EINEINHALB TONNEN? EIN LOTUS? Die Briten brechen wohl bei ihrem letzten Spaß-Verbrenner mit ihren Prinzipien? Colin Chapman würde sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen. Dem Lotus-Gründer war es seit Anbeginn der Lotus-Sportund Rennwagen wichtig, mehr Wert auf wenig Pfunde anstatt viel PS zu legen. Zu Recht, seine Autos waren immer erfolgreich, die Straßenmodelle für damalige Zeiten revolutionär. Mein erster Kontakt mit dieser Rasse war 1998, als ich einen Tag die Elise 111S fahren durfte. 146 PS zu 770 Kilogramm für etwas über 60 000 Mark, mein Gott, so was hatte ich noch nie erlebt. Kompromisslose Sitzposition, minimalistischer Komfort, Lenkung ohne Servo, eine Schaltung zum Verlieben und rein gar nichts, was einen vom Fahren ablenkt. Der Motor? Ein langweiliger Sauger, trotzdem 100 Prozent Fahrspaß. Es folgten stärkere Versionen, dann die geschlossene Exige und der Evora. Und es blieb bis zuletzt immer leicht, nicht mehr als 1,3 Tonnen wog so ein Evora 410. Doch dann 2017 ging es bei Lotus finanziell bergab, die Chinesen (Geely) nutzten die Chance und kauften 49,9 Prozent der Sportwagenmarke inklusive voller Kontrolle über Lotus. Wenig später die Ankündigung, dass man die britischen Spaßbuden bald nur noch elektrisch bauen werde. Zudem will man auch per E-Motoren in die SUV-Sparte einsteigen. Auweia, dachten sich viele eingefleischte Fans, andere sagten der Marke goodbye. Inzwischen sind Exige und Elise ad acta gelegt, das Hyper-SUV Eletre steht in den Startlöchern. Und die neue Emira soll das Verbrenner-Ende der englischen Kultmarke einläuten. Zum Schluss noch mal ein richtig lustiges Auto, leicht, kompromisslos, so wie früher, dachten wir uns. Doch nichts da, die Chinesen scheinen schon ordentlich mitzureden und nicht den Sportsgeist von Chapman intus zu haben. Da sind wir wieder bei den eineinhalb Tonnen, denn genau 1482 kg wiegt diese neue Emira V6. Doppelt so viel wie mein erster Lotus. Doch wollen wir nicht schon von vornherein alles schlechtreden. Geben wir diesem „letzten echten“ Lotus in unserem Supertest eine faire Chance, sich zu beweisen.
! Konkurrenz? Porsche Cayman 718 GTS 4.0. Sagt Lotus! Wenn Sie da mal nicht maßlos übertreiben
RENNSTRECKEN-NOTIZEN
Motor/Getriebe Der alte Motor lebt von seinem fülligen Drehmoment. Obenrum bis 7000 Touren noch gut im Saft. Leider ist die Schaltung zu altbacken und mag schnelle Gangwechsel überhaupt nicht. Man knallt oft einen Gang rein, und es gibt keinen Vortrieb mehr.
Lenkung Mit der Servounterstützung kann man nun einen Lotus noch feiner dirigieren. Das Feedback und die Rückstellkräfte sind gut.
Bremsen Prinzipiell sind die Stopper bereit für mehr als 405 PS. Das anfangs gute Pedalgefühl wird zum Ende der schnellen Runden etwas teigiger. Das ABS könnte im Track Mode noch etwas später eingreifen.
Handling Das Fahrwerks-Setup Sport ist am Lausitzring nicht perfekt. Entweder zu hart oder zu weich. Ein aktives Fahrwerk wäre hier sicher die bessere Wahl gewesen.
Reifen Wahrscheinlich war der Michelin Cup 2 auf Konstanz anstatt Performance entwickelt. Anders ist das völlig intakte Reifenbild nach zehn schnellen Runden bei knapp 25 Grad nicht zu erklären. Der Grip ist gut, lässt das Heck aber in Bewegung.
