... definitiv.
Wie sehr würde dein zehnjähriges Ich ausflippen, wenn es wüsste, du spielst mal die Hauptrolle in einer Serie?
Das würde nicht ausflippen, es würde sich beruhigen. Ich hatte schon immer einen großen Tatendrang und wollte gern vor die Kamera und in die Öffentlichkeit. Mir war immer klar, dass das auch mit Glück, aber auch mit Können und mit Arbeit zu tun hat. Wenn ich jetzt sehe, dass das geklappt hat, denke ich: Ich habe wirklich keinen Grund zu jammern.
SIE IST UNSERE FRAU DES MONATS, WEIL ... ... sie den Mut hat, groß zu denken, und unbeirrt ihren Weg geht
Du wolltest auch Musical-Darstellerin werden, hast aber gar nicht gesungen und getanzt. Um was ging es dir?
Ich fand es super, auf der Bühne zu stehen. Ich wollte gerne kreativ sein und dabei von Leuten angestarrt werden. Aber es ist schon besser, dass ich keine Musical-Darstellerin geworden bin.
Dafür spielst du jetzt in einer sehr witzigen Serie.
Das freut mich, dass du das sagst. Witz lässt sich ja gar nicht so leicht transportieren. Das war auch am Set meine Baustelle, da habe ich mich immer sehr eingemischt in die Witzigkeit und dachte: Das lass uns bitte mal anders probieren.
Wie ist das für dich, für andere junge Frauen eine Vorbildrolle zu haben?
An manchen Tagen habe ich einen guten Abstand dazu. Ich sehe ja, welche anderen Frauentypen es noch gibt und dass ich eine hilfreiche Ergänzung sein kann. Aber es gibt Tage, da verstehe ich dieses Fremdbild nicht und denke: Ich habe vergessen, Milch einzukaufen und nerve mich selbst. Da finde ich so was dann peinlich berührend. Mein ganzer Job besteht aus Bauchpinselei. Heute wurde ich geschminkt und fotografiert, und jetzt werde ich ausgefragt, weil meine Ansichten scheinbar spannend genug sind. Da muss ich nicht auch noch nach Feierabend auf Instagram gesagt bekommen, dass ich toll bin.
Du wirst da oft gefragt, wie du so cool geworden bist.
Das Label „cool“ freut mich. „Cool sein“ finde ich ein spannendes Phänomen, gerade weil es Frauen selten zugeschrieben wird. Ich bin gerne cool, weil es bedeutet, man lässt die Welt nicht nah an sich heran und man tut so, als sei einem die Welt eigentlich egal. Und das ist ein sehr guter Schutz.
„ICH HABE WAHNSINNIG FRÜH GE- LERNT, DASS MÄNNER CREEPY SEIN KÖNNEN. IN CHATROOMS WAREN AUCH IMMER PÄDOPHILE“
Wovor möchtest du dich schützen, indem du die Welt von dir fernhältst?
Ach, davor, wovor sich ja am Ende alle schützen wollen: Verletzungen, Ängste aus der Kindheit, die bestätigt werden, vor diesem Moment, wo man merkt, dass einem der Rock in der Strumpfhose klemmt. Leben, halt.
Wie hat es dich geprägt, mit dem Internet groß geworden zu sein?
Ich habe wahnsinnig früh gelernt, dass Männer creepy sein können. Ich weiß gar nicht, ob das wirklich ein offenes Geheimnis war, dass in diesen Chatrooms für Zwölfjährige immer auch Pädophile unterwegs waren. Meine Generation ist die erste, die im digitalen und nicht im analogen Raum gelernt hat, dass man sich von manchen Männern fernhalten muss. Das hat mich mit Sicherheit auch abgehärtet.
Abgehärtet oder traumatisiert?
Das kann ja Hand in Hand gehen.
Wie hast du die Anonymität erlebt?
Meiner Erfahrung nach haben wir eher ganz angestrengt die Abwesenheit von Anonymität gesucht. Das waren verzweifelte Versuche gesehen zu werden.
Es gibt diese Datenschutz-Angst: lieber nicht verraten zu wollen, wo du wohnst und wie du wirklich heißt. Aber ich habe das Gefühl, es gibt eine viel intimere Ebene von Informationen, die man so über sich ins Internet geballert hat. Ich hatte einen tmblr-Blog. Wer den gefunden hat, wusste von irgendeinem 14-jährigen Teenager alles, was man eigentlich höchstens Therapeuten erzählen sollte.
Es gab kein Verständnis dafür, dass das vielleicht nicht der Ort ist, um das mitzuteilen. Wenn man keinen Klarnamen angibt, hat man ja auch die Möglichkeit, sich ganz anders darzustellen.
Ich habe vor Kurzem festgestellt, dass ich privat Social Media gar nicht nutze.
Für mich ist das Teil meines Jobs. Erst vor einem halben Jahr habe ich die „Enge Freunde“-Funktion auf Instagram entdeckt und nutze das jetzt so, wie man das normalerweise auf einem privaten kleinen Account macht. Einfach lustigen Kram zu teilen, der nichts aussagen oder beweisen will – und merke: Es macht total Spaß. Da habe ich wieder geschnallt, was auch das Schöne an Social Media sein kann.
