... passiert. Die Energie von mehreren 100 000 Atom-Bomben habe der Einschlag des Asteroiden freigesetzt, weiß der ehemalige Geschäftsführer des Ferienlandes Donau-Ries, der zwar in Rente ist, aber seinen Lieblingskrater noch nicht wirklich loslassen will. Heute hat der 66-Jährige seine Frau Claudia mit ins „Erlebnis-Geotop Lindle“ gebracht, wo ein Lehrpfad mit Infotafeln „ein Fenster zur Erdgeschichte“ öffnet: In kürzester Zeit, das zeigt eine Grafik, hat das kosmische Geschoss im Umkreis von 100 Kilometern alles ausgelöscht. Knapp zehn Minuten haben die ganze Gegend für immer verändert.
Es ist ein eigenartiges Gefühl, auf den Spuren dieser Geschichte zu wandern, auch wenn man sich vorstellt, dass hier vor 50 Jahren amerikanische Astronauten für die Mondlandung trainierten. Dabei wirkt es beschaulich im Ries, wo Bergziegen als vierbeinige Landschaftspfleger auf den Hängen grasen. Es gibt Feuchtbiotope, in denen sich Gelbbauchunken tummeln, und Uhus, die in Felsnischen brüten. Von den Aussichtspunkten kann man immer wieder hinuntersehen in die Kraterlandschaft, ein Mosaik von grünen Wiesen, goldgelben Feldern und kleinen Wäldern. Mittendrin befindet sich Nördlingen: ein kreisrundes, mittelalterliches Städtchen, umgeben von einer Stadtmauer, beherrscht vom 90 Meter hohen Turm der Sankt-Georgs-Kirche, der bei den Nördlingern ganz schlicht „Daniel“ heißt. „Ist es hier nicht wunderschön?“, schwärmt Claudia Zwerger.
Das Ries habe ihn schon immer schwer begeistert, erzählt Günther Zwerger. Vor allem die Entstehungsgeschichte faszinierte den Verwaltungsbeamten. Der Name Ries, abgeleitet von der römi-schen Provinz „Raetia“, könnte darauf hindeuten, „dass die Siedlungsgeschichte Bayerns hier begonnen hat“, meint er. Wir sitzen inzwischen im Literaturcafé am Geopark und lassen uns von Ella Strahl, einer ehemaligen Lehrerin, bedienen. Die 69-Jährige ist aus Berlin in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Ihr Café, bekannt für selbst gebackenen Kuchen und Salat aus dem eigenen Garten, ist ein Partnerbetrieb der Initiative „Geopark Ries kulinarisch“, die seit mehr als zehn Jahren „einschlagende Geschmackserlebnisse aus dem Krater“ verspricht. Das kommt an und Ella freut sich, dass sie dank des Geoparks Gäste aus aller Welt begrüßen darf.
Brauen und Brennen
Günther Zwerger ist vor allem stolz auf die Initiative und ihre so unterschiedlichen Mitglieder. Auch Sandra Appl gehört dazu – als Brauerin und Brennerin. Die Mutter von drei Kindern lebt und arbeitet seit 20 Jahren auf Schloss Alerheim, das auf einer Anhöhe nahe Nördlingen steht – mittendrin im Ries. Ebenso lange gibt es hier eine Brennerei, zehn Jahre später kam die Brauerei dazu.
Helles, Pils, Weizen und Starkbiere wie das Maibock kommen aus der Appl’schen Schlossbrauerei – allesamt Biere, Schnäpse und Liköre mit eigenem Charakter. Darauf legt die 47-jährige Brauerin Wert, schließlich gibt sie selbst auch Brau-und Brennkurse, um Verständnis für die Qualität zu vermitteln. Die Palette ihrer hochprozentigen Köstlichkeiten ist groß – vom Schloss-Apfel-Brand über den Schlehen-Geist bis hin zum Zitronen-Ingwer-und Erdbeer-Chili-Likör. Es sind die kleinen Manufakturen, die der Ries-Experte Günther Zwerger so sehr schätzt. Familienbetriebe, die Arbeitsplätze für die Menschen in der Region schaffen und Einheimische wie auch Touristen anlocken.