„Optisch fährt die Emira auf 35er-Niveau, am Ende ist es doch nur Supra- und Alpine-Liga.“
Guido Naumann, Redakteur
Kopf einziehen, so wie früher, in die Sportsitze hineingleiten, passt. Die faszinierende Reduktion auf das Wesentliche ist klar vorbei. Hier im Cockpit fühlt es sich schon deutlich mehr nach Ferrari und Co an. Der Verstellbereich der Sitze in der Länge ist reichlich bemessen. Das Referenzmaß von Gründer Chapmans 1,75 Metern hat ausgedient. Lotus will mit der Emira 70 bis 80 Prozent Neukunden anwerben. Die Sitzposition ist hervorragend, das Gestühl sitzt wie angegossen, das Lenkrad liegt gut in der Hand, der Alu-Schaltstock ist in Griffnähe, perfekt. Beim Start tönt der V6 gut gedämpft, einen Sound wie von der Titan-Auspuffanlage der Exige Cup darf man nicht erwarten. Immerhin, das Drücken der Sport-Taste entlockt dem Heck ein gefälliges Bollern. Auf dem Weg zum Lausitzring muss sich der Brite im Alltag beweisen.
Trotz seines Gewichts von fast 1,5 Tonnen schwingt sich der Mittelmotorsportwagen mit einer frappanten Leichtigkeit von Kurve zu Kurve. Das Gefühl der unmittelbaren Verbindung zwischen Hirn und Straße ist in etwa so wie mit einer 1100 Kilogramm leichten Exige. Unmittelbar direkt, fast wie ein Gokart. Wellige, schlechte Straßen sind kein Problem. Die Flunder kommt selten bis gar nicht aus der Ruhe, das Wort komfortabel passt dennoch nicht. Das Getriebe funktioniert hier im normalen Fahrbetrieb wirklich gut. Die Gassen trifft man immer, es hakt nichts. Autobahn kann die Emira deutlich besser als Exige und Evora. Bis 250 schiebt es ordentlich an, dann wird es zäh. Schnelle Kurven gehen mit der servounterstützten Lenkung nun deutlich einfacher und feinfühliger. Der Motor? Obwohl er so altbacken ist, das Ding ist ein Wonneproppen. Untenrum ist er zwar immer etwas lustlos, dann ab 2500 Touren ist der V6 aber putzmunter. Akustisch nicht mehr ganz so freizügig wie zum Beispiel die Exige, aber die Insassen kriegen trotzdem genug feinen Beat auf die Ohren. Am Lausitzring angekommen, geht es zuerst für die Längsdynamik auf das Testoval.
TEST-BEDINGUNGEN
Streckenlänge: 3282 Meter Wetter: 22 °Celsius, sonnig Asphalt: trocken
SEKTOR 1 Besser als Exige
Ihr Gewicht kostet sie zwar im Vergleich zur Exige Sport 410 auf der langen Geraden einige Zehntel und km/h. Doch beinahe schafft die Emira das Kunststück, im kurvigen Bereich den Rückstand mit präziserem Handling aufzuholen.
SEKTOR 2 Immer in Bewegung
Ehrlicherweise, die Exige Sport 410 lag damals weit hinter ihren querdynamischen Erwartungen zurück. Dennoch fühlt sich die Emira hier wohl, in der langen Rechtskehre helfen aber auch die Cup 2 nicht gegen leichtes Untersteuern.
SEKTOR 3 Getriebe kostet Zeit
Von den vier schnellen Runden gelingen nur zwei perfekt. In den anderen beiden vermasselt immer wieder das Getriebe die Zeiten. Beim schnellen Schalten bekommt man oft den Gang nicht rein, vor allem bei Bodenwellen am Ende des Sektors.
Im Supertest mit der Exige Sport 410 hatten wir bei diesen Messungen schon unsere Schwierigkeiten. Die Schaltbox mag puristisch sein, doch fix knüppeln ist nicht ihr Ding. Das Getriebe hat man für die Emira anscheinend nicht weiter bearbeitet, so läuft es auch für sie in dieser Disziplin nicht nach Plan. Die Gänge lassen sich in Nähe der Drehzahlgrenze nicht immer sauber einlegen. Man muss also schon immer etwas früher das nächste Ritzel einklinken und den Hebel ruhig bewegen, anstatt ihn zu schlagen. Leider kommt man so nicht auf schnelle Sprintzeiten. Vielleicht gehen die Lotus-Ingenieure rabiater damit um, oder es gibt einen Trick, den sie uns nicht verraten. Lotus gibt auf jeden Fall 4,3 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h an. Von Launch Control keine Spur, wir versuchen es viele Male, aber mehr als eine 4,6 ist nicht drin. Auch die 17,0 auf 200 sind kein Ruhmeszeugnis. Die Konkurrenz? Klar, die haben alle schnelle Automatikgetriebe, der Cayman GTS 4.0 schafft 4,2, der schwächere Supra 4,5 und die nur 1100 Kilo leichte Alpine A110 S 4,1 Sekunden. Sogar der 300 PS starke Basis-Cayman (1434 kg) geht in 4,3 auf 100. Bremsen? Deutlich erfreulicher! Die Stopper sind perfekt dimensioniert, das Pedalgefühl ist sehr gut, die Michelin Cup 2 sind gripreich, die Bremswege kurz. Wenn das ABS etwas weniger hineinfunken würde, wären auch weniger als 32 Meter aus Tempo 100 möglich.
