Blumen, Kerzen und Kuscheltiere liegen vor der Hausotter-Grundschule im Berliner Stadtteil Reinickendorf. Eltern, Schüler und Lehrer sind geschockt. Ein elfjähriges Mädchen ist tot. Es soll sich das Leben genommen haben. Eine Obduktion wurde angeordnet, die Polizei sucht jetzt nach dem Warum. Viele kennen die Antwort darauf aber schon. Das Mädchen soll von Mitschülern massiv gemobbt worden sein. Am Ende sah es keinen anderen Ausweg mehr, als sich das Leben zu nehmen. Eine Tragödie!„Meine Enkelin ist in der dritten Klasse. Sie wird auch gemobbt und hat Angst, in die Schule zu gehen. Der Lehrer kündigt Gespräche an, aber nichts passiert“, klagt eine der Anwesenden im Gespräch mit der „Bild“. Sie ist bei Weitem nicht die Einzige, die der Schule und vor allem der Stadt heftige Vorwürfe macht.Bereits 2016 stellte die Berliner Senatsbildungsverwaltung fest, dass es „an der Schule einen erheblichen Entwicklungsbedarf“ gibt. Lehrer und Erzieher hätten nur wenig Hilfe vom damaligen Schulleiter bei „schwerwiegenden Regelverstößen einzelner Schüler erhalten“. Im Klartext heißt das: Mobbing wurde nicht bestraft, obwohl Kinder teilweise so auffällig waren, dass ein normaler Unterricht nicht mehr möglich war. Deshalb bekam die Schule vor 18 Monaten mit Daniela Walter (46) eine neue Direktorin. Sie weiß, wie brenzlig die Situation ist: „Seit ich hier Schulleiterin bin, sage ich Schülern und Eltern, dass sie auf mich zukommen sollen, wenn es Probleme gibt.“ Sie wusste auch, dass die Elfjährige gemobbt wurde, man sie verbal und körperlich angegriffen haben soll.„Die Mädchen aus der Gruppe, mit denen es die Konflikte gab, sind nicht mehr in der Klasse, seitdem herrscht Ruhe“, sagt sie. Doch was zum Beispiel in den Pausen oder außerhalb des Unterrichts passiert, können Lehrer nicht immer verhindern. Gemobbt wird dann in Chats oder auf dem Pausenhof. Möglich ist das, so lautet der Vorwurf von Experten und Eltern, weil Mobbing und Gewalt einfach nicht ernst genug genommen werden. Das ist nicht nur an der Berliner Schule ein Problem. Laut einer aktuellen Pisa-Studie waren 15,7 Prozent der 15-jährigen Schüler in Deutschland schon einmal Mobbing-Opfer. Dennoch zeigen sich jetzt alle schockiert und überrascht. Politiker, wie zum Beispiel Berlins Oberbürgermeister Michael Müller (54), versprechen nun eine umfassende Aufklärung. Und die Bildungsverwaltung erklärte: „Mobbing ist ein Problem.“ Aber Lösungen hat niemand parat, obwohl es seit Langem gute Vorschläge gibt. Anti-Mobbing-Trainer Carsten Stahl (46) fordert beispielsweise, dass jede Schule einen Sozialarbeiter bekommt und dass Präventionsprojekte mit Experten von außen stattfinden. „Die Politik muss Geld investieren“, fordert er. Vielleicht ist sie nach dem Tod der elfjährigen Schülerin ja nun bereit dazu …
„Die Politik muss Geld in die Hand nehmen“
ROCHELLE PRYOR
MOBBING – EIN WELTWEITES PROBLEM
Abwertende Blicke und fieses Getuschel war Rochelle Pryor († 14) gewohnt. Viele Aborigines, also australische Ureinwohner, werden mit Rassismus konfrontiert. Rochelle hatte aber immer ihre Familie und ihre Freunde an ihrer Seite. Ein Schutzschild, der sie all das überstehen ließ. Doch im vergangenen Sommer fingen auch einstige Freunde an, sie zu beschimpfen. Immer häufiger kam sie mit leichten Verletzungen nach Hause. Immer seltener lachte sie, war nur noch traurig, konnte nicht verstehen, warum alle so gemein zu ihr waren. Sie hatte doch nichts falsch gemacht. Jetzt hatte Rochelle keine Kraft mehr. „Eines Tages, wenn ich schon nicht mehr da bin, wird es Tyrannei und Rassismus hoffentlich nicht mehr geben“, schrieb sie auf Facebook – und beendete ihr viel zu kurzes Leben. Innerhalb weniger Wochen war es der fünfte Aborigine im Teenager-Alter, der den Freitod wählte, weil seine Umwelt ihn da hintrieb.
FOTOS: DAVIDS (2), FACEBOOK, PICTURE ALLIANCE (2)