Küche mit Stern
„Unsere Biere, Schnäpse und Liköre haben alle einen ganz eigenen Charakter“
Sandra Appl stellt hochprozentige Köstlichkeiten her
Brauende Frauen haben im Ries Tradition. Auch die Mutter von Jockl Kaiser war Brauerin und schenkte ihr Bier am liebsten im familieneigenen Biergarten von „Meyers Keller“ aus. Ihr Sohn Jockl und seine Frau haben daraus ein Spitzenrestaurant gemacht. Spätestens seit 2009, als er sich einen Michelin-Stern erkochte, den er bis heute verteidigt, ist der 60-Jährige eine Institution in Nördlingen. „Es war uns immer wichtig, ein Teil der Stadt und der Region zu sein“, sagt der Sterne-Koch. Er will keinen Gourmet-Tempel führen, sondern ein Wirtshaus und damit auch die regionalen Produzenten unterstützen. Dass das Ries etwas Besonderes ist, hat er schon als Kind von den Wissenschaftlern erfahren, die im Gasthaus der Eltern übernachteten, um in der Kraterlandschaft geologische Feldforschung zu betreiben. Feldforschung in Sachen Genuss organisiert der Sterne-Koch in seinem Keller, wo italienische Culatello-Schinken in Schweineblasen reifen. Ein seltener Genuss, den sich auch die Zwergers ab und zu gönnen.
Nicht nur in Nördlingen, auch in Maihingen gibt es ein ehemaliges Brauhaus – die Keimzelle des Museums KulturLand Ries. „In einer barocken Klosteranlage kann man hier auf mehreren Stockwerken erleben, was das Ries so besonders macht“, verspricht Dr. Ruth Kilian. Die langjährige Museumsleiterin will mit ihrem Haus „die Generationen ins Gespräch bringen“. Dafür hat sie Ausstellungsstücke aus vergangenen Zeiten zusammengetragen, die vom Verein Rieser Bauernmuseum vor dem Ausverkauf oder der Vernichtung bewahrt wurden: alte Trachten, eine Zahnarztpraxis aus den 50er-Jahren, ein alter Friseursalon, ein Milchladen. Eigens eingerichtete Hörstationen, wo alte Rieserinnen von ihrer Aussteuer und der Hochzeit erzählen, vertiefen das Erlebnis Zeitreise. „Ich wollte wissen, wie die Menschen damals gelebt haben“, erklärt die 60-jährige Volkskundlerin. Im Ries findet sie bis heute Zeugnisse von Grafen und Baronen, Schlössern und Burgen, aber auch einer von oben verordneten Religion. In Oettingen, der Kleinstadt am Nordrand des Rieses, ist diese Geschichte sichtbar: Auf der rechten Seite der Hauptstraße wohnten die Katholiken in Fachwerkhäusern, auf der linken residierten die Protestanten in barockem Prunk.
Nicht alles ist so gut erhalten im Ries. Manch stolze Trutzburg ist inzwischen eine Ruine, wie die Burg Niederhaus. Manche Kirche ist halb verfallen, wie das Kartäuserkloster Christgarten. Es steht geheimnisvoll wie eine romantische Kulisse inmitten einer bewaldeten Senke. Auch das Kloster Mönchsdeggingen hat schon bessere Zeiten gesehen: Der schöne Garten ist verwildert, an vielen Stellen bröckelt der Putz. Über 1 000 Jahre steht die imposante Anlage schon, die als ältestes Kloster und wegen der prachtvollen Ausgestaltung des Kirchenraums als „Die Wies im Ries“ gilt.
Zwischen Fest und Folter
Es gibt viel zu entdecken im sagenhaften Meteoritenkrater, den der gebürtige Augsburger und Wahl-Rieser Günther Zwerger zu erkunden nicht müde wird: die Harburg, eine Festung wie aus einer alten Rittersage, wo man hinter den Mauern in der Folterkammer das Fürchten lernen kann – und das Staunen im großartigen Festsaal. Die Wallfahrtskirche Maria Brünnlein bei Wemding, dank ihrer barocken Pracht 1998 vom Papst zur Basilika geadelt. Oder das Käthe-Kruse-Museum in Donauwörth, das 150 Puppen aus der Manufaktur der bekannten Künstlerin zeigt.
