... und natürlich Lanz? Oder weil man das einfach vermisst hat: Einen überlangen Abend voller Peinlichkeiten und schlechter Witze?
Gleich zu Beginn stellte Gottschalk klar, dass er versuchen wird, so wenig wie möglich zu fummeln, denn das darf man ja heute nicht mehr. Ganz ohne ging’s natürlich nicht. Wie bei einem Tourette- Kranken spielte ihm sein inneres 90er-Teufelchen manchmal Streiche. Die schöne Michelle versuchte, dem Showmaster aus der Sexismusfalle zu helfen: »Thomas, das kannst du doch heute nicht mehr so sagen …« Doch, er kann! Im heroischen Kampf gegen den übermächtigen Gegner der Gender- Freunde unterscheidet er demonstrativ Damen von Herren, ignoriert das Diverse dazwischen, spricht weder »Innen« noch »Sternchen« mit und nennt sich selbst »Gentleman«, was ja nichts anderes als ein hochbezahlter Schwanzträger ist. Gegen Shitstorms ist der Mann immun, denn ohne seine Lesebrille bleiben ihm sämtliche Tweets verborgen.
Er hatte nichts zu verlieren und laberte, was ihm gerade durchs Hirn rauschte – eine Besinnungslosigkeit, die hierzulande als »herrlich spontan« gefeiert wird. 14 Millionen mehr oder minder mündige Deutsche sahen ihm dabei zu. Live, ohne Vorspulen, ohne Werbung und ohne Pinkelpause. Laut ZDF waren sogar mehrere Unterdreißigjährige dabei.
Eine Sensation, wenn man bedenkt, dass die Aufmerksamkeitsspanne junger Menschen heute unter drei Minuten liegt und sie keinen 90-minütigen Spielfilm aushalten, außer sie sind bekifft oder haben dabei das Handy vor der Nase. Fast drei Stunden ihrer Lebenszeit schenkten sie dieser verstaubten Show. Warum nur?
Es ist die Sehnsucht nach einer verloren Welt. Nach einer Welt, in der man sich siezte, das Büro vollrauchte, in der ein Klaps auf den Po als Kompliment, wenn nicht sogar als Jahresendprämie gewertet wurde. Eine Welt, in der man lange Sätze sprach, die mit »Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber« begannen, Briefe schrieb, die mit »Hochachtungsvoll« endeten, in der Brausepulver ein Party-Gag war, und in der man Geschirr mit der Hand abwusch. Und in der alle über dasselbe lachten. Wer nicht mitlachte, galt als verloren oder debil. Alle schalteten wie auf Befehl der Kohlregierung die Glotze ein, blieben diszipliniert sitzen (erst am Ende der Show stieg der Spülwasserverbrauch beim volksgemeinschaftlichen Pissen), dazu Salzstangen, warmes Bier, Käsefüßegeruch. So viel Europa war nie wie dann, wenn es hieß: »Guten Abend, Österreich, Schweiz, Niederlande, Belgien, und guten Abend, alle Brüder und Schwestern in der DDR!«
Will die Jugend denn zurück aufs durchgepupste Familiensofa? Ist die Zeit für die großen Comebacks angebrochen? Schon nachmittags Hans Meiser, »Vera am Mittag«, Arabella Kiesbauer und Pfarrer Fliege?
Mit »TV Total« hat Pro7 ebenfalls ein Meisterstück der flachen Unterhaltung ausgegraben. Völlig verrückt, wie der Name schon sagt, soll TV eine Hauptrolle spielen. Obwohl das doch angeblich tot ist.
Statt des genialen Stammelmoderators Stefan Raab sitzt nun Sebastian Pufpaff an den roten Knöpfen. Versprecher von Moderatoren, schmierige Schlagersänger, irre Esoteriker – alles wahnsinnig witzig, findet Pufpaff. Da muss man einfach zuschauen, um es zu glauben.
Ja, Kinder, darüber hat man mal gelacht: blöde Kommentare über mediale Patzer. Und zur Krönung stieg Pufpaff in einen rosa Anzug, setzte eine Perücke auf und versuchte, als Helene Fischer auf die »Wetten, dass..?«-Couch zu kommen. Geniales Crossover und so mutig! Das kann aber nur der Anfang sein. Margarethe Schreinemakers und Wolfgang Lippert warten bereits auf den Anruf der Senderchefs.
FELICE VON SENKBEIL ZEICHNUNG: BARBARA HENNIGER