... liegt vieles über Wesen und Eigenschaften des Baums im Dunkeln. Und auch um seine Zukunft scheint es derzeit düster bestellt.
Dürren, Großbrände, Stürme, Borkenkäferplage: Es wird gerade viel geredet über die Folgen der Klimakrise für die Wälder. Wie denkt Peter Wohlleben, Deutschlands bekanntester Förster und Bestsellerautor, darüber? „Im Moment malen etliche Menschen die Zukunft sehr schwarz“, sagt er im Gespräch mit HÖRZU. „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos – jeder von uns kann etwas tun.“
Der 55-Jährige fördert zum Beispiel in der Eifelgemeinde Wershofen den Aufbau alter Laubwälder (siehe Kasten unten). Denn obwohl sie wahre Klimaschützer sind, findet man alte Bäume hierzulande nur noch sehr selten – Wälder mit Buchen, die über 180 Jahre alt sind, haben nur noch einen Anteil von 0,16 Prozent an der Landfläche Deutschlands. HÖRZU startet deshalb eine große Aktion, mit der das Buchen-Urwaldprojekt von Peter Wohlleben unterstützt werden soll (siehe auch Seite 11).
Wohlleben sieht etwas in Bäumen, das andere nicht sehen. Die Kinoproduktion, die am 23. Januar startet, versucht, dem Zuschauer diese verborgene Welt näherzubringen. Eineinhalb Jahre haben die Filmemacher den Naturschützer begleitet und beobachtet, bei der Arbeit im Forst von Wershofen, bei Vorträgen an seiner Waldakademie, bei Waldspaziergängen mit Kindern, auf Demonstrationen im Hambacher Forst und auf Reisen, etwa zu dem fast 10.000 Jahre alten Old Tjikko in Schweden, dem ältesten Baum der Welt. Sie zeigen das Leben des Waldkenners und adaptieren zugleich dessen Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ in faszinierenden Naturbildern. Ein erhellender Film, der auch nachdenklich stimmt.
Die Waldaufnahmen stammen von dem renommierten Naturfilmer Jan Haft. Mithilfe von Makro und Zeitraffer zeigt er, wie aus Knospen Blätter und Blüten werden, wie Fliegenpilze geradezu explodieren, Farne aufgehen, Raupen an Blättern knabbern, Borkenkäfer sich in Baumrinden bohren – das Werden und Vergehen, dargestellt als Wunder der Natur.
LIEBE LESER, helfen Sie mit, alten Buchenwald zu schützen.“
Unser Urwaldprojekt in Wershofen in der Eifel sorgt dafür, dass nach und nach alte Buchenwälder entstehen, in denen über viele Jahre kein Holz genutzt wird. Denn alte Bäume und Totholz leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz: So werden mindestens 70 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter dauerhaft gespeichert. Wer möchte, dass dieser Wald weiter wächst, kann für vier Euro pro Quadratmeter eine Schutzfläche für die nächsten 50 Jahre pachten.
PETER WOHLLEBEN, FÖRSTER UND AUTOR
KLEINOD Alte, durch den Wind bizarr verformte Bäume, hauptsächlich Buchen, prägen den Märchenwald an der Nordküste von Rügen
VERHEERENDER BRAND
Der Film dokumentiert auch die Wunden: Wohlleben und der Biologe Prof. Pierre Ibisch von der Hochschule Eberswalde besuchen das 2018 durch einen verheerenden Brand zerstörte Gebiet bei Treuenbrietzen in Brandenburg. Sie sehen: Überall dort, wo die verkohlten Stämme noch stehen, entwickelt sich von ganz allein neuer Wald. Dort, wo für viel GELD gerodet und alles umgepflügt wurde, sind wieder Kiefern angepflanzt worden. Ausgerechnet jene Nadelbäume also, die hierzulande Waldbrände und Borkenkäferplage nicht so gut aushalten wie die heimischen Laubbäume. „Schon jetzt, ein Jahr nach den Dreharbeiten, sind bereits 60 Prozent dieser Kiefern vertrocknet“, sagt Wohlleben im Interview.