Am 24. Juni startet „Quelle: Internet“, dein neuer Podcast. Was kannst du übers Internet erzählen, was Menschen noch nicht wissen?
Erst mal ist das Internet der nervigste Ort aller Zeiten und ich bin trotzdem ständig drin. Der Podcast will Geschichten zu Ende denken oder erzählen. Meist läuft es ja so: Es gibt einen Hashtag, jeder hat eine schnelle Meinung; am zweiten Tag machen alle Satiriker, inklusive mir, dazu auf Twitter Witze, und am dritten Tag kommt noch mal ein kleiner Twist, weil jemand sagt: „Aber habt ihr schon mal gedacht, dass ...?“ Und dann ist das Thema durch.
Das finde ich unbefriedigend.
Während wir sprechen, trendet gerade der Hashtag #joyceilg, weil die Schauspielerin Joyce Ilg einen Witz über K.o.-Tropfen gemacht hat. Wenn das Heft mit unserem Interview in den Handel kommt, ist das vielleicht schon wieder vergessen. Macht das Internet Dinge größer, als sie sein sollten?
Eigentlich geht es ja um die großen Themen hinter den kleinen Geschichten. In dem Fall geht es um die Frage: Was darf Humor? Aber auch: Was darf Empörung? Ich finde nämlich auch, dass sich in letzter Zeit die Meinung eingeschlichen hat: Darüber darf man keine Witze machen. Doch, darf man natürlich. Das ist sonst eine ganz gefährliche Route, die man da einschlägt.
Ziehst du eine Grenze bei Satire?
Auch wenn es zu Tode zitiert ist: Natürlich darf Satire alles. Aber die Frage ist doch: Warum sollte ich alles machen?
Ich mache aus Gründen des guten Geschmacks wahnsinnig viel nicht. Ich würde immer für Kunstfreiheit argumentieren. Aber man muss auch sagen dürfen: Wenn jemand Witze über Vergewaltigung macht, dann findet der Vergewaltigung nicht so schlimm. Ich habe auch schon aus Versehen wirklich geschmacklose, schlechte Witze gemacht, aber ich habe mir dann immer angehört, warum die geschmacklos und schlecht waren, und bin dadurch eine bessere Satirikerin geworden. Oder einfach ein angenehmerer Mensch.
„ICH HABE ERLEBT, WIE MÜRBE ES MACHT, WENN LEUTE BOCK HABEN EINEN SCHEISSE ZU FINDEN“
Du hast mal gesagt, du seist sanftmütiger geworden, seitdem du in der Öffentlichkeit stehst. Wieso?
Ich habe erlebt, wie mürbe es macht, für alles beurteilt und bewertet zu werden.
Oder wie es ist, wenn Leute Bock haben, einen scheiße zu finden, und alles, was man macht, irgendwie so drehen, damit sie einen scheiße finden dürfen.
Diese Erfahrung hat mich sanfter gemacht in der Beurteilung von anderen Leuten in der Öffentlichkeit.
Alte weiße Männer kritisierst du weiterhin. Dennoch scheinst du bei ihnen gut anzukommen, was mich erstaunt.
Das ist vielleicht eher ein Bauchgefühl von dir. Ich würde es nicht als meinen USP sehen.
Sie scheinen gern mit dir zusammenzuarbeiten, ob fürs Fernsehen oder für Podcasts.
Frauen sagen Frauen ja immer, dass sie nicht so bescheiden sein sollen. Also: Ich glaube, viele intellektuelle, konservative Männer finden mich gut, weil ich sehr schlau bin, und weil ich nicht ihrer Meinung bin, aber meine Meinung sehr differenziert mitteilen kann. Ich glaube, das schätzen die. Darüber hinaus bin ich natürlich auch ultrabürgerlich erzogen worden. Mein Habitus entspricht diesem Milieu. Ich bin ein „Bürgi“, mein Papa hat mir zum Geburtstag immer Bücher geschenkt. Das ist nun mal so.
Ich kritisiere dabei nicht meinen Papa und die Bücher, sondern mehr die Ungleichheit, die damit einhergeht.
Danke für das Gespräch, Sophie.
LEBEN UND ARBEIT
Sophie Passmann, 28, hat Politikwissenschaft und Philosophie studiert.
Auf Instagram wurde sie bekannt, weil sie da politische Vorgänge verständlich erklärt, heute hat sie fast 300 000 Follower*innen. Ihre Bücher „Alte weiße Männer“ und „Komplett Gänsehaut“ sind Bestseller. Am 24.6. startet ihr Podcast „Quelle: Internet“ auf audible (1); ab 15.7. spielt sie die Hauptrolle in der Serie „Damaged Goods“ (2) auf Amazon Prime.
Für die Sendung „Männerwelten“ erhielt sie den Grimme-Preis (3)