... Umgebung. Ihre Mutter lässt sie auch mal stundenlang allein, um nach Mäusen zu jagen. In solchen Situationen werden sie manchmal von Spaziergängern entdeckt. Dann gilt: Bloß nicht anfassen!
Geboren für die Freiheit
„Wildkatzen lassen sich nicht zähmen“, stellt Scholz klar. „Sogar Tiere, die man mit der Flasche aufzieht, werden irgendwann richtig kratzbürstig und fauchig.“ Können Laien den Unterschied zu unseren zahmen Samtpfötchen überhaupt erkennen? Die wilden Verwandten sehen grau-braun getigerten Hauskatzen zwar zum Verwechseln ähnlich, doch bei ausgewachsenen Exemplaren gibt es auffällige Merkmale: „Charakteristisch ist der buschige Schwanz mit klar abgesetzten schwarzen Ringen und einem stumpfen schwarzen Ende. Außerdem wirkt das Fellmuster verwaschen und nicht so deutlich getigert“, sagt BUND-Wildkatzenexpertin Scholz. „Bei den Jungtieren sind diese Merkmale allerdings nicht so ausgeprägt.“ Deshalb landen in manchen Jahren bis zu 70 fälschlich aufgelesene Kätzchen in Aufzuchtstationen, wo sie aufgepäppelt werden. Nicht alle kann man anschließend auswildern.
Zum Glück gelten Wildkatzen sonst eher als nachtaktive Phantome der Wälder. Man sieht sie nicht, man hört sie nicht – und doch sind sie da. Einstmals waren sie sogar in ganz Deutschland verbreitet. „Wir schätzen, dass heute wieder 7000 bis 8000 Wildkatzen bei uns leben, mit steigender Tendenz“, so Scholz.
„WILDK ATZEN lassen sich nicht zähmen. Sie werden irgendwann kratzbürstig und fauchig.“
Friederike Scholz, BUND-Expertin
Die scheuen Einzelgänger fühlen sich überall dort wohl, wo es noch urwüchsige Laub-und Mischwälder mit altem Baumbestand gibt. Dort finden sie perfekte Verstecke für ihren Nachwuchs. Von Brombeerranken umgebene Reisighaufen, hohle Baumstämme und anderes Totholz eignen sich gleichzeitig als Rückzugsorte.
„Außerdem brauchen sie freie Flächen mit genügend Deckung für die Mäusejagd“, berichtet die Expertin. „Das können Wiesen am Waldrand sein, Lichtungen oder sogenannte Windwurff lächen.“ Die entstehen, wenn etwa ein Sturm die Bäume knickt und echte Wildnis zurücklässt. Zu Wildkatzen-Paradiesen zählen Eifel, Hunsrück, Pfälzerwald, Taunus, Hessisches Bergland, Hainich und Harz. Doch auch aus der Lüneburger Heide bei Hamburg und südlich von Berlin wurden zuletzt Sichtungen gemeldet.
Alles für die Wildkatz
Eine erfreuliche Entwicklung: Die Art erholt sich und erobert neue Lebensräume. Das ist auch ein Verdienst des BUND. Bereits seit 2004 setzen sich die Naturschützer für die seltenen Waldbewohner ein, mittlerweile gehört das Projekt „Rettungsnetz Wildkatze“ zu den großen Erfolgen im heimischen Artenschutz. Rettungsnetz? Dahinter steckt ein ernstes Problem: Unsere Wälder sind mittlerweile wie Inseln. Straßen, Felder, Ackerland und Siedlungen zerstückeln die ursprüngliche Landschaft. „Die Wildkatze braucht jedoch grundsätzlich Deckung, wenn sie wandert“, erklärt Friederike Scholz. „So ein relativ kleines Tier durchquert ungern offene, ungeschützte Flächen.“
In den Köpfen der Naturschützer reifte deshalb eine Vision. Was wäre, wenn die Tiere über grüne Korridore von einem Wald in einen benachbarten wechseln könnten? Wenn etwa Hainich und Thümenwüchsen? Es wäre eine Rückkehr auf leisen Pfoten! Das Prinzip ist so einfach wie wirkungsvoll: Geeignete Flächen werden mit Sträuchern und Gehölzen begrünt. Im November 2021 etwa entstand in Baden-Württemberg der erste Abschnitt eines neuen großräumigen Waldverbunds. In Zusammenarbeit mit Gemeinden vor Ort plant der BUND dort ein Wegenetz, das den Stromberg im Norden mit dem Schwäbisch-Fränkischen Wald im Nordosten verbindet. So können Wildkatzen bald wieder gefahrlos von Wald zu Wald streifen. 27 solcher grünen Korridore konnten in fünf Bundesländern bereits geschaffen werden.
Ein gigantisches Wegenetz aus Bäumen und Büschen – zu viel Aufwand für kleine Raubtiere, die kaum jemand zu Gesicht bekommt? „Die Wildkatze dient nur als Symboltier“, stellt Expertin Scholz klar. „Wo sie sich wohlfühlt, fühlen sich auch andere
Arten wohl. Wo sie weitläufig wandert, kann auch das Braunkehlchen brüten, der Feldhase seine Jungen setzen oder das Rebhuhn Zuf lucht finden.“ Von grünen Korridoren profitieren also alle Bewohner des Lebensraums – ein Rettungsnetz fürs Paradies.
KAI RIEDEMANN