Professor Meyer, wie werden Menschen mit Demenz in Deutschland versorgt?
Rund drei Viertel der 3,4 Millionen Pflegebedürftigen werden bei sich zu Hause von Angehörigen gepflegt. Etwa die Hälfte aller zu Hause lebenden Pflegebedürftigen leiden unter einer Demenz. Im Verlauf der Erkrankung zieht jedoch ein Großteil der Patienten in eine stationäre Einrichtung. So leben zum Beispiel acht Jahre nach der Diagnose 90 Prozent der Betroffenen in einem Pflegeheim.
Was bedeutet die Pflege zu Hause für die Angehörigen?
Einen Menschen mit Demenz zu versorgen, ist oft sehr belastend. Auf der anderen Seite empfinden viele Angehörige die Pflege aber auch als positiv und erfüllend. Da die meisten jedoch irgendwann an ihre Grenzen stoßen, ist es wichtig, sie bereits frühzeitig durch Hilfsangebote zu entlasten und gleichzeitig ihre Kompetenzen zu stärken, etwa im täglichen Umgang mit dem erkrankten Familienmitglied.
Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es?
Menschen mit Demenz, die zu Hause leben, können einen ambulanten Pflegedienst oder eine Tagespflege, Kurzzeitpflege oder Verhinderungspflege in Anspruch nehmen. Je nach Pflegegrad trägt die Pflegekasse einen Teil der Kosten. Außerdem gibt es zusätzliche Betreuungs-und Entlastungsleistungen, bei denen ehrenamtliche Helfer beispielsweise für ein paar Stunden mit dem Patienten spazieren gehen. Dafür stehen jedem Betroffenen bis zu 125 Euro pro Monat zur Verfügung. In Sachsen-Anhalt untersuchen wir gerade, wie Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen bei der Planung der Pflege und Versorgung durch besonders ausgebildete Pflegefachkräfte begleitet werden können.
Wie werden die verschiedenen Angebote angenommen?
Es gibt in Deutschland viele Serviceleistungen für Menschen mit Demenz, sie werden aber oft nicht oder erst spät in Anspruch genommen. Die Mehrzahl der pflegenden Angehörigen erhält keine Unterstützung durch professionelle Kräfte. Wie viele die Hilfe Ehrenamtlicher bekommen, ist bisher nicht systematisch erfasst.
Und woran liegt das?
Schuld daran ist unter anderem das Dickicht der Angebote, das viele als verwirrend empfinden. Teils liegt das an der großen Zahl der privaten Anbieter, teils an der föderalen Struktur hier zu Lande, durch die sich Art und Umfang der Maßnahmen regional unterscheiden. Zudem ist den Befragten häufig nicht klar, welche Ausgaben durch die Pflegeversicherung abgedeckt sind.
Wo können sich Betroffene und Angehörige informieren?
Seit 2009 besteht für alle, die Leistungen der Pflegeversicherung beziehen oder beantragt haben, ein rechtlicher Anspruch auf eine kostenlose und unabhängige Pflegeberatung, die über Hilfsangebote und mögliche Sozialleistungen informiert. Diese bieten etwa die gesetzlichen Kranken-und Pflegekassen in 400 so genannten Pflegestützpunkten an, die Compass Private Pflegeberatung GmbH der privaten Krankenversicherungen sowie Wohlfahrtsverbände oder ambulante Pflegedienste. Eine gute Übersicht über die verschiedenen Möglichkeiten liefert die Datenbank des Zentrums für Qualität in der Pflege (https://beratungsdatenbank.zqp.de/). Außerdem empfehlenswert ist die Seite »Wegweiser Demenz « der Bundesregierung (www.wegweiser-demenz.de). Ebenso kann man sich an die Deutsche Alzheimer Gesellschaft wenden (www.deutsche-alzheimer.de).
Die Zahl der Demenzpatienten wird sich bis 2050 Schätzungen zufolge verdoppeln. Was muss passieren, damit die Versorgung funktioniert?
Bisher steht der Großteil der Angehörigen irgendwann vor der Wahl: Betreue ich den Betroffenen weiter zu Hause, oder ist er in einem Pflegeheim besser aufgehoben? Es bedarf mehr Alternativen wie Tagespflegeeinrichtungen, Demenz-WGs oder niederschwelliger Betreuungsangebote. Damit es trotzdem übersichtlich bleibt, ist ein fester Ansprechpartner sinnvoll, der kontinuierlich begleitet, berät, unterstützt und aufbaut. Einen solchen Demenzberater wünschen sich viele Angehörige.
Die Fragen stellte die »Gehirn&Geist«-Redakteurin
Liesa Bauer.
MIT FRDL. GEN. VON GABRIELE MEYER