Biennale für aktuelle Fotografie in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg Auch Anastasia Samoylovas „Six Real Matterhorns“ (rechts) aus der Gruppenausstellung „When Images Collide“ in Ludwigshafen kann nun im virtuellen Rundgang auf der Festival-Website besichtigt werden
Das Corona-Virus hat auch unseren kulturellen Alltag radikal verändert. Müssen wir nun auf die kreativen Impulse von Galerien und Museen und Foto-Events verzichten? Natürlich nicht! Seit Mitte März die Ausstellungsräume ihre Pforten verschlossen haben, bleibt zwar die dortige Fotografie vorerst für Besucher nicht direkt zugänglich. Binnen kürzester Zeit wurden jedoch dutzende Initiativen ins Leben gerufen, die uns die Bilder und den Diskurs rund um die Fotografie digital nach Hause bringen. Das britische Auktionshaus Sotheby´s organisierte seine Frühjahrsversteigerung von Fotografien am 3. April schnell als reine Online-Auktion, bei der jeder vom heimischen Schreibtisch mitbieten konnte. Viele Ausstellungshäuser und Fotofestivals haben ihre Aktivitäten ins Web verlegt. Die Londoner Galerie Stanley/Barker startete beispielsweise spontan wöchentliche Künstlergespräche mit Fotografen bei „Fireside Chats“ auf Instagram und das Pariser Musée Européenne de la Photographie (MEP) bot in einer ersten Reaktion allen, die nun nicht vor Ort die aktuelle Erwin Wurm-Ausstellung besichtigen können „One Wurm a Day“ auf Instagram und Facebook. Fast täglich gibt es mittlerweile Ankündigungen neuer Initiativen der Fotoszene. Vorbildlich zeigt sich die Website zur Ausstellung „Claudia Andujar: The Yanomami Struggle“ in der Pariser Fondation Cartier pour l´art contemporain: Dort finden sich Fotos, Texte, Tondokumente und Videomaterial zu einer der besten Bilderschauen des Frühjahres. Im klug strukturierten Web-Design der Stiftung wird das Lebenswerk der 88-jährigen Fotografin in drei Kapiteln vorgestellt. Dazu gibt es einen Zugang zu Podcasts mit Andujar, dem Kurator und einem Sprecher des Yanomami-Stammes.
„UNTER DEM EINDRUCK DER CORONA-KRISE KOMMEN KÜNFTIG AUCH GEDRUCKTE KATALOGE UND FESTIVAL-FLYER AUF DEN PRÜFSTAND.“ Lars Bauernschmitt, Leiter des Lumix-Festivals für jungen Bildjournalismus in Hannover
Claudia Andujars Ausstellung in der Fondation Cartier pour l´art contemporain Andujars Yanomami-Ausstellung war bis zur Schließung im März eines der Pariser Foto-Highlights. Nun präsentiert die Website der Stiftung Filme, Fotos Podcasts und Textdokumente zum Lebenswerk der Künstlerin.
Auch Deutschlands Kuratoren haben schnell auf die Ausgangsbeschränkungen dieser Tage reagiert. Drei deutsche Fotofestivals verlegten ihre Aktivitäten zeitnah ins Web. Die Macher der für den 21. März geplanten Worpsweder RAW-Phototriennale handelten in Rekordzeit. Dabei sollte sich das von langer Hand geplante Motto „Changing Realities“ als geradezu auf die Situation ausgerichtet herausstellen. „Zunächst ging es darum, trotz der Schließung der Museen und Galerien des Ortes alle geplanten Ausstellungen innerhalb weniger Tage aufzubauen und für die Dreharbeiten vorzubereiten“, berichtet Festivalchef Jürgen Strasser. „Da wir am geplanten Eröffnungstag der RAW Phototriennale mit dem neuen Format RAW-FREIHAUS online gehen wollten, haben wir im Prinzip eine Woche lang rund um die Uhr gearbeitet.“ Drei Tage nach der virtuellen Eröffnung präsentierte das Festival bereits einen ersten Videorundgang durch die Ausstellung „Fokus Mensch“ im Haus im Schluh.
