... Drittel ihres Gewichts verloren haben, satt fressen. Wie Bisons weiden sie auf dem Gras, das struppige Fell hängt an ihnen wie ein zu großer Mantel. Eigentlich sind Braunbären notorische Einzelgänger, die Artgenossen meiden. Doch in dieser Zeit führt der Hunger die Allesfresser auf den Wiesen und später, wenn die Lachse zum Laichen kommen, an den Flussläufen der Region zusammen.
Es gibt kaum einen besseren Platz, um ihr Sozialverhalten zu studieren, und genau das tut der Biologe und Bärenexperte Chris Morgan. Er wolle „ihr Privatleben unter die Lupe nehmen”, erklärt der gebürtige Brite zu Anfang der sehenswerten Doku „Bären wie wir” (s. TV-Tipp Seite 26).
Auf den Salzgraswiesen spielen sich angesichts der ungewöhnlich hohen Bärendichte viele kleine und große Dramen ab. Mütter müssen ihre Jungen vor hungrigen Männchen in Sicherheit bringen, angeberische Machos stolzieren im sogenannten Cowboygang breitbeinig umher und markieren ihr Revier, indem sie auf ihre Hinterpfoten urinieren und so großflächig Duftmarken übers Gelände verteilen, einsame Jungbären suchen Anschluss. Das Treiben erinnere ihn an eine Seifenoper, erklärt Chris Morgan. Der renommierte Bärenforscher, der selbst Filme über die faszinierenden Tiere gedreht hat, fungiert in der Doku als Moderator – und als eine Art Dolmetscher. Er versteht die Körpersprache der Grizzlys, die Geräusche, die sie machen, und interpretiert ihr Verhalten.
Pfefferspray und eine Lovestory
„Chris ist die emotionale Brücke zwischen Bär und Zuschauer”, sagt Annette Scheurich, eine der Autorinnen und Regisseurin des Films. „Er ist nicht nur Wissenschaftler. Er mag Bären, das spürt man.” Tatsächlich ist seine Begeisterung ansteckend, und seine Erklärungen, bei denen er gelegentlich Vergleiche zu unserem Verhalten zieht, sind besonders anschaulich – ohne die Grizzlys jemals zu vermenschlichen.
Chris Morgan hat Respekt vor den bis zu 680 Kilogramm schweren Bären, die eben keine Kuschelteddys, sondern wilde Raubtiere sind. Bei den Dreharbeiten, die sich über zwei Jahre erstreckten, war das sechsköpfige Team dann auch entsprechend vorsichtig. „Niemals allein gehen, immer als Gruppe zusammenbleiben, dann wirkt man größer. Sich nie den Bären nähern, eher darauf warten, dass sie auf dich zukommen”, fasst Annette Scheurich die Grundverhaltensregeln zusammen. Das Pfefferspray, das alle stets bei sich trugen, kam zum Glück nie zum Einsatz.
Brenzlig wurde es, als eine der schönsten Szenen entstand: das Werben eines Männchens um ein Weibchen, im Frühjahr beginnt die Paarungszeit. Er verfolgt sie, schnüffelt an den Stellen, an denen sie gesessen hat. Sie blickt über die Schulter, lässt ihn herankommen, um dann doch wieder wegzulaufen. „Ich habe das als große Lovestory erlebt”, erinnert sich Annette Scheurich. „Chris hat uns gewarnt: Wenn der Bär jetzt auf uns zukommt, riecht er nur noch Liebe, kann sein, dass er uns zu spät sieht und sehr verärgert reagiert.” Gerade noch rechtzeitig dreht der Casanova ab, um seiner Auserwählten den Weg zu einer Wiese voller ebenfalls interessierter Männchen abzuschneiden. Chris Morgans trockenes Fazit: „Ein Paar zu sein ist auch bei Bären kompliziert.”
SUSANNE KOHL
GEDULDIG
Warten auf die Lachse, die zum Laichen flussaufwärts ziehen
RAUFLUSTIG
Männchen messen im Kampf ihre Kräfte
VERSPIELT
Planschendes Jungtier im Katmai-Nationalpark
Chris Morgan, Bärenforscher und Moderator der Doku
„Bär ist nicht gleich Bär. Jeder ist einzigartig.”
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