... Tradern die Möglichkeit bieten, wieder in Richtung des übergeordneten Trends zu handeln.
Unter Anlegern und Investoren ist der Mythos verbreitet, dass Institutionen wie Wölfe in Rudeln unterwegs sind, um sich ihre Beute (die Rendite) zu sichern. Doch die Realität sieht anders aus. Das institutionelle Anlagegeschäft ist hart umkämpft und den betroffenen Firmen geht es primär um sich selbst - also um ihre eigenen Ziele und Performance- Kennzahlen -, damit sie für potenzielle Anleger möglichst attraktiv erscheinen.
Das Ziel der charttechnischen Analyse von Inventory Retracement Bars ist es, kurzfristige Trader in die Lage zu versetzen, bestimmte Aktivitäten von institutionellen Händlern zu erkennen, die dem aktuell vorherrschenden Trend zuwiderlaufen. Daraus wiederum ergibt sich, dass mithilfe dieses Ansatzes potenzielle Einstiege identifiziert werden können. Diese basieren darauf, dass die kurzfristige Gegentrendaktivität aufhört und der Markt in der Folge wahrscheinlich seinen ursprünglichen Trend wieder aufnimmt. Anhand konkreter Setups lassen sich auf diese Weise attraktive Einstiegsgelegenheiten erkennen.
Definition von IRBs
Um Inventory Retracement Bars zu erkennen, sind je nach Trendrichtung folgende einfache Kriterien zu erfüllen (Bild 1):
Aufwärtstrend: Kerzen, die 45 Prozent oder mehr von ihrem Hoch entfernt eröffnen und schließen
Abwärtstrend: Kerzen, die 45 Prozent oder mehr von ihrem Tief entfernt eröffnen und schließen
Trendbestimmung
Ein einfacher Ansatz zur Ermittlung des vorherrschenden Trends besteht darin, auf der jeweiligen Zeitebene den exponentiellen Gleitenden Durchschnitt (Exponential Moving Average, kurz EMA) über 20 Tage - also den EMA(20) - zu betrachten. Dieser sollte in einem ausreichend steilen Winkel nach oben oder unten verlaufen, um einen Aufwärts- beziehungsweise Abwärtstrend anzuzeigen. Außerdem sollte sich der Trend auf dem nächsthöheren Zeitrahmen in dieselbe Richtung bewegen.
Dazu ein einfaches Beispiel: Wer auf Basis eines Fünf-Minuten- Charts traden möchte und dort anhand des EMA(20) einen Aufwärtstrend identifiziert, möchte gern sehen, dass sich die nächsthöhere Zeitebene, etwa der 15-Minuten-Chart, ebenfalls in einem Aufwärtstrend befindet. Falls es sich auf der höheren Zeitebene dagegen um einen Seitwärtstrend oder - schlimmer noch - um einen Trend in die entgegengesetzte Richtung handelt, besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass der Trade keinen Erfolg hat.
Die Handelsregeln
Sobald ein IRB sowie ein nach den genannten Kriterien gültiger Trend erkannt wurden, besteht der nächste Schritt zunächst darin, den Markt weiter zu beobachten:
In einem Abwärtstrend warten Trader darauf, dass der Kurs einen Tick beziehungsweise einen Cent unter das Tief des IRB ausbricht.
In einem Aufwärtstrend warten Trader darauf, dass der Kurs einen Tick beziehungsweise einen Cent über das Hoch des IRB ausbricht.
Im Idealfall - aber nicht unbedingt erforderlich - sollte der Kurs dann innerhalb der nächsten 20 Kerzen nachhaltig unter beziehungsweise über den IRB ausbrechen, und zwar wieder auf Basis des Zeitraums, der gehandelt wird. Wer also beispielsweise mit einem Fünf-Minuten-Chart tradet, würde im Idealfall gern in den nächsten 100 Minuten den tatsächlichen Ausbruch sehen.
Was die Ausstiegsstrategie angeht, ist nach Rob Hoffman ein Trailing-Stopp gegenüber festen Kurszielen vorzuziehen. Zwar nutzen viele Händler gern Kursziele, doch die hier bevorzugte Methode, die sich mehr an Unterstützung und Widerstand orientiert, setzt auf den Trailing-Stopp - das stellt sicher, dass bei zwischenzeitlichen Rücksetzern nicht zu viel Gewinn abgegeben wird.