Die Biennale für aktuelle Fotografie in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg konnte am 29. Februar immerhin noch feierlich eröffnet werden. Doch rund zwei Wochen später wurde auch deren „The Lives and Loves of Images“-Konzept gezwungenermaßen ausschließlich auf die Festival-Website ausgelagert. Das Festival bietet seitdem online virtuelle Rundgänge durch Ausstellungen und auf YouTube die Aufzeichnung eines Gespräches zwischen Starfotograf Anton Corbijn und der Kulturwissenschaftlerin Robin Curtis. Deutlich früher im Vorfeld ist das für den 24. bis 28. Juni geplante Lumix Festival für jungen Bildjournalismus in Hannover abgesagt worden. Nun finden Elemente dieser renommierten Leistungsschau für Bildjournalismus im Internet ein Forum. „Ein Festival, das als Ort der Begegnung mit persönlichen Gesprächen, Diskussionen und Präsentationen geplant war, lässt sich nicht einfach online stellen“, relativiert Lars Bauernschmitt, der mit Karen Fromm für dieses Festival verantwortlich ist. „Eine Online-Veranstaltung muss ganz anders gedacht werden, mit anderen Formaten arbeiten und spricht mit anderen Inhalten unter Umständen auch ein anderes Publikum an. Aktuell können Festivals, die jetzt nicht stattfinden, also nur versuchen, das Beste aus der Situation zu machen und einen kleinen Eindruck der geplanten Events liefern. Ein analoges Konzept einfach eins zu eins ins Internet zu stellen ist sinnlos.“ Das Festivalteam von Studierenden und Lehrenden der Hannoveraner Hochschule arbeitet derzeit an neuen digitalen Formaten.
Virtuelle Touren durch die Fotoszene
Lumix-Festival für jungen Bildjournalismus:lumix-festival.de/
Biennale für aktuelle Fotografie:biennalefotografie.de/
RAW-Phototriennale:www.youtube.com/channel/UCugIkqIxfTLZ_mPInTUTu8w
Musée de l´Elysée in Lausanne:www.elysee.ch/en/exhibitions-and-events
Fondation Cartier pour l´art contemporain:claudia-andujar.fondationcartier.com/en
Fotografie online beim britischen Auktionshaus Sotheby´s Die Frühjahrs-Fotoauktion von Sotheby´s fand diesmal ausschließlich online statt. Bis zum 3. April konnten Interessenten auf der Website des Hauses unter anderem 55 Stills und Promotionfotos aus dem expressionistischen Stummfilm- Klassiker „Das Kabinett des Dr. Caligari“ von 1920 ersteigern.
Lumix-Festival für jungen Bildjournalismus in Hannover Unter dem Titel „10 Tage, 10 Themen“ präsentieren die Veranstalter im Juni auf ihren Social Media- Kanälen und der Festival-Website Podcasts, Live- Talks, Bildergalerien und vieles mehr, nachdem das Festival abgesagt wurde. Auch Shirin Abedis Fotoreportage „May I have this Dance?“ wird nun auf der Website gezeigt.
Das britische FORMAT-Festival reagierte auf die Corvis-19-Krise mit einem Aufruf an alle Kreativen und startete auf Instagram einen Fotowettbewerb. Sein @massisolation-Projekt fordert Fotografen auf, Bilder zu posten, die sich mit der Pandemie und unseren Erfahrungen in den Tagen der Isolation auseinandersetzen. Hier kann jeder mitmachen, der seine Instagram-Fotos mit den Hashtags #massisolation und #massisolationFORMAT versieht. So soll ein „Archiv unserer Tage“ zusammengetragen werden. Natürlich stellt sich heute die Frage, ob diese Zeit der Isolation vielleicht sogar längerfristig unsere Rezeption von Fotografie verändern wird. „Aktuell wird diskutiert, ob Kulturveranstaltungen im virtuellen Raum die Zukunft sein könnten“, sagt der Worpsweder RAW-Festivalleiter Jürgen Strasser. „Wir sehen darin keinen Ersatz, sondern höchstens eine Ergänzung. Gespräche, Kontakte, Diskussionen kann der virtuelle Raum nicht bieten – auch nicht das emotionale Erleben.“
FOTO: © JÜRGEN STRASSER
FOTO: © ANASTASIA SAMOYLOVA/ COURTESY GALERIE CAROLINE O‘BREEN, AMSTERDAM
FOTO: © THIBAUT VOISIN
FOTO: © SOTHEBY´S
FOTO: © SHIRIN ABEDI