MITTWOCH, 28. AUGUST 2019. Die Künstlerin Nan Goldin wird in New York von Polizisten in die Mitte genommen und abgeführt. Gemeinsam mit anderen Aktivisten und Aktivistinnen hatte sie den Zugang zu dem Büro des Gouverneurs Andrew Cuomo blockiert. Cuomo unternehme nicht genug gegen die OpioidKrise, so ihr Vorwurf.
Man sah Goldin noch bei vielen BlockadeAktionen und Demos in diesem Jahr: im Guggenheim in New York, im Smithsonian’s in Washington, vor dem Louvre. Sie fordert, dass all diese Museen ihre Zusammenarbeit mit der Mäzenatenfamilie Sackler beenden. Als Besitzer des mittlerweile insolventen Pharmaherstellers Purdue Pharma werden die Sacklers beschuldigt, viel Geld mit der Verbreitung jener Medikamente gemacht zu haben, an denen zurzeit in den USA täglich über 100 Menschen sterben.
Mit ihrem Kampf gegen die OpioidEpidemie steht Nan Goldin exemplarisch für die heutige Kunstwelt, die von einer Welle des Aktivismus erfasst wird. In den neuen Kulturkämpfen spiegeln sich die großen politischen Fragen unserer Zeit – vom Klimawandel bis zum Krieg. Ist BP als Sponsor der Tate noch tragbar? Toleriert das Whitney Museum einen Repräsentanten der Rüstungsindustrie im Museumsboard? Wo man sich früher vielleicht auf ökonomische Zwangslagen berufen hätte, lautet die Antwort heute oft: Nein, es reicht. Immer mehr Künstler und Künstlerinnen wollen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und sich einmischen, und der Kunstbetrieb folgt – wenn auch teils mit hörbarem Zähneknirschen.
Unsere diesjährige Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Kunstbetriebs bildet diese Entwicklung ab: mit Platz zwei für Nan Goldin, mit Hito Steyerl und Michael Rakowitz in den Top 20, mit vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern, die sich explizit politisch äußern. Und mit einem ersten Platz für Hans Haacke, den wir im vergangenen Jahr noch nicht einmal auf der Liste hatten, der aber jetzt sichtbar wird als jemand, der in seiner langen Karriere als Künstler alles schon vorgemacht hat: politische Wachsamkeit, direkte Debattenbeiträge, Unbestechlichkeit und nicht zuletzt eine scharfe Institutionskritik, auch auf die Gefahr hin, die eigene Karriere zu gefährden.
Anders als andere Ranglisten versteht sich die „Monopol Top 100“Liste als eine Momentaufnahme. Hier nennen wir Persönlichkeiten, die im Laufe dieses Jahres hervorgetreten sind: Künstlerinnen und Künstler, Kuratorinnen und Kuratoren, Galeristinnen und Galeristen, Sammlerinnen und Sammler. Besonders bei den Kunstschaffenden, die rund die Hälfte der Positionen besetzen, sind viele neue Namen zu lesen. Sie werden dann aufgenommen, wenn sie eine wichtige Ausstellung hatten, irgendwo einen tollen Auftritt hingelegt haben, überzeugend in der Öffentlichkeit agierten. 39mal werden Sie in der Liste den Zusatz „neu“ lesen, genauso viele Persönlichkeiten sind herausgefallen – was nicht bedeutet, dass sie in irgendeiner Form „schlechter“ geworden wären. Sie haben das aktuelle Jahr nur nicht so stark geprägt.
Die „Monopol Top 100“Liste ignoriert Faktoren wie Markterfolg oder Besucherzahlen nicht, aber unser Verständnis von einflussreich beinhaltet mehr als das: Es geht um Präsenz im Diskurs, um Ausstrahlung, um exemplarische Leistungen. In unser Ranking sind auch die Voten von Kritikern und Kritikerinnen anderer Medien eingeflossen, dazu haben wir Direktoren und Direktorinnen wichtiger Museen gebeten, uns Input zu geben. Doch auch als Gemeinschaftswerk bleibt die „Monopol Top 100“Liste natürlich subjektiv. Sie funktioniert gleichzeitig als Bilanz dieses Kunstjahres und als Trendbarometer, sie bietet einen abwechslungsreichen Überblick über die Kunstwelt der Gegenwart anhand ihrer Protagonisten. Und nicht zuletzt ist sie eine Hommage auf all diejenigen, die täglich ihre Arbeitszeit, ihre Kreativität und ihren Enthusiasmus in etwas stecken, was wir lieben: die Kunst.