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Unsere unvergessenen FLUCHTHELFER STAATSFEINDE Nr. 1 in der DDR


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Super TV - epaper ⋅ Ausgabe 36/2019 vom 29.08.2019

HOFFNUNG Auch über den Checkpoint Charlie gelangen wagemutige Fluchten


TUNNELGRÄBER Ralph Kabisch wollte eigentlich nur seine Cousine aus der DDR holen


AUFGEFLOGEN Oliver Mierendorff saß zehn Jahre im Gefängnis Bautzen


SPANNEND Burkhart Veigel erzählt im Buch „Wege durch die Mauer“ über sein Leben als Fluchthelfer. CH. Links, ca. 20 Euro


GEFÄHRLICH Alfine Fuad brachte 1976 seine Braut Elke und deren Kinder im Kofferraum seines Autos über die Grenze


Seine Karriere als DDRStaatsfeind Nummer eins begann für Burkhart Veigel (81) am 30. Oktober 1961. Da schmuggelte er seinen ersten Flüchtling über die Grenze. Bald schlief er nur noch zwei Stunden am Tag, um möglichst viele DDR-Bürger in den Westen zu bringen. 650 ermöglichte Veigel zur Flucht – niemand schaffte mehr. „Ich wollte den Menschen hel fen, ich fühlte auch die Pf licht dazu“, sagt er über seine Antriebskraft. Mit gefälschten Pässen, durch Tunnel und in seinem umgebauten Cadillac ging es rüber. „In das Armaturenbrett ließ ich einen Hohlraum für einen Menschen einbauen. Bis 1969 konnten wir allein mit ihm 200 Ost-Bürger rüberholen.“ Dafür nahm er zwischen 5.000 und 8.000 Mark pro Fahrt, weil er sich durch die Umbauten am Cadillac mit rund 50.000 Mark verschuldet hatte. Im Westen angekommen, durften Flüchtlinge die Summe aber in Raten abstottern. Trotzdem verklagte ein Pärchen Veigel dafür, dass er Geld verlangt hatte. Doch der Bundesgerichtshof sprach ihn 1977 frei. Wer Menschen zu ihrem Grundrecht auf Freiheit verhelfe, dürfe dafür auch eine Bezahlung fordern. Dazu riskierte Veigel als Fluchthelfer selbst Kopf und Kragen. Aus seinen Stasi-Akten erfuhr er, dass DDR-Justizministerin Hilde Benjamin († 87) ihn zum Tod verurteilen lassen wollte.

Mordversuch mit Gift

Die Stasi fackelte nicht lange, wenn es um „staatsfeindlichen Menschenhandel“ und „ungesetzlichen Grenzübertritt“ ging. Fluchthelfer wurden zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Bei Wolfgang Welsch (72), der über 200 Menschen in den Westen brachte, ging man noch weiter. Drei Attentate wurden auf ihn verübt. Zuerst mit Sprengstoff, dann nahm ein Scharfschütze ihn ins Visier und schließlich verabreichte ihm ein Stasi-Spitzel 1981 eine Frikadelle mit Thallium, einem hochgiftigen Metall. Welsch und seine Familie überlebten nur mit Glück. Das hatte auch Elke Köhler, deren Freund Alfine Fouad sie und ihre Kinder im Kofferraum rüberbrachte (Foto l.). Es klappte, weil er als ausländischer Geschäftsmann nicht so streng kontrolliert wurde.

FREIE FAHGRT Der Grenzübergang für Ausländer und Diplomaten in der Ostberliner Friedrichstraße


TUNNEL 57 Wie Ralph Kabisch (kl. Foto l.) gehörte auch Klaus-Michael von Keussler 1963 zu den Studenten, die 57 Menschen in die Freiheit gruben


FLUCHTWILLIGE WURDEN MIT ALLER HÄRTE VERFOLGT Das Risiko, auf der Flucht erwischt zu werden, war groß. Die Grenzsoldaten kannten fast alle Tricks, übten wie hier in Vacha 1965 das Aufspüren von Republikflüchtlingen


Wie sie der Stasi trotzten und sie austricksten – alles über ihre Kraftquellen


Tödliche Schüsse

Ein guter Ausgang seiner Fluchthilfe war Dieter Wohlfahrt († 20) dagegen nicht beschert. Der Chemie-Student der TU Berlin trug den Spitznamen „Deckelmann“, da er Gullydeckel öffnete und Fluchtwillige durch die damals noch gemeinsame Kanalisation von Ost- und Westberlin brachte. Am 9. Dezember 1961 geriet Wohlfahrt beim Versuch, die Mutter einer Freundin durch den dreifachen Stacheldrahtzaun in den Westen zu bringen, in einen Hinterhalt. die der Stasi ein Schnippchen schlugen. Zu ihnen gehörte auch Ralph Kabisch. Der damals 22-Jährige schloss sich 1964 der Gruppe um Wolfgang Fuchs an, um seine Cousine aus Görlitz in den Westen zu holen. Sie buddelten den legendären Tunnel Grenzsoldaten schossen auf ihn und ließen den Schwerverletzten ohne ärztliche Versorgung liegen. Er verblutete im Niemandsland. Auch der Berliner Oliver Mierendorff musste für seinen Einsatz büßen. 1973 half er Bekannten einer Familie bei der Flucht. Doch die Aktion flog auf, Mierendorff wanderte für zehn Jahre ins Gefängnis. Trotz der Gefahren gab es immer wieder Wagemutige, von Westberlin, durch den 57 DDR-Bürger fliehen konnten. Für Kabisch eine Kraftquelle: „Das waren hochemotionale Momente, wenn es die Menschen über die Grenze schafften. Dieser Blick in den Augen, daran erinnere ich mich mein ganzes Leben.“ Der heute 77-jährige betont: „Wir haben mit den Fluchten kein Geld verdient.“ Bezahlt worden seien nur Auslagen für die Organisation. Sein wahrer Gewinn war die Erkenntnis: „Demokratie und Freiheit sind wichtige Werte, aber sie sind sehr zerbrechlich. Deshalb sollten sie immer bewahrt werden.“

KUNDEN GESUCHT Im Westen boten professionelle Fluchthelfer ihre Dienste an. Sie ließen sich das Risiko teuer bezahlen


Fotos: imago images/Marco Bertram/Gerhard Leber, Ch. Links Verlag, picture alliance (7), Milena

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