Average True Range (ATR)
Die True Range und ihre geglättete Variante, die ATR, wurden im Jahr 1978 von Welles Wilder Jr. entwickelt. Wilder suchte nach einer Möglichkeit, die Schwankungsbreite der Rohstoff- und Terminmärkte in einem Indikator abzubilden. Alle bis dato geläufigen Methoden - wie etwa einfache arithmetische Durchschnitte der Tageshandelsspanne - brachten nur ungenügende Ergebnisse und vernachlässigten Lücken zwischen Schlusskurs und nachfolgendem Eröffnungskurs.
Die True Range entspricht dem höchsten der drei Werte:
(1) Hoch (heute) - Tief (heute)
(2) Hoch (heute) - Schlusskurs (gestern)
(3) Schlusskurs (gestern) - Tief (heute)
Die ATR berechnet sich in der Standardeinstellung dann als Gleitender Durchschnitt der True Range über 14 Perioden.
In der Regel empfiehlt es sich, einen Trailing-Stopp für erzielte Gewinne so zu setzen, dass dieser 50 Prozent des aufgelaufenen Buchgewinns absichert. Erst wenn sich der Kurs einer wichtigen Unterstützung oder einem wichtigen Widerstand nähert, sollte der Stopp auf bis zu 90 Prozent des Buchgewinns herangezogen werden. Zu den „wichtigen Levels“ gehören dabei die großen Fibonacci-Marken, Vortageshochs und -tiefs, Tages-, Wochen- und Monats- Pivot-Punkte. Damit sich Trader bei der Umsetzung dieser Strategie möglichst wohl fühlen, sollten vorzugsweise diejenigen Unterstützungs- und Widerstandslevel genutzt werden, die vom Trader selbst favorisiert werden.
Das Management der Stopps
Auf Grundlage dieser Handelsstrategie besteht nach dem Einstieg die Erwartung, dass der Markt sich weiter in die ursprüngliche Richtung bewegen wird, nachdem er einen kurzzeitigen Rücksetzer gegen den Trend erlebte, der von institutionellen Anlegern ausgelöst wurde. Häufig wird sich die Kursbewegung des Marktes nach dem Durchbrechen der IRBs im Zuge eines schnellen Marktgeschehens und größerer Handelsspannen rapide beschleunigen, da allen Marktteilnehmern allmählich klar wird, dass es sich bei dem kurzen Rücksetzer lediglich um eine Unterbrechung der vorherigen Bewegung handelte und der Markt sich quasi selbst wieder eingeholt hat.
Sobald also ein Trade eingegangen wurde, sollte der Kurs keine Korrektur über die entgegengesetzte Seite des IRB hinaus mehr vornehmen. Wenn beispielsweise der Trade in einem Abwärtstrend einen Tick beziehungsweise einen Cent unterhalb des Tiefs des IRB eingegangen wird, sollte der Kurs keine Kehrtwende mehr machen, die über das Hoch des IRB führt. Ist das jedoch der Fall, kann der Markt ein ausgeprägtes Umkehrmuster bilden. Falls eine solche Kehrtwende eintritt, handelt es sich demnach um ein Fehlsignal und der Trader sollte mit Verlust aus der Position aussteigen.
Warum die Strategie funktioniert
Im Allgemeinen tendiert der Markt dazu, direktional zu verlaufen, und zwar erfahrungsgemäß mit möglichst wenigen Privat-Tradern, die bei der Bewegung in die richtige Richtung dabei sind. In einem Aufwärtstrend sind viele Anleger und Trader mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer der folgenden drei Situationen:
1. Käufer werden davon abgehalten, Long Trades einzugehen, wenn sie Rücksetzer von den vorherigen Hochs sehen, die sie so erschrecken, dass sie glauben, die Bewegung sei vorbei.
2. Im Zuge von Rücksetzern geben sich Verkäufer der falschen Hoffnung hin, dass alle Short Trades, die sie während des bisherigen Aufwärtstrends eingegangen sind, endlich anfangen zu funktionieren.
3. Käufer, die während rapider und weitreichender Kursanstiege in Erwartung eines noch größeren Höhenflugs beim Hoch gekauft haben, werden während des Rücksetzers ausgestoppt.