Aber, gemessen wird ein Lotus immer auf der Rennpiste. Das ist die einzige Währung, die er akzeptiert. Wir hätten gern gesehen, was der Brite am Sachsenring macht, doch die Strecke war zum Testzeitpunkt mit GT Masters voll besetzt. So muss sich die Emira am Lausitzring beweisen. Nicht der erste Lotus hier im Trioval, vor knapp zwei Jahren musste hier die Exige Sport 410 ran. Leider mit mäßigen Rundenzeiten. Auch die direkte Konkurrenz Cayman, Supra und Alpine sind hier schon gezeitet worden. Die 1:35 Minuten des Porsche sind vielleicht etwas unrealistisch, doch die 37er-Zeiten der anderen beiden trauen wir der blauen Flunder schon zu.
MESSNOTIZEN
Motor Der wie gehabt von Toyota stammende Sechszylinder wird von einem Eaton-Kompressor befeuert. Der V6 fühlt sich an wie ein Saugmotor, ist aber untenrum etwas faul. Ab 2500 Touren geht es vorwärts, bei 6000 geht ihm etwas die Luft aus
Getriebe Das alte Problem, sobald man angasen und gute Beschleunigungswerte einfahren will, sagt das Getriebe: nein. Der Gang ist eingerastet, aber es geht nicht vorwärts, man hört nur ein Kreischen. Lösung: sauber und langsamer den Hebel führen und mit schlechteren Zeiten leben
Bremse Viel Ausdauer, ABS immer leicht spürbar, Pedal leicht teigig
Die Emira ist prinzipiell keine scharfe Klinge, kein echtes Präzisionsspielzeug wie seine Vorfahren. Grund: Das Fahrwerk ist nicht perfekt abgestimmt. Vielleicht generell, vielleicht aber auch nur hier für den Lausitzring. In manchen Ecken zu weich und dadurch viel Bewegung. In anderen Bereichen zu steif, und die Reifen müssen den Karren aus dem Dreck ziehen. Auf Zug leicht untersteuernd, im Lastwechsel sanft übersteuernd und von der Leistung her exakt so dosiert, dass die Hinterachse trotz fehlender Sperre wenig ins Schwitzen gerät. Am absoluten Limit übernimmt jedoch das Heck das Zepter, schmiert bereits zum Kurveneingang in sanfte Schräglage, die sich je nach Intention und Können eingrenzen, nachmodulieren, nie jedoch gänzlich austreiben lässt. Das mit den Cup-2-Pellen und dem Track-Mode sind gute Ideen, bis auf die ESP-Off-Funktion aber wenig ergiebig. Die Michelins sehen nach zehn Runden noch aus wie neu, das sagt einiges. Der V6 fühlt sich am Ring pudelwohl. Dank Kompressor schiebt er herrlich zur Drehzahlmitte, dreht rund 7000 Umdrehungen und liefert dabei Leistung bis zum letzten Takt. Dennoch: Der Motor ist für 1,5 Tonnen zu schwach, das sieht man auch am Topspeed mit nur mageren 210 km/h. Zum Vergleich, so ein 400 PS starker Cayman 718 GTS 4.0 bolzt mal eben mit 230 Sachen über Start und Ziel. Das Revier der Emira bleiben also eher kleinere, langsamere Tracks. Mit 1:37,33 Minuten landet sie genau dort, wo wir sie erwartet hatten. Auf jeden Fall zu langsam für so eine „kleine Italienerin“.