... Kardan, der übrigens in diesem Segment einzigartig ist. Der Motor ist jedoch komplett neu entwickelt. Herausgekommen ist ein 80 PS starker V2-Motor mit 80 Newtonmetern, der seine Kraft aus 853 Kubik schöpft.
Dann folgt die erste haptische Annäherung. Ich binde meine gerade mal 20 Kilo leichte Gepäckrolle auf den Gepäckträger. Dabei stellt sich das Rohrsystem am Heck als ein wah- res Verzurr-Paradies heraus. Natürlich geht bei der Zuladung noch so einiges mehr, denn 219 Kilogramm zusätzlich sind alles in allem möglich.
Mit der Sitzhöhe kommt dann der nächste nicht ganz unwesentliche Test auf mich zu. Trotz meiner eher bescheidenen Körpergröße von 1,71 Metern komme ich mit der 830 Millimeter hohen Sitzbank gut zurecht.
Die Moto Guzzi V85TT wird auf großer Tour schnell zu einem guten Freund.
Rund um die Guzzitypische Motorenanordnung haben die Designer der V85TT ein schickes wie nützliches Kleid gezeichnet.
Für mehr Standfestigkeit würde ich mir dann aber doch die 20 Millimeter niedrigere Sitzbank im Zubehör besorgen. Wer noch weiter oben sitzen mag, für den gibt es auch die 20 Millimeter höhere Variante.
Die V85TT kommt mit ihren 230 Kilogramm nicht gerade filigran daher. Aber nach den ersten 100 Kilometern bin ich mit dieser Zahl mehr als versöhnt. Denn sobald die Maschine rollt, ist das Gewicht kein Thema mehr, was auch dem niedrigen Schwerpunkt zu verdanken ist. Dieses Motorrad ist top ausbalanciert und selbst Wendemanöver bei geringem Tempo kann ich spielend meistern, sodass ich jedem U-Turn ab sofort entspannt entgegenfahre.
Satter Bass des V2-Motors
Geht es bei 2 500 Touren noch gemütlich zur Sache, so drückt der kultivierte Motor ab 4 000 Touren kräftig nach vorne. Dabei werde ich dezent vom satten Bass des V2-Motors ummantelt. Das ist einfach nur herrlich. Unangenehme Vibrationen sind Fehlanzeige. Der drehzahlfreudige Motor und dieser satte Sound setzen pure Fahrfreude bei mir frei.
In den moderneren Hallen von Mandello del Lario werden die V85TT montiert.
Auf der Autobahn in Richtung Schweizer Grenze teste ich das niedrig ausfallende Windschild. Jenseits der 120 Stundenkilometer-Marke nehmen die unangenehmen Verwirbelungen am Helm zu. Der Winkel des Schildes ist zwar verstellbar, was aber einen gewissen Aufwand erfordert. Dafür muss ich beim nächsten Stopp einen kleinen Inbusschlüssel unter der Sitzbank hervorholen. Die Verwirbelungen nehmen danach zwar ab, aber optimal ist anders.
Im Tessin dann erwischt mich bestes Testwetter. Es regnet wie aus Eimern. Schnell stelle ich an der rechten Schaltereinheit den Rain-Modus ein und der Schlupf des Hinterrads wird unterbunden.
Drei Fahrmodi sind möglich
Und damit sind wir bei der Technik. Trotz der Bezeichnung „Classic“ steckt in der V85TT ein Technikpaket mit nützlichen elektronischen Helfern. Dank Ride-by-Wire sind insgesamt drei Fahrmodi möglich (Road, Rain, Offroad), die den Motor, das ABS sowie die Traktionskontrolle den jeweiligen Fahrbedingungen anpassen. Die Traktionskontrolle selbst lässt sich bei allen Fahrmodi auch komplett deaktivieren. Ebenso das ABS, sobald der Offroad- Modus aktiviert wird.
Gerne zelebriert man im und ums Werk mit alten Mauerresten morbiden Charme. Allerdings ist man stets stolz auf „Made in Mandello“ – was auch der digitale Tacho der V85TT zeigt.
Unterwegs ist die Mittelklasse-Guzzi eine wahre Freude. Dafür sorgt die einzigartige Motor-Kardan- Kombination. Leichte Geländeausritte sind machbar. Im Design der Heckleuchten spiegeln sich moderne Zeiten wieder.
Tutto Terreno – eine Guzzi für (fast) jedes Gelände
Ach ja, der Zusatz TT (italienisch Tutto Terreno) steht für jedes Gelände. Und „jedes Gelände“ schließt Off road-Passagen ausdrücklich ein. Auch wenn sich meine Offroad-Erfahrungen bei dieser Tour auf nicht befestigte Baustellenabschnitte beschränken, so ist bei einem Federweg von 17 Zentimetern und 21 Zentimetern Bodenfreiheit klar, dass es eher moderate Schotterstrecken sind, die mit dieser Italienerin noch Spaß machen. Übrigens, gegen Aufpreis gibt es auch eine Bluetooth-Connectivity namens Moto Guzzi MIA an Bord. Das ist für all diejenigen bequem, die gerne auch mal während der Fahrt telefonieren oder Musik hören wollen.
