... mich, über meinen neuen Vintage-Fashion-Fund und meine Lieblingscreme zu referieren, während 1 600 Kilometer weiter Menschen ihre Koffer und Kinder schnappten und panisch aus dem Land fliehen mussten, das ihre Heimat ist. Aus ihrem Land, in dem ihre Männer zurückbleiben müssen, um zu kämpfen, weil ein Geisteskranker die Welt terrorisiert. Sie wissen nicht, wann, ob überhaupt und zu wem sie jemals zurückkehren werden. Tausendsechshundert Kilometer, ist das weit oder nah? Und spielt das überhaupt eine Rolle, wie weit es von mir selbst weg ist? Im Podcast sprachen wir an diesem Vormittag auch über Angst, über jene, für die man keinen Namen hat, die aus dem Nichts auftaucht, in der Nacht zu dir ins Bett kriecht und dir den Schlaf raubt.
Am Tag drauf lief ich exakt 11 111 Schritte (ein Zeichen?) ohne Ziel durch die Stadt und suchte nach etwas, das mir Hoffnung gab. Nichts fand sich. Ein rotes Herz in der Größe einer Erdbeere fiel mir vor die Füße, es lag im Matsch im Park, unweit der Schlittschuhbahn, auf der gelacht wurde, als gäbe es doch noch ein Morgen. Es werden bessere Tage kommen, schwor ich mir selbst, und glaubte mir kein Wort. Wo hatte ich bloß meine Unbeschwertheit verloren, und warum scheint mir das von Bedeutung? Nach acht Kilometern kam ich mir langsam auf die Schliche: Das ist mein Ego, das Schiss hat. Es fürchtet, Verluste hinnehmen zu müssen, hat Angst, das Leben werde nun unbequem, es hat Sorge, aus dem Dornröschenschlaf aufzuwachen und nicht ausreichend Komfort und Moor-Lavendel-Öl vorzufinden. Das fürchtet, die Welt würde nie wieder Freude machen.
Es geht nicht um mich, ich spiele gerade keine Rolle, ich bin nicht in unmittelbarer Gefahr, und sollte ich es in Zukunft sein, wenn Gas und Geld ausgehen sollten, werde ich dann damit dealen. Aber jetzt, hier und heute, geht es mir im Gegensatz zu anderen Menschen sehr, sehr gut – und daran werde ich mich mit aller Kraft erinnern. Wenn nötig, minütlich. Ich bin ein großer Fan des Buches „Innerer Friede – äußerer Friede“ des kürzlich verstorbenen buddhistischen Lehrers Thich Nhat Hanh. Mitgefühl ist ein anderes Wort für Liebe, schrieb er. Mitgefühl heißt, alles zu fühlen, das Schöne und das Hässliche. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit, sich zuerst selbst zu lieben, um ausreichend Ressourcen und Resilienz für diese traurigen Zeiten zu haben, kann ich das Wort Self-Care langsam nicht mehr hören. Vielleicht ist es gerade jetzt wichtig, sich weniger um sein Self und sich stattdessen um andere zu kümmern; ist es Zeit, sich um andere zu sorgen statt darum, wohin wir als nächstes in Urlaub fahren. Ja, richtig, das Leben geht weiter, was für ein unbeschreibliches Glück, wenn man den Satz in diesen Tagen sagen kann. Leider stimmt er nicht für alle. ■
MEINE WOCHE
WAS MICH GLÜCKLICH MACHT:
• Das neue Tocotronic-Album: „Nie wieder Krieg“. Es macht mich glücklich, weil schon immer Tocotronic-Fan, und unglücklich, weil der Titel ein Wunschtraum bleibt
WAS MICH NERVT:
• Es fällt an manchen Tagen so schwer, die Hoffnung nicht zu verlieren, dass Frieden einkehren wird und wir das, was wir haben, nicht verspielen: unser Leben