... so lässigen wie rauen Ton der Großstadtstraßen, die beißende Ironie des Kabaretts, das genüssliche Sezieren überholter romantischer Klischees, zugespitzte Sozialkritik, mit der drastisch ökonomische und emotionale Abhängigkeiten entlarvt werden. Die Musik bedient sich bei damals angesagten Tänzen aus dem Nachtleben, etwa Tango und Foxtrott, dazu gibt es Karikaturen von vorher ehrfürchtig gepflegten Traditionen wie Choral und Arie.
Und das alles begann in Berlin, im Theater am Schiffbauerdamm, heute bekannt als Berliner Ensemble, wo „Die Dreigroschenoper“ vor genau 93 Jahren, am 31. August 1928, zur Uraufführung kam. Kein Wunder, dass hier das Stück einen festen Platz im Repertoire hat. Bis vor Kurzem mit Robert Wilsons Lesart von 2007 als hyperstilisierter Bilderbogen mit Bezügen zur Neuen Sachlichkeit und Hang zur Groteske. Jetzt übernimmt Regisseur Barrie Kosky am Berliner Ensemble die „Dreigroschenoper“-Tradition. Kosky hat sich, seitdem er Intendant der Komischen Oper ist, dort intensiv mit dem Musiktheater der Weimarer Republik beschäftigt, vor allem mit den Jazz-Operetten. „Die Dreigroschenoper“ ist also genau das Richtige für ihn. Doch der findige, funkensprühende Theatermann Kosky überrascht mal wieder: Er ist klug genug, um nicht in die Klischeefalle zu tappen. Es wäre ein allzu billiges Vergnügen, auf den seit „Babylon Berlin“ auch im Mainstream angekommenen „Wilde Zwanziger“-Hype aufzuspringen. Stattdessen wird die Handlung in unsere Zeit verlegt: „Ich glaube, das Stück hat für ein Publikum von 1928 etwas ganz anderes bedeutet als für das Publikum heute“, erklärt er, „es gibt zum Beispiel einen riesigen Unterschied zwischen
Bettler*innen, Kriminalität und Sex Workers 1928 und heute“. Auch dem „epischen Theater“ Brechts mit seiner klassenkämpferisch belehrenden Attitüde, die – bei aller Aktualität der Botschaft – etwas Patina angesetzt hat und zum Klischee geronnen ist, verpasst Kosky eine Absage: „Ich versuche, ein breiteres Farbspektrum dieses Stücks herauszuarbeiten, etwa das melancholische Element und das Gefühl der Einsamkeit in den Songs von Kurt Weill. Aber auch den Humor und die Leichtigkeit, die tatsächlich in Brechts Text zu finden sind. Ich finde, das Stück muss die Leichtigkeit von Ernst Lubitsch haben, gepaart mit der Einsamkeit von Rainer Werner Fassbinder.“
Und endlich wird es auch das geben, was queere Zuschauer*innen seit jeher in der „Dreigroschenoper“ vermissen: Denn warum werden in einem Stück, das immerhin in einer Zeit entstand, als Genderfluidität, Dragqueens, Lesben und Schwule die Metropole Berlin prägten, ausschließlich heterosexuelle Personenkonstellationen verhandelt? „Normalerweise sieht man nur eine Macho-Hetero-Welt auf der Bühne“, stellt Barrie Kosky fest, doch er verspricht: „Der Text lässt sich queeren. Wir spielen auch mit Geschlechterrollen. Das zieht sich als Subtext durch die Inszenierung.“
Genderfluidität
Konkret wird das schon in der Besetzung: So wird der mit Mackie Messer eng verbandelte Polizeichef „Tiger“ Brown von der Schauspielerin Kathrin Wehlisch gespielt. „Ich finde, es gibt da eine große Liebesbeziehung zwischen den beiden Männern. Keine Frage, Mackie ist bisexuell. Der ‚Kanonensong‘ ist ihr Liebeslied“, erklärt Barrie Kosky seine Sicht der Dinge. Genderfluidität zieht sich auch durch die Nebenrollen, denn die Darsteller*innen der Sexarbeiterinnen übernehmen auch die Rollen in Mackies Räuberbande. Und was ist mit der vielbeschworenen emanzipierten „neuen Frau“ der Weimarer Republik? Auch hier findet Barrie Kosky einen eigenen Dreh: „Das Problem ist, dass in vielen Inszenierungen der ,Dreigroschenoper‘ die Frauen bloß herumschreien, wütend oder deprimiert sind. Dabei sind Spelunken-Jenny, Polly Peachum und Mrs. Celia Peachum unglaublich interessante Porträts von Frauen der Epoche. Polly wird oft als das unschuldige Opfer gezeigt, Cynthia Micas wird sie bei uns aber anders spielen. Und Constanze Becker wird als Mrs. Peachum auch nicht eine alte, verbitterte Alkoholikerin sein, sondern eine ironische, kluge Kämpferin, die schon viele Schlachten geschlagen hat.“
Eckhard Weber