... ich 56 Jahre alt. Verfüge also über rund ein halbes Jahrhundert Weihnachtserinnerungen. Das hat in meinem Fall zu einer grundsoliden Distanz zum „Fest der Liebe“ geführt. Meine ausgeprägte Ambivalenz hat aber noch einen anderen Grund. Ich stamme sowohl faktisch als auch religiös aus einer Patchworkfamilie. Für meine Eltern war es nicht leicht, sich überhaupt für eine Religion – und damit für das Zelebrieren der entsprechenden Feste – zu entscheiden. Mein Großvater väterlicherseits war kroatischer Jude und ein Großneffe des Zionismusbegründers Theodor Herzl. Mein Großvater mütterlicherseits kam aus Ägypten und war Muslim. Die Mutter meines Vaters hatte sich als junge Frau den Anthroposophen angeschlossen und war zeit ihres Lebens glühende Rudolf-Steiner-Verehrerin. Die Mutter meiner Mutter entstammte einer sozialistischen Arbeiterfamilie, die an den Sieg der Sozialdemokratie glaubte, aber nicht an den lieben Gott. Zu dieser sehr ungewöhnlichen familiären Mischung kommt noch die Tatsache, dass ich ein Scheidungskind bin. Und zwar mit allem, was dazugehört – jeweils neuen Partnern der Eltern, Halbgeschwistern und dem ewigen Ringen um die Frage: Wie feiern wir Weihnachten?
Wir haben es in allen nur denkbaren Varianten versucht: als kleine Kernfamilie, als erweiterte Großfamilie, mit Großeltern und ohne. Mit vielen Freunden oder nur mit jenen, die sonst einsam und allein gewesen wären an Heiligabend. Irgendwie ging immer etwas schief. Das Essen oder die Geschenke und am häufigsten die Stimmung. Viel zu überladen mit der Erwartung einer harmonischen Welt waren wir in Wahrheit überfordert. Auch mit den Schuldzuweisungen, wer denn nun Verantwortung für das regelmäßige Desaster trug.
Als ich meinen Mann kennenlernte und wir selbst unsere kleine Familie gründeten, beschlossen wir schon vor dem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest, dass der Heilige Abend nur uns allein gehört. Uns war es egal, was der Rest der Familie davon hielt. Wir ließen uns nicht unter Druck setzen. Was hatten wir all die Jahre für friedliche und harmonische Tage. Was mich immer wieder zu dem Schluss kommen lässt, dass Weihnachten vor allem das Fest der Klarheit sein sollte. Das Fest der Selbstbestimmung und der Aufrichtigkeit. Und nicht das der moralinsauren Schuldgefühle oder gar der Verlogenheit.
Und wenn wir es so betrachten, dann können diese drei Tage am Ende wirklich das „Fest der Liebe“ werden …
*In „Die Kraft liegt in mir“ (btb) schrieb sie unter anderem über den Tod ihres Mannes, den Regisseur Helmut Dietl
FOTO: DAGMAR MORATH