Nach knapp 450 Kilometern lege ich den ersten Tankstopp ein. Der Etappen-Verbrauch liegt bei knapp 4,5 Litern auf 100 Kilometer. Zusammen mit dem großen 23-Liter-Tank ausgesind somit ordentliche Distanzen von gut 500 Kilometern möglich. Ich steige entspannt ab. Der Kniewinkel und der konifizierte breite Alulenker sorgen für eine angenehme Ergonomie. Sogar mein Hintern meldet Entspannung auf ganzer Linie.
Das Regenband lasse ich bei den ersten Kehren des Maloja-Passes endlich hinter mir und gebe mich stattdessen den Bremszangen von Brembo in die Hände. Sie lassen sich geschmeidig dosieren und haben dennoch ordentlich Biss. In den folgenden Kehren setzt dann ein wenig Ernüchterung ein. Zwischen 2 000 und 4 000 Touren fehlt dem eigentlich kräftigen Motor ein Stück weit der Druck, der gerade bei kurzen Abschnitten zwischen zwei Kehren benötigt wird. Also runterschalten und Drehzahl rauf. Dieser Motor will auf Touren gehalten werden.
Die Handlichkeit dieser Maschine ist enorm
Auf in die nächste Kehre. Die Handlichkeit dieser Maschine ist enorm. Leichte Lenkimpulse reichen vollkommen aus, um das Motorrad souverän durch die Kurven zu führen. Das Getriebe und die Kupplung sind leichtgängig und das Fahrwerk gut abgestimmt. So kommt richtiger Kurvenswing auf.
Beim Passieren der Grenze nach Italien sitze ich mittlerweile acht Stunden auf der Sitzbank – und mein Allerwertester meldet meinem Schmerzzentrum nach wie vor nichts von Belang. Das hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet. Mit dieser Erfahrung kann der Gang zum Sattler oder der Kauf von teuren Sitzbänken aus dem Zubehörhandel getrost entfallen.
Verbesserungsbedarf? Es gibt wirklich wenig zu meckern. Bei der filigranen Schaltereinheit des Blinkers fehlt der haptische Widerstand. Nur der Blick auf das Display verrät mir die Rückstellung. Ja, und wenn sich die Ingenieure dem Windschild und der Leistungsdelle zwischen 2 000 und 4 000 Umdrehungen annehmen würden, dann wäre alles an diesem Motorrad rundherum gut.
FAZIT Die V85TT ist ein 1A-Reisemotorrad. Das Gesamtkonzept zeigt eindrücklich, dass die eher moderat klingenden Leistungszahlen – 80 PS aus 853 Kubik bei 80 Newtonmetern – für eine f lotte Tour mit ausgesind prägtem Spaßfaktor völlig ausreichen. Zu einem wirklich akzeptablen Preis wird ein hochwertig verarbeitetes und durch und durch reisetaugliches Motorrad mit unauffälligem Kardanantrieb und schicker Retrooptik zur Verfügung gestellt. Das ist derzeit wahrlich einmalig in diesem Segment. Chapeau!
Reichlich Zubehör gibt es für die V85TT auch schon von eigens angepassten Alukoffern über Stürzbügel bis hin zu Zusatzleuchten und vielem mehr
BLACKBOX Moto Guzzi V85TT
Motor
Luft-/ölgekühlter 90°-V2-Motor, längs eingebaut, Hubraum 853 cm³, Leistung 59 kW (80 PS) bei 7 750 U/min, max. Drehmoment 80 Nm bei 5 000 U/min, ab Händler auch mit 35 kW/48 PS für A2, 6-Gang-Getriebe, Kardanantrieb.
Fahrwerk
Stahl-Gitterrohrrahmen, vorne USD-Telegabel, Ø 41 mm, hinten Zweiarm-Leichtmetallgussschwinge mit integrierter Kardanwelle und rechtsseitig direkt angelenktem Monofederbein, Federbasis und Zugstufendämpfung vorne unten hinten einstellbar, Reifen vorne 110/80 R 19, hinten 150/70 R 17.
Bremsen
Vorne Doppelscheibenbremse 320 mm mit radial montierter Vierkolben-Bremse, hinten Scheibenbremse 260 mm mit Zweikolben- Schwimmsattel, Conti ABS.
Maße und Gewichte
Radstand 1530 mm, Bodenfreiheit 210 mm, Sitzhöhe 830 mm (wahlweise 810 oder 850 mm), Gewicht vollgetankt 229 kg, Zuladung 219 kg, zul. Gesamtgewicht 448 kg, Tank 23 l, Testverbrauch 4,6 l/100 km.
Preis
Basisversion (Blau, Grau oder Rot mit grauem Rahmen) 11 990 Euro, in Sahara-Gelb und Kalahari- Rot mit rotem Rahmen 12 300 Euro.