... entkommen ist und sich nun in perfekter 3-D-Animation durch Paris bewegt: durch brutalistische Großsiedlungen der Banlieue aus den 1970er-Jahren und trubelige Einkaufsstraßen, in denen Importwaren aus den ehemaligen Kolonien zwischen Reisebüros und Restaurants angeboten werden. Der Alligator lebt tatsächlich in dem Palast, der 1931 für die Pariser Kolonialausstellung errichtet wurde, ein Überbleibsel aus anderen Zeiten, die doch noch gar nicht so lange her sind.
Die Aneignung des Fremden in der eigenen Kultur, der Blick auf das Andere aus der eigenen Perspektive und die ständigen Widersprüche und Verstrickungen, die sich zwischen diesen beiden Polen bilden, sind Themen, denen sich die 1983 in Bonn geborene Weber immer wieder aussetzt. Die Architektur spielt dabei stets eine wesentliche Rolle. Ausgehend von einer persönlichen Sichtweise, behandelt sie universelleFragen: Wie umgehen mit dem kolonialen Erbe, mit der europäischen Migrationsgeschichte, dem Import und Export von Kultur? Welche Rolle spielt der Einzelne in diesem Gefüge, wie verweben sich persönliche Biografien mit dem politischen Weltgeschehen? In der Videoarbeit „Capensis“ (2018) begleitete sie die Südafrikanerin Mia Boysen, die seit vielen Jahren in Deutschland lebt, bei einer Reise zurück in ihre Heimat. Dabei entspinnt sich ein Dialog über Zugehörigkeit, Migration und die komplexe Vergangenheit Südafrikas. Die Landschaft der Kapregion, die sich unter extremen äußeren Bedingungen abgegrenzt vom restlichen Kontinent zu einem geschlossenen Ökosystem entwickelt hat, spielt eine metaphorische zweite Hauptrolle.
Nico Joana WEBER
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1. und 2. „Capensis“, 2018, Filmstill; 3. „Water House, Lagos“, 2018, aus dem Werkkomplex „Hybrid Moments“; 4. „Sultan Bello Hall, University of Ibadan“, 2018, aus dem Werkkomplex „Hybrid Moments“; 5. und 6. „Tropic Telecom“, 2020; 7. „Faculty of Arts, University of Ibadan“, 2018, aus dem Werkkomplex „Hybrid Moments“
Aktuell arbeitet Nico Joana Weber, die am Goldsmiths College in London und an der Kunsthochschule für Medien in Köln studiert hat, an einem Film für die Chennai Photo Biennale 2021. Hierfür reiste sie nach Nigeria, wo sie in Lagos die gebauten Spuren der britischen und portugiesischen Kolonialisierung verfolgte. Die Arbeit stellt modernistische Gebäude britischer Architekten neben die sogenannten Brazilian Houses, von Nachfahren aus Brasilien zurückgekehrter Sklaven in einem ganz eigenen hybriden Stil gebaute Wohnhäuser. „Mir geht es darum, das Fremde zu zeigen, ohne alles verstehen und deuten zu wollen“, sagt Weber und ist sich dabei sehr bewusst, dass der Blick immer ein voreingenommener ist, egal wer schaut oder spricht.
Bonner Kunstpreis 2019: NICO JOANA WEBER „Tropic Telecom“, Kunstmuseum Bonn, bis 15. November
Fotos: privat. © Nico Joana Weber, VG Bild-Kunst, Bonn 2020 (7)