... nicht mehr von sich preiszugeben, als notwendig war, um ihre Platten zu promoten. Auslöser war ein Artikel im Rolling Stone. Er hatte sie verletzt, sie fühlte sich verwundet und wertlos, erzählte sie später, und fragte sich: „Ist es das wert? Ich bin, wer ich bin.“ Damals war sie Mitte 30.
Bis dahin ließ sich Sheryl Crows Geschichte erzählen wie eines dieser netten Popmärchen. Aufgewachsen in Missouri, in einer Familie, in der alle Musik machten. Der Vater spielte Jazztrompete, Sheryl Klavier. Sie ließ sich zur Musiklehrerin ausbilden, unterrichtete autistische Kinder und sang ein paar Werbejingles ein. 24 war sie, als sie nach Los Angeles auf brach. Sie hatte einen Traum und eine gute Stimme – aber das hatten viele andere auch. Nach zwei Jahren des Suchens und Ausprobierens bewarb sie sich für den Backgroundchor von Michael Jackson. Und wurde engagiert. Eineinhalb Jahre lang begleitete sie ihn auf seiner „Bad“-Tour rund um die Welt. Als Chorsängerin war sie danach extrem gefragt, trat mit George Harrison, Bonnie Raitt und vielen anderen auf. Nebenbei sang sie in der Band ihres Freunds Kevin Gilbert. Nach und nach entstanden dabei die Songs, die auf ihrem Debütalbum „Tuesday Night Music Club“ landeten und unter ihrem Namen veröffentlicht wurden. Es wurde ein Welterfolg, der sie ins Rockestablishment katapultierte. MTV spielte „All I Wanna Do“ rauf und runter, sie gewann drei Grammys. Ihrem Vorsatz, nicht öffentlich über Privates zu sprechen, blieb Crow treu, bis die Pandemie auch ihr Leben auf den Kopf stellte. Eineinhalb Jahre hatte sie kein Konzert mehr gegeben, als ihr Manager vorschlug, eine Doku über ihr Leben in Auftrag zu geben. „Ich bin doch nicht tot“, antwortete sie, und das Thema war erledigt. Aber irgendwann gefiel ihr die Idee doch. Sie war viel zu Hause, hatte genug Zeit nachzudenken und sah die Chance zu erzählen, was sie seit Jahren bewegt. Geschichten, die andere Blickwinkel auf ihr Leben erlauben und das Bild korrigieren, das auf vielen ihrer Feelgood-Songs beruhte und sich in vielen Köpfen festgesetzt hatte. „All I wanna do is have some fun“ ist nicht nur ihr größter Hit, die Zeile wurde zur Signatur ihres Lebens, der sie nicht entkommen konnte.
Ein Jeans- girl mit blonden Locken und Gitarre
Seit Mai ist Sheryl auf einem amerikanischen Streamingportal zu sehen (deutscher Starttermin steht noch nicht fest). Der Film erzählt Geschichten aus einem Business, das von Männern dominiert war und ist, von rauen Sitten und von Sexismus.
Als sie mit Michael Jackson tourte, spekulierten Zeitungen über eine Affäre mit ihm. Sie nahm es hin, Jackson galt als King of Pop, sie stand mit ihm auf den größten Bühnen der Welt, als Anfängerin. Gerüchte dieser Art schienen zum Geschäft dazuzugehören. Was sie in dieser Zeit stärker irritierte, war der Umgang Jacksons mit seinen Kinderfreunden. Richtig einordnen konnte sie ihre damaligen Beobachtungen erst, als der Dokumentarfilm „Leaving Neverland“ 2019 aufdeckte, dass Jackson sie sexuell missbraucht hat. Was ihr zusätzlich zusetzte, war ein Angebot von seinem damaligen Manager. Er versprach Sheryl Crow eine große Solokarriere, sofern sie bereit sei, Sex mit ihm zu haben. War sie nicht. Sie vertraute sich einem Anwalt an, der sie aber nicht ernst nahm. Es gäbe viele Menschen, lautete sein Rat, die sie um ein solches Angebot beneiden würden. Sheryl Crow bekam Depressionen.
Auch ihr Liebesleben wurde kompliziert. Immer wieder geriet sie an Männer, die ihr die Luft zum Atmen nahmen, wie sie erzählt. Sie macht das nicht vorwurfsvoll, kennt sich inzwischen gut genug, um zu verstehen, wie es immer wieder zu solchen Konstellationen kam. Bekannt sind ihre Beziehungen mit Eric Clapton und Owen Wilson und zu einem Mann, der viele Jahre als einer der großen Helden des amerikanischen Sports galt: Lance Armstrong. Der Radrennfahrer, zehn Jahre jünger als sie, verließ für die Sängerin seine Familie. Als sie sich kennenlernten, hatte er bereits fünfmal die Tour de France gewonnen. Er galt als unschlagbar und gewann das bedeutendste Radrennen der Welt noch zwei weitere Male. Als sich nach seinem letzten Sieg die Hinweise verdichteten, Armstrong habe seine Siege konsequentem Doping zu verdanken, scheiterte auch ihre Beziehung. 2006 löste das Paar seine Verlobung. Kurz darauf wurde bekannt, dass Sheryl Crow Brustkrebs hat, zwei Jahre später war sie geheilt. Die Zeitungen stürzten sich auf das Drama. Der New York Times sagte sie vor Kurzem, damals habe sie sich zum ersten Mal als Erwachsene gefühlt. Da war sie 44. „Man kann ein Rockstar sein und nie erwachsen werden.“ 2012 diagnostizierten Ärzte einen Gehirntumor bei ihr. „Keine Sorge“, sagt sie fast beiläufig, er sei gutartig. Zu der Zeit hatte sie L.A. längst den Rücken gekehrt und lebte in Nashville, Hauptstadt und Sehnsuchtsort der Countrymusik. Sie hat dort gefunden, was sie braucht. Abstand zu den Aufgeregtheiten des Musikbusiness, gute Musiker, ein Plattenstudio über ihrem Pferdestall, die Ruhe, Songs zu schreiben. Vor allem aber Zeit für ihre Söhne, Wyatt, 14 und Levi, 11, die sie adoptiert hat. Sie sei eine ziemlich strenge Mutter, erzählte sie in der Late-Night-Show von Stephen Colbert kürzlich. Vor allem was sich den Musikgeschmack ihrer Söhne angeht, agiere sie wie ein Polizist. Sie wurde fuchsteufelswild, wenn sie aus den Boxen ihrer Söhne sexistische Texte hörte. In einem anderen Interview sagte sie: „Ich möchte meinen Jungs eine Kindheit ermöglichen, die frei ist von einer Sprache, die ich als pornografisch empfinde.“
Sex gegen Karriere? Das ließ Sheryl Crow nicht mit machen
Musik ist nach wie vor der Mittelpunkt ihres Lebens. So erfolgreich wie mit ihren ersten beiden Alben war Sheryl Crow nie wieder, aber sie veröffentlicht alle paar Jahre ein Album, stets unabhängig von den musikalischen Trends. So entstand im Lauf der Jahre ein Werk, das ihr nicht immer öffentliche Anerkennung einbrachte, aber von Musikern hochgeschätzt wird. Keith Richards, Stevie Nicks, James Taylor, alle Fans von Sheryl Crow. Inzwischen beobachtet sie, dass aber auch Jüngere ihre Songs entdecken und ein Vorbild in ihr sehen. Als Songwriterin, als Musikerin und als Frau, die ihren Weg geht und Widrigkeiten trotzt.
Nicht die schlechteste Rolle, wenn man gerade 60 geworden ist.