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Schwerpunkt: Beziehungsgestaltung in der Pflege


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Pflege & Gesellschaft - epaper ⋅ Ausgabe 1/2020 vom 31.01.2020

Die vorliegende Ausgabe der P&G widmet sich einem Kernelement pflegerischen Handelns, nämlich der Beziehung zwischen professionell Pflegenden und Menschen mit Pflegebedarf. Die Gestaltung der zwischenmenschlichen Begegnung hat maßgeblichen Einfluss auf beide Seiten, mit Auswirkungen auf die Krankheitsbewältigung der pflegebedürftigen Person und die Arbeitszufriedenheit der Pflegenden. Die hohe Relevanz, die der Pflegebeziehung als Identitätsmerkmal und Instrument professioneller Pflege zugesprochen wird, steht in merkwürdiger Diskrepanz zu ihrer schwachen theoretischen Fundierung und den spärlich vorhandenen empirischen Befunden. Beides ist jedoch notwendig zur Entwicklung pflegewissenschaftlich begründeter Beziehungskonzepte als wesentliche Voraussetzung für die pflegerische Kompetenzentwicklung (Büker, Lademann 2018). Drei Beiträge in diesem Schwerpunktheft greifen die Lücke in jeweils unterschiedlichen Facetten auf. Sie machen zudem darauf aufmerksam, dass für eine gelingende Beziehungsgestaltung nicht nur theoretisches Wissen und gewisse kommunikative Fähigkeiten notwendig sind, sondern dass es insbesondere auch einer ethisch-reflexiven Grundhaltung bedarf.

Im ersten Beitrag widmen sich Heiko Stehling und Andreas Büscher der Präsentation und Diskussion der modellhaften Implementierung des Expertenstandards zur Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz (DNQP 2018). Vor dem Hintergrund der Analyse von Praxistauglichkeit und Akzeptanz in unterschiedlichen Settings der Pflege erweisen sich folgende Aspekte als zentral: Das grundsätzliche Pflegeverständnis der Pflegefachpersonen, ihr theoretisches Wissen und fachliche Kompetenzen sowie strukturelle Rahmenbedingungen. Wenig überraschend aber dennoch besorgniserregend erscheint die nach wie vor starke Fokussierung auf eine pflegerische Verrichtungsorientierung, bei der offenbar der Aspekt der Beziehungsgestaltung als wenig relevant wahrgenommen wird. Die Einführung einer person-zentrierten Haltung gemäß Expertenstandard erfordert daher nichts weniger als die Entwicklung einer entsprechenden Einrichtungs- bzw. Pflegekultur.

Auch Beatrix Doettlinger greift die Beziehungsgestaltung mit Menschen mit Demenz auf. Im Rahmen einer ethnographischen Studie deckt sie die Bedeutung gestischkommunikativen Handelns in der Interaktion auf: Durch das Spiegeln einer Geste können Menschen mit Demenz eingeladen werden, diese Handlung selbständig umzusetzen. Es zeigt sich, dass entsprechend qualifizierte Pflegeexpertinnen hierfür gezielt die Verantwortung zur Aufnahme einer solchen Kommunikation übernehmen. Darüber hinaus erweist sich eine Haltung „schwebender Aufmerksamkeit“ als zentral, um in Kontakt mit Menschen mit Demenz zu treten und diesen zu halten (z. B. durch aufmerksame Beobachtung und Augenkontakt). Die Arbeit von Doettlinger bestätigt in eindrücklicher Weise theoretische Überlegungen zur Bedeutung körperlich oder besser leiblich vermittelter Kommunikation in der Beziehungsgestaltung (exemplarisch Uzarewicz 2016; Hülsken-Giesler 2016).

Im dritten Beitrag befassen sich Judith Czakert, Christiane Schaepe und Michael Ewers ebenfalls mit einer besonders vulnerablen Gruppe, nämlich mit beatmeten Patienten_ innen in der häuslichen Pflege. Im Hinblick auf ihr Sicherheitsempfinden zeigt sich eine von Vertrauen geprägte Beziehung als ein wesentliches Moment. Sie stellen fest, dass bereits die erste Begegnung mit Pflegefachpersonen darüber entscheidet, ob Patienten_innen Vertrauen empfinden. Im weiteren Verlauf der Beziehung zeigt sich dann, ob sich diese Einschätzung bestätigt. Dabei steht das Vertrauen in die fachlichen Kompetenzen der Pflegefachperson an erster Stelle - z. B. die Erfahrung, ob diese über beatmungstechnische und andere fachpflegerisch relevante Fähigkeiten verfügt. Auch das Vertrauen darauf, dass Pflegefachpersonen in der Lage sind, mit den überwiegend in der Kommunikation eingeschränkten Patienten_innen eine für beiden Seiten verständliche Form des Austausches zu finden, spielt eine entscheidende Rolle für eine gelungene Beziehungsgestaltung.

Als Herausgeberinnen des Schwerpunktheftes ist es uns ein Anliegen, eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema professioneller pflegerischer Beziehungsgestaltung zu befördern. Wir sind sicher, dass das Thema zahlreiche und vielfältige Ansatzpunkte für weitergehende Diskussionen und Forschung bietet.

Literatur

Büker, C./Lademann, J. (2018): Beziehungsgestaltung in der Pflege. Stuttgart: Kohlhammer DNQP - Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (2018): Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz. Osnabrück: DNQP

Hülsken-Giesler, M. (2016): Körper und Leib als Ausgangspunkt eines mimetisch begründeten Pflegehandelns. In: Uschok, A. (Hrsg.): Köperbild und Körperbildstörungen. Handbuch für Pflege- und Gesundheitsberufe. Bern: Hogrefe, 55- 67

Uzarewicz, C. (2016): Die Bedeutung der leiblichen Kommunikation im Kontext transkultureller Pflege. In: Uschok, A. (Hrsg.): Köperbild und Körperbildstörungen. Handbuch für Pflege- und Gesundheitsberufe. Bern: Hogrefe, 137-152

Prof. Dr. Julia Lademann

Leitung Studiengang B.Sc. Pflege, Lehrbereich Pflegewissenschaft & Gesundheitswissenschaften, Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit - Health and Social Work, Frankfurt University of Applied Sciences, Nibelungenplatz 1, 60318 Frankfurt am Main, lademann.julia@fb4.fra-uas.de

Prof. Dr. Christa Büker

Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Wirtschaft und Gesundheit, Lehreinheit Pflege und Gesundheit, Campus Minden, Artilleriestraße 9a, 32427 Minden, christa.bueker@fh-bielefeld.de

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