... die Römer gut gewählt; es taugt wenig für seine Armee, die hauptsächlich aus der eng formierten Phalanx besteht. Auf dem zerklüfteten, unebenen Gelände kann die menschliche Walze ihre enge Formation nicht halten und somit ihr gnadenloses Vernichtungspotenzial nicht ausspielen; die in Manipel geordneten Legionen sind flexibler und ihr in diesem Gelände überlegen. Daher scheut Pyrrhos auch den direkten Angriff. Stattdessen schickt er einen Teil seiner besten Männer voraus, um Dentatus in einem Nachtmarsch zu umgehen. So könnte Pyrrhos den Feind in die Zange nehmen und den Nachteil des Geländes wettmachen. Doch das Manöver gerät zum Desaster. Die Vorausabteilung wird nach stundenlangem Marsch durch unbekanntes Terrain entdeckt und unter heftigen Verlusten zum Hauptheer zurückgetrieben; ein Teil von Pyrrhos’ Elite ist tot, ein anderer völlig entkräftet. Dentatus entschließt sich, die Gunst der Stunde zu nutzen, und befiehlt den Frontalangriff.
Die Legionen setzen sich in Bewegung. Die Plänkler lassen einen Speerhagel auf die dicht an dicht in der Phalanx stehenden Soldaten niedergehen. Als sie sich zurückfallen lassen, rückt die schwere Infanterie vor und schleudert ihre Pila auf den Feind. Mit kalter Effizienz werfen sich die Legionäre sodann in den Nahkampf. Nach einem grausamen Gemetzel beginnt Pyrrhos’ Front zu bröckeln. Als letzten Ausweg befiehlt er den Einsatz seiner Kriegselefanten, die in den vorherigen Schlachten das Blatt zu seinen Gunsten gewendet und den Legionären Angst und Schrecken eingejagt haben.
»Noch so ein Sieg über die Römer, und wir sind verloren!«
König Pyrrhos laut Plutarch
Doch die Römer haben dazugelernt: Statt sich von den Dickhäutern niedertrampeln zu lassen, versetzen sie die Tiere mit Feuer in Panik und bringen Pyrrhos’ letzten Trumpf mit Wurfspeeren zu Fall. Unter infernalischem Brüllen wenden sich die Elefanten zur Flucht und bringen in ihrer Raserei die eigenen Linien endgültig durcheinander. Pyrrhos erkennt, dass er die Schlacht nicht gewinnen kann, und führt die Reste seines Heeres geordnet vom Schlachtfeld. Der Kampf endet mit viel Wohlwollen unentschieden, was de facto aber einer Niederlage gleichkommt: Pyrrhos muss seinen Feldzug angesichts der enormen Verluste der vergangenen Jahre beenden. Die Römer ändern den Namen der Stadt später von Maleventum (»malus« – schlecht) in Beneventum (»bene« – gut); Sinnbild des Triumphs über einen der fähigsten Generäle der Antike.
Dabei sieht zu Beginn des Krieges vieles gut aus für den von Plutarch als äußerlich grimmig und bedrohlich, gleichzeitig aber milde und ehrenhaft geschilderten Pyrrhos. Erstmals italienischen Boden betritt er 281 v. Chr. auf ein Hilfsgesuch der Stadt Tarent hin, einer der mächtigsten griechischen Gemeinden im Süden der Apenninhalbinsel. Nachdem die Römer die Herrschaft in Mittelitalien gefestigt haben, fällt ihr gieriger Blick rasch auf die wohlhabenden griechischen Gebiete in Süditalien. Militärisch unterlegen, bittet Tarent König Pyrrhos um Hilfe. Der verdiente Feldherr von jenseits des Ionischen Meeres willigt rasch ein, sieht er darin doch eine willkommene Gelegenheit, seinen Einflussbereich auszudehnen und die Griechen Italiens und Siziliens, die sogenannten Italioten, unter seiner Krone zu vereinen.
Ein undurchdringlicher Wald aus Lanzen und Panzer aus Fleisch und Blut
Er landet mit über 20 000 Mann Fußtruppen, 2000 Bogenschützen, 3000 schweren Reitern und 26 Elefanten auf der kriegsgeplagten Apenninhalbinsel. Den Kern der Armee bildet die mit Sarissen – fünf bis sechs Meter langen Stoßlanzen – ausgerüstete Phalanx: ein waffenstarrender, undurchdringlicher Block, der es mit jedem Gegner aufnehmen kann.
