... im Jahre 1983 liefen viele mit diesem politischen Statement auf der Schultertasche herum. Wer die Tasche hübscher machen wollte, schmückte sie zusätzlich mit Buttons oder eigenen Texten und Zeichnungen, die mit bunten Filzstiften auf den Stoff gemalt wurden. Natürlich gab es auch Taschen mit dem Logo der Lieblingsband.Kurioserweise sind Aufdrucke von Bands wie The Police, Joy Division, The Clash, Sex Pistols und Ramones auf T-Shirts und Beuteln heute wieder genauso angesagt wie damals. Und auch die Tragetaschen aus Leinen, Jute oder Baumwolle sind wieder in, jetzt aber unter der etwas lässigeren, englischen Bezeichnung „Tote Bag“.
KEINE PLASTIKTÜTE
Wie in den Achtzigerjahren soll mit Tote Bags auch heute noch eine Botschaft vermittelt werden. Nur sind die Sprüche meistens etwas lockerer als früher. Da gibt es zum Beispiel die Tragetaschen mit der Botschaft „I’m Not A Plastic bag“ und „save the bees - protect the trees - clean the seas“ von Elbrich Abma. Im Jahre 2016 begann die niederländische Designerin, unter dem Namen Bagging Around solche Taschen zu entwerfen. „Das war das Jahr, seit dem Plastiktüten in den Läden nicht mehr kostenlos sind. Ganz zu Recht, denn Einwegtüten aus Plastik haben viele Nachteile“, erzählt sie. „Leinentaschen boten mir die Chance, geschickt darauf aufmerksam zu machen. Wenn man Plastiktüten durch preisgünstige Stofftaschen mit interessanten Prints ersetzen kann, ist der erste Schritt zu einem nachhaltigeren Leben schnell getan. Ich habe mit fünf Taschen auf Etsy angefangen. Einen Tag später ging bereits die erste Bestellung aus Island bei mir ein.“ Inzwischen versendet Elbrich die Taschen weltweit, die meisten in die USA, nach Spanien und England. „Der Kauf einer Tasche mit einem Aufdruck wie ‚I’m Not A Plastic bag‘ ist eine bewusste Entscheidung. Aber auch personalisierte Designs und botanische Prints sind begehrt.“
DER EWIGE KREIS
Falls du zu viele Jutebeutel besitzt, um sie oft genug zu tragen, dann wirf sie nicht einfach in den Hausmüll, sondern bringe sie in die Altkleidersammlung. So können die Taschen wiederverwendet oder recycelt werden und nachhaltig bleiben.
„Die Stofftasche bietet sich, ähnlich wie ein T-Shirt, ideal als Leinwand für Kunst an - nur, dass sie beim Tragen nicht verdeckt wird.“
Die Tote Bags des Mainzer Labels edition ij fallen vor allem durch ihre lustigen, meist zweideutigen Wortspiele auf. „Unser absoluter Bestseller ist die mittlerweile vielfach kopierte Jutetasche mit dem Schriftzug ,liberté égalité weinschorlé‘, aber auch die Nachfrage nach unserem Brustbeutel, einer Stofftasche mit zwei gezeichneten Brüsten als Aufdruck, hat uns förmlich überrannt. Dank der tollen Unterstützung konnten wir bereits mehrere Tausend Euro an den Verein Brustkrebs Deutschland e. V. spenden“, erklärt Teammitglied Jan Rode. Für ihn ist es genau diese Mischung aus Spaß und Ernsthaftigkeit, die das erfolgreiche Comeback des Jutebeutels ausmacht. „Die Stofftasche bietet sich, ähnlich wie ein T-Shirt, ideal als Leinwand für Kunst an, aber sie hat den großen Vorteil, dass sie beim Tragen nie verdeckt wird - eine super Voraussetzung, um sie mit Botschaften oder Motiven zu veredeln, die man mit möglichst vielen Menschen teilen möchte.“ Dass die Beutel umweltfreundlich sind, ist für Jan und seine Kollegen essenziell. „Wir möchten einen Beitrag für eine bessere Welt leisten. Umweltbewusstsein sollte eigentlich schon viel länger cool sein, aber es geht so langsam in die richtige Richtung! Wer auf Plastiktaschen verzichtet und seine Stofftasche lange trägt, hilft dabei.“
WIE ALLES BEGANN
Das englische Verb „to tote‟ heißt „tragen‟ und „toting‟ bedeutet so viel wie „seine Siebensachen in einem Beutel oder einer Tasche mitschleppen‟. Irgendwann wurde „tote“ zum Synonym für Tasche. Erfunden wurde der Stoffbeutel übrigens schon vor gut 80 Jahren von dem amerikanischen Unternehmer L.L. Bean, der Produkte für Outdoor- Aktivitäten herstellte. Der robuste Leinenbeutel mit den langen Henkeln diente amerikanischen Hausfrauen dazu, Tiefkühlprodukte vom Wagen ins Haus zu tragen. Bald wurde die Tasche auch für den Transport anderer Dinge benutzt, denn sie war stabil, praktisch und leicht. Plötzlich bekam Leinen, das bis dahin nur für industrielle Anwendungen verarbeitet wurde, einen neuen Verwendungszweck.
In den Fünfzigerund Sechzigerjahren entwickelte L.L. Bean den Beutel weiter: Die Henkel wurden andersfarbig und als Verstärkung nach unten um den Beutel herumgeführt. Diese Taschen gehören heute noch zum Sortiment der Marke.