ARBEITSTIER Ein Kaltblüter bei der Holzernte ist für den Waldboden besser als Maschinen
»Wir brauchen endlich mehr als 2 PROZENT SCHUTZGEBIETE.“
PETER WOHLLEBEN Förster und Autor
Fragt man den Förster, wie es dem Wald wirklich geht, sagt er: „Dem echten Wald geht es gut.“ Er meint damit „alte Reservate, in denen das System intakt ist. Dort haben die heißen Sommer keine Schäden verursacht.“ Der Grund: Die Bäume kühlen sich gemeinsam herunter, helfen schwachen Exemplaren, nicht abzusterben. „Doch von diesen stabilen Ökosystemen gibt es zu wenig“, so Wohlleben. „Was wir hierzulande finden, sind vor allem hoch technisierte Baumbetriebe und ‚aufgeräumte‘ Wälder.“ Ließe man der Natur freien Lauf, bestünde unser Wald zu 98 Prozent aus Laub- und nur zu zwei Prozent aus Nadelbäumen. Tatsächlich ist laut Schutzgemeinschaft Deutscher Wald mehr als jeder zweite Baum eine Lärche, Kiefer oder Fichte. Diese Arten kommen aus Skandinavien oder den Gebirgen. Weil es ihnen hier zu warm und trocken ist, sind sie anfällig für Krankheiten, Brände und Stürme.
STARKE VERBÜNDETE
Angesichts derart massiver Schäden versprach Bundesagrarministerin Julia Klöckner auf dem Nationalen Waldgipfel im September vergangenen Jahres Nothilfe: 800 Millionen Euro. Damit sollen Schadensflächen von über 180.000 Hektar, das entspricht mehr als 250.000 Fußballfeldern, wieder aufgeforstet und der Wald „klimaangepasst“ umgebaut werden.
Doch Wohlleben wünscht sich einen Wald ganz ohne menschliche Eingriffe. So fordert er, zusammen mit 70 Wissenschaftlern und Experten, in einem offenen Brief an die Bundesministerin „eine radikale Hinwendung zu einem Management, das den Wald als Ökosystem und nicht mehr länger als Holzfabrik behandelt“. Der Förster setzt auf heimische Laubbäume. „Sie sind nicht so fragil und produzieren keine Kahlschläge. Zudem sind sie unsere stärksten Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel.“ Alter Laubwald kühlt sich bis zu 8 Grad Celsius stärker herunter als eine Kiefernplantage.
MONOKULTUR Fichten und Kiefern sind die „Brotbäume“ der deutschen Forstwirtschaft
In der Eifel fördert er die Selbstregulierung des Waldes. Wo etwas stirbt, wächst anderes nach. Kritiker von einst sind heute stumm, weil der naturnahe Forst so viel Ertrag abwirft. Langzeitökologie sei Langzeitökonomie, so lautet Wohllebens Bilanz. „Wir sollten begreifen, dass der Wald unser grünes Zuhause ist. Dann ergibt sich der Rest von allein“, sagt er. Denn: „Wer verwüstet schon sein Wohnzimmer?“
Längst ist wissenschaftlich belegt, dass Bäume im Wald nicht einfach nur herumstehen. Vielmehr bilden sie eine Gemeinschaft, die lebt und kommuniziert wie soziale Wesen, die ihre Nahrung teilen, sich um den Nachwuchs und um die Alten kümmern und einander über Duftstoffe vor den Gefahren durch Schädlinge oder Wetterkapriolen warnen. Auch haben Wissenschaftler inzwischen bewiesen: Ein
Baum kann Schmerzen empfinden. Weiterhin fanden Forscher mithilfe von Laserscans im Infrarotbereich heraus, dass Bäume in der Nacht ihre Äste hängen lassen und in sich zusammensinken. Zwar ist diese Veränderung nicht extrem, aber immerhin soll dieser Effekt bei einem Baum mit einer Höhe von fünf Metern bis zu zehn Zentimeter ausmachen.
So endet der Kinofilm, wie er begonnen hat: mit dem Blick auf den knorrigen Baum unter dem Sternenhimmel, der starr und schlafend wirkt. Doch es bleibt nicht dunkel. Das Sonnenlicht kommt zurück. Der Tag beginnt. Und der Baum erwacht zu neuem Leben.
FOTOS: S. 8-9: KILIAN SCHÖNBERGER (GR.), BOTHOR/CONSTANTIN FILM; S. 10-11: MAURITIUS IMAGES, JAENICKE/LAIF, VITTING/IMAGO, GETTY IMAGES