... mich auf Studientrips für kaum lesbare Inschriften auf zerbrochenen Tonkrügen zumindest zu erwärmen. Nein, Latein fand ich immer ziemlich öde. Griechisch konnte ich zum Glück geschickt umschiffen. Und nun knie ich hier, in 25 Metern Tiefe, auf dem Meeresgrund im Sand und tue genau das: Ich sehe mir Tonkrüge an. Wo mein mal mehr, meist aber weniger geduldiger Pater Benedikt, ja, Klosterschule, in acht für mich nicht gerade rühmlichen Jahren kläglich scheiterte, setzt Tony Larcombe, Manager der Tauchbasis Ikion Diving, mühelos eine mir bisher völlig unbekannte Begeisterung frei. Potius sero quam numquam – lieber spät als nie ...
Antike, zum Teil extrem gut erhaltene Schiffswracks römischer und griechischer Abstammung sowie deren Inhalte verteilen sich um Skiathos und Alonissos, zwei wahre Inselperlen der Nördlichen Sporaden im Nordwesten der Ägäis. „Das älteste Wrack ist etwa 2400 Jahre alt”, sagt Tony. „Um die 20 sind es insgesamt, die hier in den Gewässern verstreut sind.” Entdeckt wurden die meisten vom Autor und Abenteurer Dr. Kostas Mavrikis, der in seinem Buch „These Scattered Isles” in fast schon kitschigem Blauwasser-Blues von der Faszination dieser Unterwasserwelt „dieser verstreuten Inseln”, schwelgt. Und das zu Recht.
UNTERWASSER-PARADIES
Das Gebiet gilt unter Kennern als eine der besten Tauchgegenden Europas mit angenehmen Temperaturen um die 22 bis 26 Grad Celsius, die lediglich unterhalb einer Sprungschicht auf etwa 22 Metern um ein paar Grad sinken. Frisch ist es da unten, aber davon kriege ich nichts mit. Mystische Grotten, steile Wände, emsige Fischschwärme, riesige Zackenbarsche, winzige Wirbellose in allen Farben des Regenbogens wie die entzückende Wander-Fadenschnecke oder die göttlich schöne, aber seltene Orange Godiva sowie weite Seegraswiesen, aus denen hier und da besagte, meist vollkommen intakte Tonkrüge ragen, lenken so gnadenlos ab wie der Versuch, die Inschriften zu entziffern. Ich kann es nicht, was an meinem Unvermögen, garantiert aber nicht an der Sicht liegt. 30 bis 40 Meter und mehr sind hier locker drin.
Eines der kleinen Geschäfte auf Skiathos in denen es Kleidung, Schuhe, Taschen und Souvenirs aus lokaler Produktion gibt.
Die Schönheit der Inseln im Wasser wie an Land mit ihrem Überschuss an sattem Grün, schroffen Felsen, weiten Buchten und kurvenreichen Straßen, die von pinkblühendem Oleander und im typisch griechischen Blau-Weiß getünchten Häuschen gesäumt werden, diese Schönheit war es, die Tony vor zehn Jahren vom grauen London hierherzog. Eigentlich nur zum Urlaub, doch er blieb. „Ich kenne keine andere Tauchregion, die so großes Potenzial hat, wie Skiathos und Alonissos”, sagt er. „Überall findet man hier archäologische Schätze, die noch kaum erkundet sind.”
Erst 2016 gab die griechische Regierung das Gebiet als Unterwassermuseum frei und wies vier Stätten offiziell als Tauchspots aus. Tony und sein Team wagen aber kaum zu hoffen, dass es noch mehr werden. Zu groß ist die Angst der Regierung vor Plünderern, machten sich doch bereits vor Jahren österreichische Taucher an den Wracks zu schaffen. So erzählt man sich jedenfalls auf den Inseln, die ein bisschen wirken, als wäre die Zeit stehen geblieben. Landwirtschaft und Fischerei sind noch immer die Haupteinnahmequellen der Locals neben dem Tourismus, der jedoch nur langsam an Fahrt aufnimmt. „Den Tauchtourimus als Verdienstmöglichkeit, den hat hier noch kaum jemand auf der Uhr”, so Tony. „Deshalb gibt es auch immer wieder Streit zwischen Fischern, die sich um ihr Einkommen gebracht sehen, wenn Gebiete unter Schutz gestellt werden, und Meeresschützern, die unermüdlich um eben diese Schutzgebiete kämpfen.” Und das nicht nur wegen der antiken Schätze ...
