedarf von 120 kWh pro Person und Tag zu decken? Die Antwort der Autoren: Nein, jedenfalls nicht allein. Trotz des gewaltigen Umbaus unserer Landschaft kommen die Erneuerbaren in der Bilanz nur auf 89 kWh pro Person und Tag. Damit könnten wir immerhin unseren aktuellen Bedarf an Strom erfüllen. Doch davon brauchen wir in Zukunft viel mehr. Um in 30 Jahren klimaneutral zu sein, müssen wir unsere Heizungen, den Verkehr und die Industrie weitgehend elektrifizieren, gleichzeitig unseren Primärenergie-Verbrauch um die Hälfe reduzieren und beim Ausbau der Infrastruktur stärker international zusammenarbeiten. Gelingen wird das alles nicht ohne Verzicht. „Unsere größte Energiequelle“, sagt Lesch, „ist das Sparen.“
HELMUT MONKENBUSCH