Das Bein wie ein Haken Als Jemma im Juli 2012 zur Welt kommt, erleben die Eltern einen Schock: Ihr rechtes Bein ist vollkommen deformiert und hat die Form eines Hakens. An ihren kleinen Händchen hat das Mädchen außerdem nur jeweils drei Finger. Obwohl die Möglichkeit besteht, ihr Bein in unzähligen schmerzhaften Operationen mit Schrauben, Metall und Schienen zu zu verlängern, fällen ihre Eltern nach neun Monaten die schwierige Entscheidung, Jemmas Bein zu amputieren.
Sport ist ihre Leidenschaft
Heute, sechs Jahre später, merkt man der kleinen Jemma nichts mehr von den Strapazen ihrer ersten Lebensjahre an. Mit ihrer Prothese, mit der sie kurz nach ihrer Operation auch das Laufen lernte, ist sie heute genauso aktiv unterwegs wie Kinder, die beide Beine haben: „Alles, was mit Rennen zu tun hat, interessiert sie sehr“, erzählt ihre Mutter Tamara. Und so tanzt die kleine Jemma unter anderem Ballett und als Cheerleaderin, schlägt beim Turnen Räder, macht Saltos ins Schwimmbecken und spielt mit anderen Kindern Softball. Der sportliche Ehrgeiz der Texanerin spiegelt sich auch in ihrem Berufswunsch wider: Denn wenn sie groß ist, möchte Jemma professionelle Cheerleaderin werden oder als Sportlerin an den paralympischen Spielen teilnehmen.
Mit ihrem positiven und ausgelassenen Wesen ist Jemma für viele jetzt schon eine Ins piration. „Durch sie weiß ich, dass selbst Dinge, die unmöglich sind, nur einen Sprung entfernt sind“, sagt Tamara. „Ich bin unheimlich stolz auf alles, was sie bisher erreicht hat.“
Jemma (7):„Am liebsten möchte ich Cheerleaderin werden“
Jemmas Mutter Tamara ermutigte sie schon früh, Sport zu treiben
Die 7-Jährige liebt die Herausforderung und probiert ständig neue Sportarten aus
Im Sommer 2018 nahm Jemma an den „Angel City“-Spielen für behinderte Menschen teil
Tilly (13):„Ich will nicht verstecken, dass ich keine Hände habe, sondern einfach ich selbst sein“
Tilly liebt ihre bionischen Hände, die sie funktional und einfach cool findet
Die Ärzte räumten Tilly Lockey kaum eine Überlebenschance ein, als sie mit nur einem Jahr ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Das kleine Mädchen litt an einer aggressiven Meningokokken-Infektion – um ihr Leben zu retten, mussten schließlich Tillys Hände amputiert werden. Damals schon versprach ihre Mama: Eines Tages bekommst du neue Hände!
Zunächst waren sie nur aus Plastik und völlig unbeweglich. Mit drei Jahren bekam Tilly schließlich elektrische Prothesen. Hände aus Silikon, die nach den Gliedmaßen ihrer älteren Schwester modelliert waren. So richtig zufrieden machten sie Tilly aber nicht: „Sie haben sich nur geöffnet und geschlossen. Es gab keine anderen Griffe.“
Nicht verstecken Die hautfarbenen Prothesen hatten einen Vorteil: „Ich habe mich ganz normal gefühlt und fiel nicht auf“, sagt die Britin. Aber je älter Tilly wurde, desto mehr wuchs ihr Selbstbewusstsein. Ihr wurde klar, dass es nicht schlimm ist, anders zu sein. „Ich will auffallen. Denn ich will nicht verstecken, dass ich keine Hände habe, sondern einfach ich selbst sein.“ Dabei helfen ihr seit einem Jahr die bionischen „Hero Arm“-Prothesen. Sie haben viel mehr Grifffunktionen als herkömmliche Modelle und sind dabei deutlich erschwinglicher, weil sie aus dem 3-D-Drucker stammen.
Echte Heldin Mit ihren neuen bionischen Händen fühlt sich die 13-Jährige wie eine echte Superheldin. Tilly kann sogar intuitiv Gesten mit ihren Fingern machen – wie etwa das „Okay“-Zeichen oder die gespreizten „Peace“- Finger. „Ich liebe das, denn ich spüre all meine Finger noch, obwohl sie nicht da sind.“ Anfang des Jahres bekam Tilly zum Kino-Start des Films „Alita: Battle Angel“, in dem eine bionische Heldin die Hauptrolle spielt, coole „Hero Arm“-Prothesen im Comic-Look geschenkt. Ihr größter Traum: Model werden und aus ihren Robo-Händen einen Fashion-Trend machen.
Tilly (M.) und ihre Eltern Sarah (39) und Adam (39) Lockey
Vor einem Jahr traf das tapfere Mädchen sogar den Dalai Lama (83)
Infos und Fakten
Ersatzteillager für den menschlichen Körper
Schon seit Tausenden von Jahren verbessern Prothesen die Lebenswelt von körperlich eingeschränkten Menschen. Moderne Varianten sind wahre Wunder der Technik.
•Anfänge Schon im alten Ägypten gab es Prothesen. Bei einer Mumie, die aus dem Jahr 600 v. Chr. stammt, wurde eine funktionsfähige Zehenprothese gefunden. Aus dem Mittelalter sind Beinprothesen und „Eiserne Hände“ bekannt – berühmter Träger einer eisernen Hand war Ritter Götz von Berlichingen (1480 – 1562).
•Statistik Heutzutage werden in Deutschland pro Jahr schätzungsweise 60 000 bis 80 000 Amputationen durchgeführt. Ein großer Teil davon ist nicht auf Unfälle, sondern auf Durchblutungsstörungen, z. B. ausgelöst durch Diabetes, zurückzuführen. Prothesen werden in der Regel individuell auf den Patienten zugeschnitten. Dabei wird z. B. auch der Beruf oder Lebensstil berücksichtigt: Ein Angestellter im Büro hat andere Ansprüche an eine Unterschenkelprothese als jemand, der trotz Amputation Leistungssport betreiben möchte. Prothesen, die möglichst unauffällig wirken sollen, werden meist aus PVC oder Silikon hergestellt.
Dank Mikrochip- Technologie sind moderne Prothesen so sensibel wie z. B. echte Finger
•Moderne Technik Mikroprozessorgesteuerte Modelle können dem Patienten schon heute viel Funktionalität zurückgeben: Etwa durch Handprothesen, die komplexe Griffe ausführen können. Auch bei Implantaten (Prothesen im Inneren des Körpers) gibt es große medizinische Fortschritte. Aktuell wird vor allem an „Tissue Engineering“ geforscht. Dabei werden fehlende Organe aus echtem Gewebe im Labor gezüchtet. Herzklappen, Haut oder ganze Sinnesorgane sollen so hergestellt werden.
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