Braune Zackenbarsche (oben) sind hier nicht so selten wie im übrigen Mittelmeer. Auch Schriftbarsche (links) trifft man oft in diesen Gewässern.
Rote Seesterne suchen auf einer Amphore nach Nahrung.
Vor allem der Marine Nationalpark um Alonissos, der 1992 als erstes Meeresschutzgebiet Griechenlands ausgewiesen wurde, gilt als ökologisches Paradies. Und das nicht nur für Taucher. Ingesamt neun bedrohte Säuger ziehen hier regelmäßig ihre Bahnen: von als gefährdet eingestuften Pott- und Finnwalen, Cuvier-Schnabelwalen, Gemeinen Delfinen, Blau-Weiß- und Rundkopfdelfinen sowie Großen Tümmlern und Schweinswalen bis hin zum vom Aussterben akut bedrohtenMonachus monachus , der Mittelmeer-Mönchsrobbe. Eines der seltensten Säugetiere der Erde. Aktuellen Schätzungen zufolge gibt es weltweit nur noch um die 600 Tiere, von denen etwa 400 in europäischen Gewässern, davon wiederum 350 allein im hiesigen Nationalpark leben. Mehr noch: Alonissos und die benachbarten, kaum oder gar nicht besiedelten Mini-Eilande wie Peristera und Piperi, die besonders stark geschützt werden, bilden eines von weltweit nur drei bekannten Brutgebieten der Säuger. Abgeschirmt vom Massentourimus, den man auf vielen griechischen Inseln findet, sind die Sporaden noch nahezu unberührt, die vielen Höhlen an Land bieten sicheren Schutz für die Tiere, die weiten Strände laden zum entspannten Sonnenbad.
ÖKOLOGISCH KORREKT
„Diese unberührte Vielfalt sowohl an terrestrischer als auch an maritimer Flora und Fauna, das ist es, was Skiathos und Alonissos so besonders macht”, sagt Tony. „Und die muss geschützt werden.” Regelmäßig bietet er deshalb den PADI-Project-Aware-Spezialtauchgang „Diving Against Debris” – „Tauchen gegen den Müll” – an. „Pro zehn Kilo gesammelter Abfälle gibt es als Belohnung einen Tauchgang umsonst”, sagt er. Denn obwohl die Strände und Gewässer sehr sauber erscheinen, verenden auch hier Tiere in Fischernetzen. Vor allem Säugetiere, und allen voran ausgerechnet die Mittelmeer-Mönchsrobbe. Grund genug, ein Rettungs- und Rehabilitationszentrum für die Tiere zu eröffnen, das von der auf Alonissos ansässigen Non-Profit-Organsition „Hellenic Society for the Study and Protection of the Monk Seal”, kurz MOm, betrieben wird. Hier werden kranke oder verletzte Tiere und Babys, die im Winter oft von der rauen See aus ihren Höhlen gespült werden, von Veterinären und Biologen großgezogen und wieder ins Meer entlassen, sobald sie fit genug sind.
Mit einer neu entdeckten – und niemals für möglich gehaltenen – Begeisterung und einer Mönchsrobbe im Gepäck mache ich mich auf den Heimweg. Okay, nicht wirklich. Aber ich habe adoptiert. Im MOm-Info-Zentrum bin ich Patin eines Mönchsrobbenbabys geworden. Normalerweise bin ich für so etwas eher nicht zu haben, was weiß ich, was die mit den Spenden machen. Hier aber habe ich ein gutes Gefühl, denn es geht nicht um Kommerz, der von Skiathos und Alonissos noch weit entfernt ist, sondern um eine kleine Welt, ein unberührtes Paradies, das es zu konservieren gilt, wie das Meer es mit den Schiffen getan hat.
Der Lalaria-Strand im Nordosten von Skiathos zählt zu den schönsten Stränden Griechenlands.