Die US-amerikanische Modeschöpferin Bonnie Cashin entwarf in den Sechzigerjahren eine modischere Variante aus Leder, die vor allem bei der Flower-Power- Generation sehr beliebt war. Erst in den Achtzigerjahren wurde aus dem Jutebeutel auch ein politisches Statement. Das ist in gewisser Weise bis heute so geblieben. In den USA tragen zum Beispiel viele Leute die Tote Bags des Magazins The New Yorker, um zu demonstrieren, dass sie für freie Meinungsäußerung sind und bewusst Qualitätsjournalismus und Printmedien unterstützen. In den Straßen von Berlin bis München fallen vor allem außergewöhnlich designte Stofftaschen mit lockeren, feministischen Sprüchen oder anderen politischen Statements auf.
Das Revival ist auch einem positiven Idealismus zu verdanken, der den Hedonismus der Nuller- und Zehnerjahre ablöst
Viele Kunden von edition ij berichten, dass sie auf ihre Tasche samt Schriftzug angesprochen werden, erzählt Jan. „Wenn wegen unserer Beutel ein Gespräch entsteht, schaffen wir es, Bewusstsein für ein Thema zu erzeugen, das uns am Herzen liegt. Der Brustbeutel ist dafür ein gutes Beispiel. Das Motiv fällt vielen Menschen sofort auf und setzt den Fokus automatisch auf unseren Kampf gegen den Brustkrebs und die Frage, was man als Einzelner tun kann, um die Forschung zu unterstützen. So kann man beim Tragen gleich etwas Gutes tun.“
ZEITGEIST
Jan wie auch Designerin Elbrich erkennen in dem Revival der Tote Bag einen positiven Idealismus, der den Hedonismus der Nuller- und Zehnerjahre ablöst. Die Leute wollten mehr als nur eine Tasche. Sie suchen nach Lösungen und haben meistens hohe Ansprüche an ein Produkt, da sind sich beide einig - angefangen bei Funktionalität und Vielseitigkeit bis hin zum Engagement des Herstellers in sozialen und ökologischen Bereichen, die dem betreffenden Käufer wichtig sind. Diese Entwicklung zeichnete sich bereits seit Längerem mit der Rückkehr der traditionellen, praktischen und unverwüstlichen Rucksäcke ab, etwa von Fjällräven oder Herschel. Stofftaschen sind aus ähnlichen Gründen beliebt.
Mit verantwortlich für dieses fulminante Comeback ist übrigens die Amerikanerin Emily Sugihara. Aus purem Idealismus wollte sie schlichte, praktische, widerstandsfähige Tragetaschen herstellen, die aber auch einen modischen Touch haben sollten. Gemeinsam mit ihrer Mutter gründete sie 2007 in ihrem Zuhause in San Diego das Label Baggu.
Es war die Zeit, in der sogenannte It-Bags von Chanel oder Louis Vuitton nicht aufwendig und teuer genug sein konnten. Doch Emilys Stofftaschen waren von Anfang an heiß begehrt. Die Classic Tote Bag, mit der alles anfing, ist heute noch das meistverkaufte Modell. Das Unternehmen hat seinen Sitz inzwischen in San Francisco und beschäftigt rund fünfzig Mitarbeiter. Etwa zur gleichen Zeit machte ein britischer Supermarkt Einkaufstaschen aus Baumwolle wieder straßentauglich, indem er sie mit dem heute sehr bekannten Slogan „I’m Not A Plastic bag“ bedruckte. Die Originaltaschen werden heute auf Ebay für bis zu 200 Pfund gehandelt. „Als wir anfingen, sagten die Leute, denen wir unseren Plan präsentierten, dass wir bestimmt keinen Erfolg haben würden“, erzählt Emily in einem Online- Interview. „Aber in dem Moment, in dem wir unsere Taschen vorstellten, entwickelte sich gerade ein ökologisches Bewusstsein. Ich glaube, dass wir einfach sehr früh ein Gefühl angesprochen haben, das bereits in den Menschen schlummerte.“
WIEDERVERWENDEN
Doch wer glaubt, die Stofftasche sei per se nachhaltiger als zum Beispiel eine Plastiktüte, der irrt. Zwar geht in puncto Recyclingfähigkeit der Beutel aus Jute oder Baumwolle eindeutig als Sieger hervor. Als pflanzliches Produkt ist er schließlich zu 100 Prozent biologisch abbaubar, was ein wichtiger Vorteil gegenüber der Plastiktüte ist, die in vielen Teilen der Erde nicht recycelt wird und damit ein dauerhaftes Umweltproblem darstellt. Doch bei einer Studie fanden britische Forscher heraus: Je seltener ein Stoffbeutel verwendet wird, desto umweltschädlicher ist er am Ende. Denn der Anbau von Baumwolle etwa braucht extrem viel Wasser, Dünger und Pestizide. Zudem stammen rund zwei Drittel der Welternte mittlerweile von gentechnisch veränderten Pflanzen. Dadurch wird der CO ² -Fußabdruck im Vergleich zu einer einfach hergestellten Plastiktüte deutlich größer. Um in der Produktion ökologisch nachhaltiger zu sein als die Konkurrenz aus Polyethylen, muss ein Baumwollbeutel daher nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe zwischen 25- und 32-mal wiederverwendet werden. Das britische Umweltministerium berechnete sogar, dass der Baumwollbeutel die Plastiktüte in der Ökobilanz erst nach 131 Wiederverwendungen übertreffe. Helfen könnte dabei auch eine Idee, die gerade in vielen Bio-Supermärkten immer beliebter wird: Kunden, die zu viele Stoffbeutel zu Hause haben, können diese im Geschäft an einen Haken hängen. Sie werden dann gewaschen und wieder kostenlos an Kunden ausgegeben, die sie dann hoffentlich sehr oft mit sich tragen.
@notietzblock /@berta.gruen
NOCH MEHR TASCHEN SEHEN
baggingaround.etsy.com
shopstudiosaar.etsy.com
edition-ij.de
typealive.de