Zum ersten Aufeinandertreffen mit Rom kommt es im folgenden Jahr bei der süditalienischen Stadt Herakleia, als Rom eine Armee unter dem Befehl des Konsuls Publius Valerius Laevinus nach Süden schickt. Vom Anblick der Elefanten entsetzt, flieht die römische Kavallerie vom Schlachtfeld, und auch den Legionären sind die unbekannten Riesentiere nicht geheuer. Nach zähem Ringen müssen die Römer das Feld räumen; sie haben rund 7000 Tote und tausende Gefangene zu verzeichnen und müssen Unteritalien verlassen. Pyrrhos’ Sieg ist jedoch teuer erkauft, eine große Zahl seiner besten Männer ist gefallen. Trotz dieser Verluste entfaltet sein Triumph die erhoffte Sogwirkung: Die Volksstämme der Samniten und Lukaner unterstellen ihm ihre Truppen, zudem fallen mehrere griechische Stadtstaaten von Rom ab. Ein Vorstoß nach Norden ins römische Kernland wenig später endet jedoch nicht mit einem schnellen und entscheidenden Sieg, sondern bringt ernüchternde Ergebnisse: Die Städte Capua und Neapel wollen gar nicht vom proklamierten römischen Joch befreit werden; statt Pyrrhos die Treue zu schwören, verrammeln sie lieber ihre Tore. Ohne neue Verbündete muss Pyrrhos abziehen – ein erster Rückschlag für den sieggewohnten König.
Ein Jahr später prallen die Kontrahenten bei Ausculum erneut aufeinander, wieder siegt Pyrrhos. Rom verliert 6000 Mann. Doch auch Pyrrhos’ Verluste, vor allem unter seinen un-ersetzlichen Kämpfern in der Sarissa-Phalanx, sind mit 3500 sehr hoch. Auch wenn der Satz »Noch so ein Sieg über die Römer, und wir sind verloren!« der Fantasie des Plutarch entsprungen sein dürfte, trifft er das Dilemma des Königs genau: Der strategisch bedeutungslose Sieg hat seine Kampfkraft unwiederbringlich geschwächt, sein Heer blutet aus. Das geflügelte Wort vom »Pyrrhossieg« kommt nicht von ungefähr – der König ist auf dem besten Weg, sich zu Tode zu siegen.
Ein sizilianisches Abenteuer und starke Verbündete aus Nordafrika
Nun entwickelt sich eine Pattsituation: Pyrrhos hat nicht die Männer, um gegen Rom selbst zu marschieren, während Rom wiederum nicht in der Lage ist, ihn aus Italien zu vertreiben. Verhandlungen zur Beendigung des Krieges scheitern jedoch, sodass sich Pyrrhos zunächst anderen Zielen zuwendet und sein Augenmerk auf Sizilien richtet. Er hofft, die dortigen griechischen Stadtstaaten, die von den Karthagern seit Jahren schwer bedrängt werden, als Verbündete zu gewinnen. Dass er damit seine ohnehin geschwächten Kräfte verzettelt und Rom eine dringend benötigte Atempause gewährt, nimmt er hin.
In den Jahren 278 bis 276 v. Chr. fegt Pyrrhos die Karthager beinahe komplett von der Insel. Die Griechen sind jedoch zerstritten. Als oppositionelle Stimmen laut werden, die Pyrrhos’
Herrschaft ablehnen, rückt sein Traum von einem geeinten Sizilien mit ihm an der Spitze in weite Ferne. Ohne sein Ziel erreicht zu haben, setzt er wieder auf das Festland über. Dabei werden seine Schiffe von einer karthagischen Flotte attackiert und empfindlich dezimiert.
Pyrrhos muss nun feststellen, dass sich die Lage weit schlechter darstellt als bei seiner Abreise. Die Karthager waren wegen seiner expansiven Bestrebungen schon im Jahr 278 v. Chr. zu einer Übereinkunft mit Rom gelangt: Mit Unterstützung aus Nordafrika war es daher den Römern gelungen, die Samniten und Lukaner zu schlagen und sich tief in die griechischen Gebiete hineinzufressen. Um trotz aller Rückschläge doch noch zu siegen, muss Pyrrhos die Entscheidung auf dem Schlachtfeld erzwingen. Doch nach Maleventum ist seine Position in Italien unhaltbar geworden, und er kehrt unbesiegt nach Epirus zurück.
In Italien schlägt derweil die große Stunde Roms: Nach und nach erobern die Legionen den widerspenstigen Süden. In gar nicht so ferner Zukunft wird der römische Expansionsdrang zur Konfrontation mit Karthago führen. Es wird sich zeigen, dass die Karthager den von Pyrrhos in die Enge getriebenen römischen Wolfswelpen am Leben gehalten haben, nur um später von der ausgewachsenen Wölfin zerfleischt zu werden.
LESETIPP
Kelly DeVries: »Die großen Schlachten der Antike«.
Theiss 2008, antiquarisch