„Ich will keinen Gourmet-Tempel führen, sondern ein gemütliches Wirtshaus“
Jockl Kaiser, Chef des Restaurants „Meyers Keller“
Von dort aus ist es nicht weit nach Schloss Leitheim, das sich wie auf einem Sieger-Podest präsentiert – mit einem Panoramablick über die Donau-Auen. Einst Sommerresidenz der Äbte von Kaisheim, landete es über ein paar Umwege im 19. Jahrhundert im Besitz der kunstsinnigen Nürnberger Patrizierfamilie Tucher, die die Leitheimer Schlosskonzerte im Rokoko-Saal ins Leben rief. Diese Konzerte gibt es bis heute, wenngleich ohne Mozart, der auch schon hier zu Gast war und sich bestimmt über das neue, exklusive Hotel Schloss Leitheim gefreut hätte. Es liegt neben dem Rokoko-Ensemble. Kunstbegeisterte Gäste können hier residieren, im ehemaligen Weingärtnerhaus speisen und sich auf die Sommer-Konzerte freuen.
Wein made im Ries
Wie früher von den Mönchen wird auch heute an den Hängen unter dem Schloss Wein angebaut – Merlot und Weißburgunder. Das freut nicht nur Günther Zwerger, sondern auch Hotel-Geschäftsführerin Colette Zinsmeister, die stolz ist auf „den eigenen Wein“, auch weil er sie an ihre Heimat Kapstadt erinnert, wo Südafrikas berühmte Weinanbaugebiete liegen. Noch ist „Wein made im Ries“ eine Rarität, zurück nach Südafrika will Colette Zinsmeister trotzdem nicht. Sie liebt die schöne Ries-Landschaft und tankt Kraft auf der Terrasse von Schloss Leitheim, weil hier der Blick in die Weite geht, „wie sonst nur in der Toskana“. Keine Frage, dass Ries-Fan Günther Zwerger diesem Satz aus vollem Herzen zustimmt.
Einmal im Kreis
Das Nördlinger Ries hat nur einen Durchmesser von 25 Kilometern. Doch in diesem Landschaftsbecken gibt es viel zu sehen!
ANSCHAUEN
► Nördlingen allein ist schon eine Reise wert. Highlights: Durch die Altstadt schlendern, die Stadtmauer erkunden und einen Abstecher ins RiesKraterMuseum (www.rieskratermuseum.de) machen. Noch mehr über die Entstehungsgeschichte des Rieses erfährt man in sechs unterschiedlichen „Erlebnis-Geotopen“ (www.geoparkries.de – auf „Geopark erleben“ klicken und „Geotop-Lehrpfade“ auswählen). Die Geschichte des Rieses und seiner Bewohner wird im Museum Kultur- Land Ries in Maihingen präsentiert (www.mklr.bezirk-schwaben.de).
► Führungen durch die Burg Harburg (www.burg-harburg.de) gibt es immer zur vollen Stunde (täglich 10 – 17 Uhr).
ESSEN
► Literaturcafé im Geotop Lindle: hausgemachte Kuchen, regionale Küche (Am Lindle 4, 86720 Nördlingen).
► Meyers Keller: Gourmet-Restaurant mit Michelin-Stern, plus Wirtshaus mit bayerischen Klassikern (Marienhöhe 8, 86720 Nördlingen, www.jockl-kaiser.de).
► Weingärtnerhaus Schloss Leitheim: feine Küche in historischem Ambiente (Schloss-Straße 1, 86687 Leitheim, www.schloss-leitheim.de).
SCHLAFEN
► Unter den Linden Bed & Breakfast: familiär mit Kuschelfaktor (Oskar-Mayer-Str. 34, 86720 Nördlingen, www.brenners-unterdenlinden.de).
► Hotel Schloss Leitheim: elegantes Hotel in herausragender Lage (Schloss-Straße 1, 86687 Leitheim, www.schloss-leitheim.de)