Sobald auf Basis dieser drei Effekte ein IRB nach oben erscheint und durchstoßen wird, bewegt sich der Markt mit erhöhter Wahrscheinlichkeit weiter aufwärts, ohne dass sich all jene erwähnten Händler auf der richtigen Seite des Marktes befinden. Entsprechend sind diese Händler potenzielle Kandidaten, die nach dem Long-Signal noch einsteigen und den IRB-Trade damit profitabel machen könnten.
In einem Abwärtstrend ist analog dazu mit den folgenden drei Situationen zu rechnen:
1. Verkäufer werden davon abgehalten, Short Trades einzugehen, wenn sie Rücksetzer von den vorherigen Tiefs sehen, die sie so erschrecken, dass sie glauben, die Bewegung sei vorbei.
2. Im Zuge von Rücksetzern geben sich Käufer der falschen Hoffnung hin, dass alle Long Trades, die sie während des bisherigen Abwärtstrends eingegangen sind, endlich anfangen zu funktionieren.
3. Verkäufer, die während rapider und weitreichender Kursrückgänge in Erwartung eines weiteren Verfalls beim Tief verkauft haben, werden während des Rücksetzers ausgestoppt.
Sobald auf Basis dieser drei Effekte ein IRB nach unten erscheint und durchstoßen wird, bewegt sich der Markt mit erhöhter Wahrscheinlichkeit weiter abwärts, ohne dass sich all jene erwähnten Händler auf der richtigen Seite des Marktes befinden. Entsprechend sind diese Händler potenzielle Kandidaten, die nach dem Short-Signal noch verkaufen oder Short gehen und den IRB-Trade damit profitabel machen könnten.
Weitere Hinweise
Nach Rob Hoffman erhält ein IRB nicht deshalb mehr Gewicht, weil sein Schlusskurs oberhalb oder unterhalb des Eröffnungskurses liegt. Es ist also egal, ob es sich um eine grüne oder rote Kerze handelt.
Trader sollten außerdem auch an das Konzept der Überdehnung denken. Wenn der IRB gegenüber der Average True Range (ATR) der letzten zehn oder mehr Kerzen eine außergewöhnlich hohe Handelsspanne hat, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass das erneute Durchbrechen des IRB scheitert. Dies führt dann tendenziell zu einem ungünstigeren
Einstieg, der mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Rückkehr zum Mittelwert bedeutet, da ein Großteil der Dynamik bereits „verpulvert“ und die Gewinnchance weitgehend vertan ist, nachdem die große Spanne bis zur anderen Seite des IRB zurückgelegt wurde. In diesem Fall steht der Trader also nur mit einem geringen Gewinnpotenzial und einem großen Abstand zum Stopp da, was offensichtlich kein optimales Setup darstellt.
Außerdem ist zu beachten, dass Hoffman diese Strategie in erster Linie entwickelt hat, um Trendfortsetzungen nach einem temporären Gegentrend zu erkennen und davon zu profitieren. Deshalb ist dieses Setup im Fall eines sich seitwärts bewegenden Marktes nicht zu empfehlen, da dann eine solche Fortsetzung oft ausbleibt.
Fazit
Die von Rob Hoffman entwickelte und eingesetzte Strategie auf Basis des Inventory Retracement Bar diente ihm ursprünglich dazu, weltweit Trading-Wettbewerbe zu gewinnen. Mit dieser Strategie lässt sich feststellen, wann Institutionen Bestände aus dem Markt nehmen oder auf den Markt werfen und damit von der aktuellen Marktrichtung abweichen, wodurch ein kurzfristiges Retracement gegen den Trend verursacht wird. Anschließend wird geschaut, ob der betreffende Markt seinen früheren Trend wieder aufnimmt, wenn die kurzfristigen institutionellen Gegentrendaktivitäten aufgehört haben - ihre Aktienpositionen also aufgelöst wurden oder werden. Dann ist es an der Zeit, wieder in die ursprüngliche Trendrichtung zu handeln. Da die Strategie für kurzfristiges Trading in Trendphasen ausgelegt ist und in Seitwärtsphasen nicht angewandt werden sollte, lässt sie sich besonders gut mit Faktorzertifikaten umsetzen, die für genau solche Szenarien wie gemacht sind.
Die drei Distanzen bei der ATR
Bei D1 reicht die Tagesspanne in die Spanne des Vortages und ist somit die größte der drei Möglichkeiten. Bei D2 und D3 sind Lücken entstanden, die bei der Berechnung der ATR Berücksichtigung finden.
Quelle: www.traders-mag.com
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